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Interview mit SPD-Generalsekretär: Kevin Kühnert: "AfD zu wählen, ist keine Notwehr"

Interview mit SPD-Generalsekretär

Kevin Kühnert: "AfD zu wählen, ist keine Notwehr"

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    Kevin Kühnert ist SPD-Generalsekretär.
    Kevin Kühnert ist SPD-Generalsekretär. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Kühnert, gerade hat die Jugendstudie der TUI-Stiftung ergeben, dass eine Mehrzahl der jungen Menschen nicht mehr glaubt, dass sie es einmal besser haben wird, als ihre Eltern. Es gab Zeiten, da stand die SPD wie kaum eine andere Partei für das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung und die Möglichkeit, es durch Arbeit zu Eigenheim und bescheidenem Wohlstand zu bringen. Für was steht die

    Kevin Kühnert: Das möchte ich Ihnen sehr genau beantworten: Unser Job ist es nicht, zu erklären, was ein schönes Leben ist. Das muss jeder für sich selbst definieren. Ob das Einfamilienhaus oder Mietwohnung bedeutet, Sportwagen oder Lastenrad, Urlaub an der Ostsee oder in Antalya, das hat nicht die SPD zu bestimmen. Unser Job ist stattdessen, es den arbeitenden Menschen wirtschaftlich zu ermöglichen, solche Entscheidungen überhaupt frei zu treffen. Das Leben darf nicht von Geburt an vorbestimmt sein, es soll für jede und jeden eigene Gestaltungsspielräume geben. Das hat in einer Marktwirtschaft auch mit den finanziellen Möglichkeiten, mit den Einkommensverhältnissen und den Kosten des täglichen Lebens zu tun. Die SPD ist dann am stärksten, wenn wir stark bei diesen Themen sind.

    Im Moment ist die SPD aber, zumindest in den Umfragen nicht stark. Die rechtspopulistische AfD ist sogar an der Kanzlerpartei vorbeigezogen, die Ampel insgesamt hätte im Moment keine Mehrheit mehr …

    Kühnert: Ich möchte eine Botschaft an alle senden, die grundsätzlich demokratisch gesinnt sind: Niemand muss die AfD wählen, damit seine Verärgerung ernst genommen wird. Machen wir uns nichts vor: Über das Heizungsgesetz und wie es diskutiert wurde in den vergangenen Wochen, haben sich unglaublich viele Menschen geärgert – wir selbst ja auch. Aber die große Mehrheit wählt doch deshalb nicht AfD. AfD zu wählen, ist keine Notwehr. Unsere Demokratie bietet andere Alternativen, um Protest auszudrücken, als eine rechtsradikale Partei zu unterstützen. Deren Politiker lösen schließlich keine Probleme. Vielmehr leben sie davon, dass bestehende Probleme immer größer werden.

    Die schlechten Umfragewerte dürften auch damit zu tun haben, dass die Koalition, gerade im besagten Streit ums Heizungsgesetz, kein gutes Bild abgibt. Haben SPD, Grüne und FDP ihren Vorrat an gegenseitigem Vertrauen schon aufgebraucht?

    Kühnert: Wenn wir beim Skispringen wären, dann würde ich sagen: Die Weite stimmt bei der Ampel meist, aber die Haltungsnoten sind nicht die allerbesten und das wissen wir auch. Ich möchte um Verständnis werben, dass es nie ganz ohne Streit klappen wird, weil wir ja unter enormem Zeitdruck große Reformvorhaben angehen. Wir sind erst seit 18 Monaten im Amt und haben in dieser Zeit bereits das Arbeitslosensystem reformiert, Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld erhöht, sechs Millionen Menschen bekommen mehr Mindestlohn und Energiepreisbremsen sind eingeführt. Wir müssen in der Zeitenwende fortwährend einen Krieg in Europa begleiten und die innere und äußere Sicherheit erhöhen. Daneben muss das Tagesgeschäft laufen. Das ist nicht geräuschlos zu bewältigen. 

    Aber die Störgeräusche waren zuletzt schon extrem laut …

    Kühnert: Da haben Sie recht. Aber diese Koalition muss nun mal auch stellvertretend für die gesamte Gesellschaft grundlegende Konflikte ausfechten, nicht nur beim Klimaschutz. Wir sollten uns in der Ampel jedoch darauf besinnen, diese Fragen vor allem intern zu klären, um dann gemeinsam zu erklären, wie wir zu einem Kompromiss gekommen sind. Streit um den richtigen Weg gehört in einer Demokratie dazu. Nicht enden wollender Streit in einer Regierung aber schürt Unsicherheit. Das ist der feine Unterschied.

    Ihr Parteifreund Olaf Scholz wurde viel gescholten, er habe als Chef dieser Regierung zu wenig Präsenz gezeigt, in den Ampel-Konflikten nicht genügend Führungsstärke bewiesen. Ist da was dran?

    Kühnert: Das sehe ich anders. Jeder hat seinen eigenen Stil und man kann niemanden neu erfinden. Ein Stück weit vermissen wir ja immer das, was nicht da ist. Wenn der Entertainment-Faktor sehr hoch ist, wünschen sich die Leute mehr Ruhe und Seriosität. Wenn sehr viel Seriosität und Ruhe da ist, wünscht man sich mehr Lautstärke. Olaf Scholz ist wie er ist. Er ist ein maximal auf Ergebnisse orientierter Politikertyp, darum wurde er gewählt. Er ist nicht für Show-Einlagen zu haben, dadurch weniger unterhaltsam als Boris Johnson oder Markus Söder, im Gegenzug aber auch viel effektiver.

    Viele Menschen treibt die Angst vor einem Verlust von Wohlstand um und der hängt in Deutschland weiter zu einem großen Teil an unserer Industrie. Doch gerade mehren sich die Sorgen, dass es mit diesem Wirtschaftszweig abwärts geht. Was ist die Antwort der SPD auf diese Ängste?

    Kühnert: Manch andere Partei hat ja ein gestörtes Verhältnis zum Industriestandort Deutschland, wir jedoch nicht. Wir wollen ihn im Wandel sichern und stärken. Arbeitsplätze in der Industrie bleiben weiter attraktiv. Wir erleben ja einen Ansturm auf die Gewerkschaften, die teils hunderttausende neue Mitglieder gewonnen haben. Das Thema Mitbestimmung ist enorm wichtig, da geht es nicht nur um gute Lohnabschlüsse, sondern darum, wie wir künftig arbeiten werden. Jetzt werden die Tarifverträge verhandelt, in denen es etwa darum geht, wie künftig der Einsatz der Künstlichen Intelligenz geregelt wird und wie wir uns weiterbilden. In den großen Industriebetrieben haben wir eine so gute Mitbestimmung wie fast nirgendwo sonst. Und wir sind mittlerweile auf einem Arbeitnehmermarkt. Die Leute können sich aussuchen, bei welcher Firma sie arbeiten – nicht mehr andersherum. Das ist eine gute Verhandlungsposition.

    Die heimischen Firmen selbst aber klagen, dass sie nicht mehr mithalten können mit Konkurrenz aus Ländern, in denen etwa die Energiepreise niedriger sind. Manche denken über die Verlagerung ihrer Produktion nach, andere fürchten ums nackte Überleben. Droht ein massiver Verlust an hochwertigen Arbeitsplätzen?

    Kühnert: Auch deshalb haben wir im vergangenen Jahr die Energiepreisbremsen eingeführt. Die SPD kann sich gut vorstellen, diese über das kommende Frühjahr hinaus zu verlängern, auch wenn sich die Marktpreise durch kluges politisches Handeln vorerst beruhigt haben. Gerade in den sehr energieintensiven Industriezweigen – Chemie, Aluminium oder Stahl – sind die aktuellen Energiepreise im internationalen Wettbewerb ein Problem. Deshalb ist die SPD Verfechterin eines Industriestrompreises, mit dem Strom für den Zeitraum, in dem wir noch nicht ausreichend günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung haben, nötigenfalls subventioniert wird. In einigen Jahren, wenn wir unseren Bedarf weitgehend mit erneuerbarer Energie decken können, entfiele dieses Instrument auch wieder. Aber bis dahin müssen wir gewährleisten, dass neue Fertigungsstätten und Arbeitsplätze bei uns entstehen können.

    Große Sorgen macht den deutschen Unternehmen auch der Mangel an Arbeitskräften, der sich in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Trotz vieler offener Stellen gibt es rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland, die zum Teil bereits lange arbeitslos sind. Im Juli tritt der zweite Teil der Bürgergeld-Reform in Kraft, dem SPD-Herzensprojekt. Das bedeutet etwa zusätzliche Zahlungen für Menschen, die an Weiterbildungen teilnehmen. Mit welcher Senkung der Arbeitslosenzahlen rechnen sie dadurch?

    Kühnert: Das darf man sich nicht so einfach vorstellen. Langzeitarbeitslose wieder in einen geregelten Arbeitsalltag zu bringen, erfordert hohen Einsatz von allen Beteiligten. Viele Betroffene plagen sich mit gesundheitlichen Problemen oder einer Überschuldung herum. Arbeit strukturiert nun mal das Leben und wer über Jahre keine gehabt hat, dem fehlt oftmals dieses Gerüst. Deshalb sind wir in der SPD stolz, dass wir über den Sozialen Arbeitsmarkt aktuell knapp 50.000 Menschen auf dem Weg zurück in die Erwerbstätigkeit begleiten. Deutschland kann es sich ökonomisch und sozial nicht leisten, auch nur auf hundert oder tausend von ihnen zu verzichten. 

    In dieser Woche wird in den Ausschüssen des Bundestags wieder über das Gebäude-Energie-Gesetz gesprochen. Auch in der entschärften Fassung wird es wohl für einen weiteren Anstieg der Wohnkosten sorgen. Was fordert die SPD für Hausbesitzer, was in Sachen Mieterschutz?

    Kühnert: Wir wollen einen fairen Ausgleich zwischen Eigentümer und Mieter. Genau jetzt verhandeln wir in der Koalition darüber, wie dieser Ausgleich im Detail aussehen kann. Mieterinnen und Mieter haben in den vergangenen Jahren viele Belastungen erlebt und wenig Entlastung erfahren. Wenn die SPD allein regieren würden, würden wir die Modernisierungsumlage absenken. Bisher kann der Vermieter jährlich acht Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umlegen, bis zu drei Euro pro Quadratmeter, das ist extrem viel. Wir sind überzeugt, dass vier Prozent genügen. Das würde bedeuten, dass sich eine Investition innerhalb von 25 Jahren amortisiert. Das wäre gerecht, ist aber nicht die Mehrheitsposition in der Koalition. Gerade die FDP hat da ganz weniger mieterfreundliche Vorstellungen als wir. Die Verhandlungen werden also nicht so einfach. Aber das gehört zur Demokratie und wir werden auch hier eine Lösung finden. Unser Versprechen bleibt: Wegen des Gebäudeenergiegesetzes wird niemand in Deutschland aus seinen vier Wänden herausgedrängt.

    Finanzminister Christian Lindner von der FDP will quer durch die Ressorts sparen, der Kanzler unterstützt ihn dabei. Doch lassen sich all die Vorhaben, über die wir gerade gesprochen haben, ohne neue Schulden überhaupt bezahlen?

    Kühnert: Wir haben in der Energiekrise einen Kreditrahmen über 200 Milliarden Euro bereitgestellt, den wir wohl auch durch gutes politisches Handeln nicht annähernd werden ausschöpfen müssen. Meine Partei findet: Diesen Rahmen sollten wir beherzt nutzen, um energie- und klimapolitisch dringliche Themen wie den Industriestrompreis oder mehr Förderung für die Wärmewende zu erledigen, ohne den Koalitionsvertrag zu brechen. Das würde nämlich genau dem Zweck dienen, den wir im letzten Jahr beschrieben haben: Wir müssen aus geo- und klimapolitischen Gründen schneller unabhängig von fossilen Energien werden. Darüber wird in den Haushaltsberatungen zu sprechen sein.

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