Herr Scholz, auf der Suche nach einer neuen Doppelspitze für die SPD ist die Stichwahl angelaufen. Warum ist das Duo Scholz/Geywitz besser als das Duo Esken/Walter-Borjans?
Olaf Scholz: Ich halte nichts davon, im politischen Wettbewerb schlecht übereinander zu reden. Die vielen Regionalversammlungen mit den unterschiedlichen Teams haben am Ende immer eins bewiesen: Bei allen Unterschieden ist klar, warum wir gemeinsam in dieser Partei sind. Es gibt viel mehr Gemeinsames als Trennendes. Nun geht es um die Spitze: Klara Geywitz und ich wollen Parteivorsitzende werden, um die SPD wieder stark zu machen. Wir wollen die SPD zusammenführen. Und ich glaube, dass uns das gelingen kann. Eine selbstbewusste SPD, die mit geradem Rücken auf den Platz geht, überzeugt auf die Dauer auch wieder mehr Bürgerinnen und Bürger.
Norbert Walter-Borjans hat Sie angegriffen. Er ist der Meinung, dass man nicht diejenigen wählen kann, die auch für den Niedergang der SPD mitverantwortlich sind.
Scholz: Ich bin mit ihm einer Meinung, dass wir einen Aufbruch brauchen. Und ich glaube, dass dieser Aufbruch am besten mit Klara Geywitz und mir gelingt. Ich kandidiere gemeinsam mit einer jungen Frau. Sie hat drei Kinder, kommt aus Ostdeutschland. Sie ist nicht seit längerer Zeit an der Spitze der SPD. Genauso wie ich kann sie aber eine Reihe von Wahlerfolgen vorweisen. Sie ist eine starke Politikerin und hat in Brandenburg durchgesetzt, dass auf den Wahllisten Männer wie Frauen stehen müssen. Wir sind eine gute Mischung aus Erneuerung und Erfahrung – und funktionieren als Team gut.
Am Ende kann aber nur einer von Ihnen Spitzenkandidat werden. Haben Sie darüber schon gesprochen?
Scholz: Jetzt steht erst mal die Frage um den Parteivorsitz an.
Warum haben Sie sich dann gerade jetzt mit den Männervereinen angelegt und drohen, ihnen die Steuervorteile zu streichen?
Scholz: Der Bundesfinanzhof hat bereits vor zwei Jahren geurteilt, dass Vereine nicht gemeinnützig sind, wenn sie ohne Sachgrund Frauen von ihrer Mitgliedschaft ausschließen. Klar ist aber, dass jetzt niemand Männergesangvereine dazu zwingen will, gemischte Chöre zu werden. Oder dass in Herren-Fußballteams auch Frauen mitspielen müssen. Aber es gibt Veranstaltungen und Vereine, bei denen Männer finden, Frauen gehörten da per se nicht hin. Das darf schon sein, nur sollte es dann nicht mehr im Steuerrecht privilegiert werden.
Ihre Partei liegt bei Meinungsumfragen unter 17 Prozent. Werden Wahlen da tatsächlich noch in der Mitte gewonnen? Müssten Sie sich nicht mehr nach links bewegen, um sich von Union und Grünen abzugrenzen?
Scholz: Es gibt Begriffe, die sind so ausgelutscht, dass man keinen Erkenntnisgewinn damit erzielt – diese pauschale Nutzung des Mitte-Begriffs zählt für mich dazu. Mir geht es um mehr Zuversicht in unserer Gesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger müssen der Zukunft mit Zuversicht begegnen. Und damit das gelingt, fordere ich Bürgerrechte für das 21. Jahrhundert.
Was ist mit dem Begriff Arbeiterpartei? Ist der auch ausgelutscht?
Scholz: Nein, die SPD ist und bleibt die Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn wir gut sind, sind wir gleichzeitig auch die Partei, die den Fortschritt vorantreibt, wenn es um all die anderen Fragen geht.
Früher hat der DGB Wahlempfehlungen für die SPD ausgesprochen. In Bielefeld standen die Gewerkschaften Seit’ an Seit’ mit den Grünen auf deren Parteitag. Haben die Sozialdemokraten die Gewerkschaften an die Grünen verloren?
Scholz: Nein, gar nicht. Ich habe einen engen persönlichen Draht zu den Gewerkschaften. In meiner Zeit als Arbeitsrechtsanwalt habe ich unzählige Betriebsräte und Gewerkschaften vertreten.
Gesetzt den Fall, Sie werden SPD-Vorsitzender. Ist Ihre Zukunft in diesem Amt dann mit dem Ziel verknüpft, dass die SPD wieder vor den Grünen liegt?
Scholz: Es ist Zeichen der Schwäche, sich über andere zu definieren. Das ist nicht meine Art. Das Ziel von Klara Geywitz und mir ist es, die SPD so stark zu machen, dass man uns die Führung einer Regierung zutraut. Darum geht es auch. Und das ist nicht abwegig, wie unsere Parteifreunde in Dänemark, Schweden und Finnland zeigen, die nach einer ähnlichen Schwächephase jetzt den Regierungschef oder die Regierungschefin stellen.
Nun gut, man könnte auch nach Frankreich gucken…
Scholz: (grinst) Deshalb empfehle ich ja meinen Weg, der ist ein bisschen anders.
Was meinten Sie gerade mit sozialen Bürgerrechten. Geht es da ein bisschen genauer?
Scholz: Ich will noch mal betonen, dass es mir wirklich um Rechte geht. Also um einen Anspruch, auf den man pochen darf. Dazu gehört das Recht von Eltern auf einen Kita- oder Krippenplatz für ihre Kinder. Das Recht auf Ganztagsangebote. Dazu gehört auch, dass das alles bezahlbar ist. Ich finde, wir sollten die Gebührenfreiheit bei Bildung und Betreuung für Kinder in ganz Deutschland durchsetzen. Es muss für Kinder ein Recht auf Grundsicherung geben. Das Recht auf bezahlbare Wohnungen. Das Recht auf eine gute Gesundheitsversorgung und bezahlbare Pflege. Und auf eine gute, stabile Rente. Und ich halte es für wichtig, einen Anspruch zu schaffen, dass jemand mit 43 oder 52 Jahren noch einmal einen neuen Beruf erlernen kann, wenn sein alter Berufszweig wegfällt. Und zwar zu den Bedingungen einer Frau, eines Mannes in der Lebensmitte, ohne dass man da jemanden um eine Genehmigung bitten muss.
Am Freitag beginnt der CDU-Bundesparteitag. Die Christdemokraten stehen unter Druck, die SPD steht unter Druck, das hat Auswirkungen auf die Große Koalition. Welches Signal muss vom CDU-Parteitag im Sinne einer stabilen GroKo ausgehen?
Scholz: Die Lage innerhalb der CDU ist sicherlich nicht einfach, aber ich mische mich ungern in interne Debatten anderer Parteien ein.
Moment mal bitte. Sie stehen für den Fortbestand der GroKo, da kann es Ihnen doch nicht egal sein, was bei der CDU passiert?
Scholz: Natürlich verfolge in den CDU-Parteitag am Wochenende mit Interesse. Ich freue mich aber immer, wenn die Union sich aus unseren Interna heraushält und halte es ähnlich. Die Bundesregierung hat gerade eine sehr ordentliche Halbzeitbilanz vorgelegt, die Beschlüsse zu Klima und Grundrente können sich auch sehen lassen. Und ich habe den Eindruck, dass der Zuspruch für die Regierungsarbeit wächst. Für die Zukunft wird es aber darauf ankommen, dass wir es uns als Sozialdemokraten zutrauen, mit unseren Leistungen offensiv aufzutreten – und die Vorstellungen für die Zeit nach dieser Regierung zu erarbeiten.
Bei der Grundrente steht ja erst mal nur die grundlegende Einigung. Uns ist noch nicht ganz klar, wie Sie das finanzieren wollen? Eine Finanztransaktionssteuer soll es richten, aber diese Idee geistert doch schon seit Jahren durch die EU. Warum soll es ausgerechnet jetzt klappen?
Scholz: In den vergangenen Monaten habe ich mich intensiv und sehr zielgerichtet darum bemüht und halte eine baldige Einigung mit den europäischen Partnern für möglich. Wir wollen, dass die Finanztransaktionssteuer in Deutschland 2021 gilt und dazu beitragen wird, die Grundrente als große sozialpolitische Verbesserung für sehr viele Bürger zu finanzieren. Allein für Deutschland werden das gut eine Milliarde Euro an Einnahmen sein.
Also kein nationaler Alleingang?
Scholz: Wir streben eine europäische Einigung an.
Die Finanzindustrie kritisiert, dass dadurch kleine Sparer getroffen werden, wenn sie zum Beispiel fondsgebunden vorsorgen. Wird es Ausnahmen für kleine Sparer geben?
Scholz: Ach, wissen Sie, es gibt Lobbyisten, die monatelang nach genau solch einem Beispiel suchen, um eine vermeintliche Ungerechtigkeit anklagen zu können. In Wahrheit geht es bei der Finanztransaktionssteuer aber um Leute, die hohe Summen investieren und ihre Anteile häufig kaufen und verkaufen. Jeder, der eine Currywurst kauft, zahlt Umsatzsteuer – nur bei Aktien soll ein ganz niedriger Satz nicht gelten? Für mich hat das mehr mit Lobbyismus und Macht zu tun als mit Logik.
Bei der Grundrente soll es einen Abgleich zwischen Finanzämtern und Sozialbehörden geben, um festzustellen, ob jemand Vermögen hat und deshalb die Grundrente eigentlich gar nicht braucht. Aber nicht jeder Rentner macht eine Steuererklärung. Wie wollen Sie also an die Zahlen kommen?
Scholz: Das ist ein ehrgeiziges IT-Projekt. Aber wir wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger lange Formulare ausfüllen müssen. Der Anspruch auf die Grundrente muss unbürokratisch zu ermitteln sein. Die Finanzämter verfügen aber über die Daten der Steuerpflichtigen, insofern ist das zu schaffen.
Aber Kapitalerträge werden von den Banken anonym an den Fiskus abgeführt, die können doch gar nicht erfasst werden?
Scholz: Für diese Frage haben wir verabredet, in dem automatisierten Verfahren eine ganz leichte Rückmeldeoption einzubauen. Ich kenne ja auch die Kritik an den angeblichen Fällen derer, die kleinste Renten, aber riesige renditelose Vermögen besitzen sollen. Wir haben uns das in der Regierung mal angeguckt – der Anteil ist verschwindend gering, wenn es ihn überhaupt gibt.
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