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Interview: Mitbegründerin der Letzten Generation: "Werden keine Klima-RAF gründen"

Interview

Mitbegründerin der Letzten Generation: "Werden keine Klima-RAF gründen"

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    Lea Bonasera ist einer der Gründerinnen der Klimaschutz-Bewegung Letzte Generation.
    Lea Bonasera ist einer der Gründerinnen der Klimaschutz-Bewegung Letzte Generation. Foto: Norman Konrad / Der Spiegel

    Frau Bonasera, Sie mussten unlängst wieder vor Gericht. Ihr Klima-Protest bleibt nicht ohne juristische Folgen. Worum ging es dieses Mal?

    Lea Bonasera: Der Fall geht auf das Jahr 2021 zurück. Damals haben ich und andere Frauen der Letzten Generation an die Wand des Bundeskanzleramtes in Berlin geschrieben: „Essenretten-Gesetz jetzt“ und „Agrarwende 2030“. So haben wir gegen das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln demonstriert und unsere Forderung nach einem Essenretten-Gesetz untermauert. Mit einem solchen Gesetz dürften Supermärkte gutes Essen nicht mehr einfach wegwerfen. Für diesen Protest wurden wir angeklagt.

    Was droht Ihnen nun?

    Bonasera: Die Richterin wollte das Verfahren einstellen, doch die Staatsanwaltschaft erhob Einspruch. Nach dem jetzigen Stand sieht es gut aus. Das ist mein drittes Gerichtsverfahren. In einem Fall habe ich einen Richter mit meinen Worten dazu gebracht, ein mildes Urteil zu sprechen. Bislang hatte ich immer Glück mit Gerichten. Ich wurde schon verurteilt, aber es ist noch nicht rechtskräftig geworden. 

    Doch in polizeilichen Gewahrsam wurden Sie schon genommen, wie Sie in Ihrem Buch „Die Zeit für Mut ist jetzt! Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt“ schreiben.

    Bonasera: Ja, ich saß schon sehr oft in einer Zelle. Wir werden häufig präventiv in Gewahrsam genommen, um uns davon abzuhalten, uns etwa auf einer Straße festzukleben oder an Regierungsgebäude zu gehen. Ehe es in die Zelle geht, muss man seine Kleidung ausziehen und wird durchsucht. Beim ersten Mal war ich super aufgeregt. Vor dem Aufenthalt überkam mich ein mulmiges Gefühl. Eine Zelle hatte ich zuvor nur als Kind gesehen, als wir mit der Schule die örtliche Polizeidienststelle besuchten. Doch nach der ersten Zeit in einer solchen Zelle merkte ich, dass ich damit ganz gut klarkomme. 

    Wie schaffen Sie das? Freiheitsentzug ist doch heftig.

    Bonasera: Ich komme damit gut klar, weil es sich richtig anfühlt. Ich weiß, dass ich für unsere Klima-Proteste in Gewahrsam muss. Das macht es leichter. 

    Sind Ihnen angesichts des Freiheitsentzugs keine Zweifel gekommen? Haben Sie nicht schon einmal ans Aufgeben gedacht?

    Bonasera: Nein, mir kommen in einer Zelle keine Zweifel. Ich gebe nicht auf. Diese Aufenthalte haben mich in meiner Überzeugung, etwas für den Klimaschutz zu tun, nur bestärkt. Und ehe ich mich auf einer harten Zellen-Bank zusammenrolle, gehe ich auf und ab und singe ein Lied, das ich mir beigebracht habe.

    Sie singen in der Zelle?

    Bonasera: Ja, wirklich. Ich singe „Sending you Light“ von Melanie DeMore. 

    Ein schönes, ruhiges Lied.

    Bonasera: In dem Lied heißt es: „Ich sende dir Licht, um dich zu heilen, um dich zu halten. Ich sende dir Licht, um dich in Liebe zu halten.“ Wenn ich das Lied in einer Zelle singe, ist das wie ein Ritual, um mich auf die Situation einzulassen. So fühle ich mich wohler. Das Lied gibt mir Kraft und Halt. Man weiß nicht, wie viele Stunden man in Gewahrsam verbringt. Psychologen, die uns unterstützen, empfehlen solche kleinen, wiederkehrenden Übungen. 

    Haben Sie keine Angst, einmal länger ins Gefängnis zu müssen? Wünschen Sie sich nicht manchmal, nur noch Wissenschaftlerin zu sein und nach Ihrem Studium in Oxford in Ruhe Ihre Promotion über den zivilen Widerstand in Demokratien zu schreiben? Theorie ist auch spannend und nicht so gefährlich wie das Rebellentum.

    Bonasera: Natürlich habe ich Angst, länger ins Gefängnis zu müssen. Doch diese Angst beeinflusst mich nicht, weil ich davon überzeugt bin, dass unser ziviler Widerstand und die Proteste für den Klimaschutz notwendig sind. Mein Engagement fühlt sich richtig an. Deswegen komme ich nicht ins Zweifeln. Die ersten Klima-Kipppunkte werden schon angestoßen. Wir sind die letzte Generation, die noch maßgeblich Einfluss auf den Kurs nehmen kann, wie schlimm das Ausmaß der Klimakrise wird. Die Lage ist dramatisch. Eigentlich sollte der globale Temperaturanstieg nicht die 1,5-Grad-Grenze gegenüber Werten zu Beginn der Industrialisierung überschreiten. Jetzt bewegen wir uns auf einen Anstieg um drei Grad zu. 

    Welche Folgen hat diese Entwicklung?

    Bonasera: Eine Erderwärmung um drei Grad bedeutet, dass weltweit 40 bis 60 Prozent der Menschen unter lebensbedrohender Hitze leiden. Und wir können weltweit zehn bis 20 Prozent weniger Getreide anbauen. Wie sollen wir dann so viele Menschen ernähren? Das Ziel der Bundesregierung, dass Deutschland erst bis 2045 klimaneutral wird, geht nicht weit genug, weil wir die 1,5 Grad schon vor 2030 erreichen werden. Deswegen protestieren wir und setzen uns etwa auf Straßen.

    Was ist das für ein Gefühl, sich auf die Straße zu setzen und eine Hand am Asphalt festzukleben?

    Bonasera: Mir zittern dann immer noch die Knie und das Herz rast. 

    Stellt sich keine Festklebe-Routine ein?

    Bonasera: Nein, schließlich lernt man nicht, Straßen zu blockieren. Es kostet mich immer wieder Überwindung. Man gewöhnt sich zwar daran, aber es bleibt unangenehm, sich festzukleben und auf einer Straße zu sitzen.

    Sie und Ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter wirken enorm unter Druck, wollen Sie doch in zwei, drei Jahren die Bundesregierung zu radikalen Klima-Zielen bekehren. Spätestens 2030 soll Schluss mit Öl, Gas und Kohle sein. Es hat aber rund 50 Jahre gedauert, bis die Anti-Atomkraft-Proteste, die im badischen Wyhl ihren Ausgang nahmen, voll gefruchtet haben.

    Bonasera: Protestbewegungen brauchen generell lange, ehe sie Erfolg haben.

    Dann ist der Druck auf die Mitglieder der Letzten Generation doch nicht so groß.

    Bonasera: Doch er ist groß. Denn nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen müssten wir sofort aus Kohle, Öl und Gas aussteigen. Deswegen machen wir mit unseren Protesten massiv Druck. Natürlich kann es länger dauern, ehe sich Protestbewegungen durchsetzen. Trotzdem kann man kurzfristig mit Bewegungen viel verändern. Ich arbeite auf kurzfristige Ziele hin, sehe aber generell das Engagement für Gerechtigkeit als Lebensaufgabe an.

    Mit 26 Jahren sagen Sie sich also: einmal Klima-Rebellin, immer Klima-Rebellin. Was passiert, wenn sich Deutschland auch in zwei, drei Jahren keine ehrgeizigeren Klimaziele setzt? Radikalisiert sich dann die Letzte Generation? Gehen Sie von Gewalt gegen Sachen zur Gewalt gegen Menschen über?

    Bonasera: Auch wenn wir in zwei, drei Jahren Deutschland nicht fundamental zur Umkehr bewegen, mache ich – und natürlich friedlich und ohne Gewalt gegen Menschen – mit dem zivilen Widerstand weiter. Ich könnte mir nie vorstellen, Gewalt gegen andere Menschen anzuwenden oder jemandem weh zu tun. 

    Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU im Bundestag, haben Sie noch nicht von Ihren Zielen und dem gewaltlosen Vorgehen der Letzten Generation überzeugt. Er warnt davor, dass eine Klima-RAF entstehen könnte und fordert härtere Strafen.

    Bonasera: Herr Dobrindt sieht nicht den Wert unseres Protestes und fährt eine Gegenstrategie. Politikerinnen und Politiker neigen natürlich dazu, Protest abzulehnen, da wir ja von ihnen Veränderung einfordern. Ich schicke Herrn Dobrindt gerne mein Buch. Er muss sich nur melden. Nach Lektüre meines Buches wird er feststellen, dass ich und die Letzte Generation jede Gewalt gegen Menschen zutiefst ablehnen. Wir werden keine Klima-RAF gründen. Wenn Herr Dobrindt uns bei Straßen-Blockaden besuchen würde, könnte er erleben, dass wir stets höflich und wertschätzend mit Polizisten und aufgebrachten Autofahrern umgehen. Polizisten sind Säulen der Gesellschaft und verdienen unseren Respekt. 

    Demnach sehen Sie sich als Rebellin, die Gewalt gegen Menschen ablehnt.

    Bonasera: Gewaltfreiheit ist effektiver als Gewalt. Gewalt führt bei Menschen zu traumatischen Konsequenzen. Wir arbeiten noch heute Kriege aus der Vergangenheit auf. In Friedfertigkeit liegt Stärke. 

    Die Mitglieder der Letzten Generation üben aber Gewalt gegen Sachen aus. Das ist alles andere als friedfertig.

    Bonasera: Doch was hat den Klima-Diskurs in den vergangenen Monaten wesentlich geprägt? Vor allem unsere Aktionen in Museen, bei denen wir etwa Bilder mit Kartoffelbrei bewarfen, hat Museums-Direktoren dazu bewegt, mit uns zu kollaborieren. Es gibt Museums-Direktoren, die uns in ihre Häuser holen und unsere Auffassungen unterstützen. So haben die Verantwortlichen im Berliner Naturkundemuseum den Kleber an den Dinosauriern, den unsere Leute hinterlassen haben, extra drangelassen. Denn der Kleber sei ein wichtiges Stück Zeitgeschichte. Es ist zu einfach, uns Sachbeschädigung vorzuwerfen. Wir schreiben Geschichte. 

    Wollen Sie nicht irgendwann in Ihr altes Leben zurückkehren? Sie haben früher von einem Haus und einer Familie geträumt, bei Ihrer ersten Bundestagswahl CDU gewählt, Fleisch gegessen und wollten sogar Polizistin werden.

    Bonasera: Wenn man einmal verstanden hat, wie gefährlich und ungerecht für alle Menschen die Klimaveränderung ist, gibt es keinen Weg zurück. Natürlich möchte ich nach meiner Promotion unterrichten, aber ich fühle mich verpflichtet, die Politik zum radikalen und schnellen Umdenken in der Klima-Frage zu bewegen. Ich kann nicht mehr in mein altes Leben zurück. Dass ich einmal Polizistin werden wollte, hängt damit zusammen, dass mir schon als Jugendliche Werte wie Gerechtigkeit und Fairness wichtig waren. Noch heute habe ich Sympathie für Polizisten, auch wenn ich internen Rassismus bei der Polizei kritisch sehe. Dass ich grundsätzlich Sympathie für Polizistinnen und Polizisten habe, liegt vielleicht auch daran, weil es in meiner Verwandtschaft einige Polizisten gibt. 

    Und was ist mit CDU und Fleisch?

    Bonasera: Ich werde nicht mehr CDU wählen und ich esse auch kein Fleisch mehr. 

    Was sagen denn Ihre Eltern und Ihr Freund zu Ihrem doch durchaus gefährlichen Engagement? Schließlich sind schon Autofahrer auf Klima-Protestierende losgegangen.

    Bonasera: Meine Familie sieht mein Engagement mit gemischten Gefühlen. Als ich mit Kolleginnen und Kollegen vor der letzten Bundestagswahl in einen langen Hungerstreit getreten bin, war das für meine Familie schwierig, schließlich habe ich mich in Lebensgefahr begeben. Meinen Eltern war klar, dass sie mich nicht aufhalten können. Gerade meine Oma, die einst aus Ostdeutschland nur mit einem Mantel in den Westen auswanderte und mein aus Italien kommender Großvater, dem ich meinen Nachnamen verdanke, verstehen mich. Sie haben selbst ihr Leben stark verändert und sind naturverbundene Menschen. Die letzten Monate habe ich mit meinem Freund, der in der Landwirtschaft arbeitet, auf einem Bauernhof gelebt. Dort habe ich wie meine Großeltern gelernt, das eigene Essen anzubauen. 

    Mitglieder der Letzten Generation haben auch schon humorvollen Widerstand ausprobiert und Kartoffeln im Berliner Regierungsviertel angepflanzt.

    Bonasera: Diese Widerstandsform fällt unter den Begriff des Lachtivismus. So haben wir Verkehrsminister Volker Wissing hunderte Schilder für ein Tempo-Limit vorbeigebracht, nachdem er behauptet hat, für ein vorübergehendes Tempo-Limit auf Autobahnen von 100 Kilometern gebe es nicht genügend Schilder. Manchmal zeigen wir mit einem Augenzwinkern Probleme auf. 

    Wäre mehr Lachtivismus und ein Verzicht auf Straßenblockaden und das orangefarbene Einfärben von Denkmälern wie dem Brandenburger Tor nicht der Königsweg für die Letzte Generation, um mehr Sympathien zu bekommen?

    Bonasera: Es gibt unterschiedliche Protestformen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen: Mit dem Lachtivismus kann man leider eine Regierung nicht so unter Druck setzen, dass sie fundamental etwas verändert. Dazu sind nach wie vor Straßenblockaden, aber auch die farbliche Kennzeichnung von Gebäuden notwendig. Das sind große Puzzleteile. Der Lachtivismus ist nur ein kleines Puzzlestück. 

    Sie beteuern, niemanden ärgern zu wollen. Doch Sie und inzwischen gut 1000 Mitstreiterinnen und Mitstreiter ärgern gerade viele Autofahrer. Ärzte, Krankenschwestern oder Altenpfleger können nicht rechtzeitig ihrem Beruf nachgehen, was für ihre Patienten unangenehm sein kann. Wären nicht normale Demonstrationen besser als Straßenblockaden? Politiker, auch der Grünen, legen Ihnen das nahe.

    Bonasera: Wahr ist aber auch, dass schon Ärztinnen und Ärzte wie auch Pflegerinnen und Pfleger mit uns auf der Straße saßen. Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, nicht die Meinung von Politikern zum Maßstab für unsere Protestformen zu machen. Schließlich ermutigen wir Politiker, das zu tun, wozu sie sich selbst verpflichtet haben. Unsere Proteste schaden nicht dem Ziel des Klimaschutzes, wie auch eine Grünen-Politikerin wie Renate Künast behauptet hat. Denn etwa unsere Straßenblockaden oder auch die Besprühung des Brandenburger Tors tragen dazu bei, dass überhaupt über Klimaschutz gesprochen wird. Natürlich sind diese Protestmethoden nicht beliebt. Aber welche Protestmethode ist schon beliebt? Politiker haben die Fridays-for-Future-Bewegung erst gelobt, als es keine Schulstreiks mehr gab. Doch am Anfang war der Widerstand der Kinder und Jugendlichen am effektivsten, als sie den Schulbesuch für einen Tag verweigerten. 

    Wäre es nicht besser, Schüler würden wieder streiken und die Letzte Generation würde zum letzten Mal eine Straße blockieren?

    Bonasera: Ich hielte es für sehr sinnvoll, wenn die Fridays wieder mehr Schulstreiks ausrufen. 

    Man kann Menschen mit radikalen Formen des Protestes nicht zur Vernunft zwingen. Für mehr Klimaschutz muss man sie überzeugen und mitnehmen. Überzieht die Letzte Generation maßlos?

    Bonasera: Wir wollen die Menschen nicht zu mehr Klimaschutz zwingen, sondern sie davon mit wissenschaftlichen Argumenten überzeugen. Gerade in der Springer-Presse bekommen die Menschen aber keine gute Informationsgrundlage. Werden sie etwa vom Bürgerrat Klima, in dem 160 zufällig ausgelöste Menschen sitzen, gut informiert, treffen sie progressive Entscheidungen. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen und sie mitnehmen. Natürlich ist es nicht toll, wenn Menschen wegen unseren Straßenblockaden nicht zur Arbeit kommen. Das tut mir für diese Menschen auch sehr leid.

    Dann müssten Sie die Blockaden sofort stoppen.

    Bonasera: Nein, denn unsere Straßenblockaden sind angesichts des Ausmaßes der Klimakrise verhältnismäßig. Wir wägen ab. Und wir schaffen es mit unseren Protesten, das Bewusstsein der Menschen für Klimaschutz zu erhöhen. 

    Hat das Abwägen auch beim Brandenburger Tor funktioniert, als es von der Letzten Generation orange besprüht wurde? Was kann das Brandenburger Tor für die Erderwärmung?

    Bonasera: Das Abwägen hat auch beim Brandenburger Tor sehr gut funktioniert. So kann ich nur die Historikerin Hedwig Richter zitieren, die von „einem würdigen Gebrauch“ des Denkmals durch uns gesprochen hat. Schließlich erinnert die orangene Farbe nun daran, dass wir in der Klimakrise stecken. Übrigens: Die Farbe zog nur deswegen in die Steine des Brandenburger Tors ein, weil es wegen der Hitze lange zu trocken war und die Steine porös sind. Es gibt einen direkten Bezug zur Klimakrise. 

    Tut es Ihnen nicht leid, dass die Letzte Generation ein Nationaldenkmal derart beschädigt hat?

    Bonasera: Ich sehe das ein wenig wie bei unseren Protesten in den Museen, wo wir Kartoffelbrei auf Gemälde geworfen haben. Ich halte es für eine Doppel-Moral, uns vorzuwerfen, wir seien schuld daran, dass dieses Denkmal oder diese Gemälde beschmutzt wurde.

    Doch die letzte Generation ist doch schuld an der Beschmutzung dieser Kulturgüter.

    Bonasera: Die Doppel-Moral besteht aber darin, dass viele unserer Denkmäler in den nächsten Jahren zerstört werden, weil wir es nicht schaffen, die Klima-Katastrophe aufzuhalten. Das rechtfertigt es, dass wir Denkmäler besprühen und Bilder mit Kartoffelbrei bewerfen. 

    In einem Fall haben Aktivisten der Letzten Generation einen wertvollen alten Rahmen beschädigt. Der Sachschaden soll bei 5000 Euro liegen.

    Bonasera: Das ist gerechtfertigt, schließlich zerstört die Menschheit gerade eine Erde, die über Millionen Jahre entstanden ist. 

    Der Religions-Psychologe Michael Utsch erkennt inzwischen sektenähnliche Züge in Reihen der Letzten Generation. Auch heißt es, die Gruppierung sei straff und von oben herab zentral organisiert.

    Bonasera: Wir haben eine funktionierende Hierarchie, damit wir schnell reagieren können. Es gibt eine klare Aufgabenteilung: Die Presse macht die Presse, die Strategie die Strategie und die Mobilisierung die Mobilisierung. Wir bekommen immer wieder Beratungsangebote von vielen Managern und Unternehmensberatern. Ich denke, dass mir da jeder Manager zustimmen kann: Eine gute Organisation ist wichtig, um ein großes Projekt zu stemmen. Es wäre naiv, wenn wir als Letzte Generation mit mehr als 1000 Menschen kein gutes Konzept hätten. 

    Noch einmal: Ist die Letzte Generation eine apokalyptische Endzeit-Sekte?

    Bonasera: Wir sind definitiv keine Sekte, sondern eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich nicht auf Glaubenssätze, sondern wissenschaftliche Fakten gründet.

    Da bleiben noch zwei praktische Fragen: Bleiben Verletzungen an den Händen zurück, wenn der Sekundenkleber von Polizisten abgelöst wird? Und ist das ein spezieller Sekundenkleber?

    Bonasera: Wir verwenden ganz normalen Kleber, den man im Supermarkt kaufen kann. Der lässt sich auch gut wieder ablösen, außer die Polizei geht unsachgemäß etwa mit Skalpellen vor. Meine Hände sind bislang unversehrt geblieben. Am besten löst man den Kleber mit Öl ab. Das ist ungefährlich mit dem Kleber. Für mich bleibt auch noch eine Frage offen.

    Welche denn?

    Bonasera: Die Machtfrage. Wo liegt denn die Macht?

    Ja, wo denn?

    Bonasera: In meinem Politikverständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern, die massiv Einfluss nehmen können auf die Politik. 

    Zur Person: Lea Bonasera, 26, zählt zu den drei Gründungsmitgliedern der Letzten Generation. Sie gehört auch dem wesentlichen und oben in der Hierarchie der Organisation angesiedelten sechsköpfigen Strategie-Gremium an. Die 1,78 Meter große Bonasera sagt mit sanfter Stimme: „Ich habe das Mandat, wesentliche Entscheidungen zu treffen.“ Die Klima-Schützerin hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert und schreibt derzeit ihre Doktorarbeit über den zivilen Widerstand in Demokratien. Im Verlag S. Fischer hat sie ihr erstes Buch „Die Zeit für Mut ist jetzt. Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt“ vorgelegt. Die Letzte Generation erhielt nach eigenen Angaben am Anfang einen Großteil des Geldes aus dem Climate Emergency Fund, einer Non-Profit-Organisation, die 2019 unter anderem von Rory Kennedy, Tochter des ehemaligen US-Senators Robert F. Kennedy, gegründet wurde. Inzwischen finanziert sich die Organisation auch aus Spenden.

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