Herr Söder, Sie sind in diesen Tagen ständig im Hochwassergebiet, haben die große Hilfsbereitschaft erlebt, aber auch die Verwüstung gesehen. Was hat Sie besonders beeindruckt?
MARKUS SÖDER: Das sind aufwühlende Tage. Man spürt, wie extrem die Menschen betroffen sind und man lernt Demut vor der Natur. Am schlimmsten sind die Todesopfer, wir trauern um sie und mit den Angehörigen. Auch die materiellen Schäden für die Betroffenen sind furchtbar. Positiv beeindruckend ist die riesige Hilfsbereitschaft, das hervorragende Zusammenspiel der Rettungskräfte und der vielen freiwilligen Helfer, die jetzt aufräumen. Da ist es selbstverständlich, dass auch der Staat seinen Teil beiträgt. Wenn Menschen in Not sind, muss der Staat helfen. Wir lassen niemanden allein.
Die Bayerische Staatsregierung hat Soforthilfen auf den Weg gebracht, in Höhe von 100 Millionen Euro plus X. Gibt es bereits eine Einschätzung, wie groß dieses X am Ende werden wird? Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sagt, es könne das Dreifache werden.
SÖDER: Zuerst müssen die Schäden seriös ermittelt werden. Dann stellt sich die Frage, ob etwas versichert ist oder nicht. Es ist aber niemandem geholfen, jetzt zu spekulieren. Wir arbeiten mit dem zuständigen Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern gut zusammen. Er ist die Kompetenzstelle beim Thema Hochwasser.
Wie stellen Sie sicher, dass das Geld unbürokratisch ausgezahlt wird?
SÖDER: Wir helfen umfassend, unbürokratisch und direkt. Die Bürgerinnen und Bürger müssen angeben, dass sie durch das Hochwasser einen Schaden erlitten haben. Dann können sie schnell Geld erhalten. Auch wer eine Versicherung hat, kann staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Soweit die Versicherung greift, wird das Geld zurückbezahlt, es kann natürlich keine Überkompensation geben. Wenn eine Existenzgefährdung besteht, können die Hilfen sogar auf bis zu 100 Prozent des entstandenen Schadens gehen.
Zu den Schäden von den Bürgerinnen und Bürger kommen ja die Schäden an der Infrastruktur, an Schulen, Straßen, Brücken. Mal überspitzt gefragt: Wie viele solche Hochwasser-Ereignisse kann sich Bayern leisten?
SÖDER: Das ist keine Frage, die man in Euro beantworten kann. Wir erleben in Mittel- und Westeuropa große Veränderungen durch den Klimawandel. Auch bei uns wechseln sich vermehrt Dürren und Hochwasser ab. Deswegen müssen wir neben Klimaschutzmaßnahmen auch Klimaanpassung betreiben.
Hochwasserschutz ist Ländersache, doch die Summen, um die es geht, sind enorm. Inwieweit sehen Sie den Bund in der Pflicht?
SÖDER: Es braucht Unterstützung des Bundes. Wir helfen mit dem Fluthilfefonds ja auch anderen Bundesländern. Wir haben bislang weit mehr als 100 Millionen Euro einbezahlt und erwarten nun einen Rücklauf vor allem bei Schäden an der Infrastruktur. Die Wahrheit ist auch: Der Bund hat seine Unterstützung für Rettungsorganisationen zuletzt leider zurückgefahren, etwa beim THW. Das muss nochmals überdacht werden.
Auch gegenüber der Bayerischen Staatsregierung gibt es Kritik, sie habe nicht genug für den Schutz vor Hochwasser getan. Bei den Koalitionsverhandlungen 2018 etwa sollen die Freien Wähler den Bau mehrerer Polder verhindert haben. Haben wir dadurch wertvolle Zeit verloren?
SÖDER: Es ist schlicht und einfach falsch zu behaupten, Bayern habe beim Hochwasserschutz gekürzt. Im Vergleich zu unserem ersten Plan von vor 20 Jahren haben wir mit vier Milliarden Euro sogar fast das Doppelte ausgegeben. Und jetzt legen wir für die nächsten fünf, sechs Jahre noch einmal zwei Milliarden drauf.
Es geht ja nicht nur um Geld …
SÖDER: … richtig, deshalb: Für die Iller haben die Polder noch Schlimmeres verhindert. Die Polder an der Donau hätten für Schwaben und die kleineren Flüsse jedoch keine Relevanz gehabt. Beim jetzigen Donau-Hochwasser reichen die bisherigen Hochwassermaßnahmen aus. Das heißt, für das jetzige Geschehen hätten mehr Polder auch nicht die Lage verändert. Wir setzen insgesamt auf einen umfassenden Hochwasserschutz – mit technischen und natürlichen Maßnahmen. Aber es gibt leider nie eine Garantie für hundertprozentigen Schutz. So waren diesmal stärkere Regenereignisse, ein im Vergleich ohnehin hoher Grundwasserspiegel und aufgeweichte Dämme für die Situation in Schwaben ausschlaggebend.
Sie sagten bei einem Ihrer Besuche im Hochwassergebiet, oft fehle die Akzeptanz für Schutzmaßnahmen vor Ort.
SÖDER: Wahr ist, dass es vor allem bei den Freien Wählern grundsätzliche Debatten zur gesamten Polderstrategie gab. Inzwischen ist das anders. Wir als CSU haben die Notwendigkeit nie infrage gestellt. Die Realität ist aber auch, dass es vor Ort oft große Widerstände gegen den Bau von Poldern gibt. Die Akzeptanz ist parteiübergreifend gering – und die Umsetzung entsprechend zäh. Wir brauchen generell einen kommunalen Hochwasser-Check. Wir werden auch mehr Geld in den dezentralen Hochwasserschutz in den Gemeinden stecken müssen.
Wenn man die Bilder des Hochwassers sieht, dann stehen auch viele Neubaugebiete unter Wasser. Müssten Gemeinden deutlich restriktiver werden bei der Ausweisung von Baugebieten?
SÖDER: Bayern wächst zum Glück und wir brauchen Wohnraum. Aber wo und wie soll man bauen? Hoch soll man nicht bauen, nah soll man nicht bauen, außen soll man nicht bauen, Fläche soll man nicht verbrauchen und bei einem Hochwasser soll alles sicher sein. Wir müssen uns ehrlich machen. Wir werden mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber reden, wie wir mehr Sensibilität erreichen, wo man baut und was man tun muss, um sich gegen Hochwasser zu wappnen. Klar ist: Wir wollen die Menschen, die nach Bayern ziehen, willkommen heißen. Sie stärken unser Land und unsere Wirtschaft. Und diese Menschen brauchen Häuser, Kitas und Schulen.
Sie fordern auch eine Pflichtversicherung für Elementarschäden – doch oftmals weigern sich Versicherungsunternehmen, Policen abzuschließen, etwa, wenn man in einem Risikogebiet gebaut hat. Und wenn es klappt, sind sie fast unbezahlbar. Sind hier nicht auch die privaten Versicherer in der Pflicht?
SÖDER: Wir brauchen ein kollektives System, ähnlich wie beim Auto, also eine Pflichtversicherung für Elementarschäden. Wir müssen eine Lösung finden, die für alle Beteiligten machbar ist: Bürger, Versicherungen, Staat. Dazu braucht es einen Runden Tisch auf nationaler Ebene mit den Versicherungen.
Wegen des Hochwassers reden wir jetzt wieder verstärkt über den Klimawandel. Im Europawahlkampf fordern CDU und CSU, das europaweite Verbrenner-Aus, welches das Klima schützen soll, wieder rückgängig zu machen. Passt diese Forderung jetzt noch in die Landschaft?
SÖDER: Ein Verbrenner-Verbot bringt ökologisch wenig. Industriepolitisch ist es sogar Unsinn. Wir beenden damit nur eine Technologie, die immer noch weltweit gefragt ist. Außerdem sind die Verbrennermotoren heute nicht mehr die von vor 20 Jahren. Sie sind deutlich sparsamer und dank klimaneutraler Kraftstoffe gehen wir davon aus, dass Verbrenner bis 2035 weitgehend klimaneutral fahren können. Der größte Fehler der Bundesregierung war, dass sie die Förderung für E-Autos über Nacht gestrichen hat. Mit der Folge, dass China bei uns den Markt übernehmen will. Wir setzen deshalb auf eine technische Weiterentwicklung des Verbrenners und eine Rückkehr zur Förderung des E-Autos. Sie sollte sogar deutlich angehoben werden. Denn das Auto ist in einem Flächenland wie Bayern unverzichtbar.
Damit nehmen Sie in Kauf, dass die Menschen weiter Neuwagen mit fossilen Kraftstoffen fahren können?
SÖDER: Wir setzen auf technischen Fortschritt, nicht auf Verbote. Die bisherigen Konzepte der Bundesregierung, Klimaneutralität zu erreichen, sind jedenfalls gescheitert. Das gilt für die Elektromobilität genauso wie für das Heizgesetz, das unbeabsichtigt zum größten Förderprogramm für Ölheizungen wurde. Wir müssen Klimaschutz mit den Menschen machen und nicht gegen sie.
Aber man kann eine Rücknahme auch als Signal verstehen, Leute, wir können so weitermachen wie bisher. Wie passt das zu ambitionierten Klimaschutzzielen Bayerns?
SÖDER: Wir erreichen diese Ziele in Deutschland nicht mit Verboten, sondern nur mit kluger Politik, wie sie auch andere Länder praktizieren. Schweden setzt zum Beispiel auf eine Kombination von Kernkraft und erneuerbaren Energien. Der Ausbau der Erneuerbaren ist wichtig und sinnvoll. Aber mit dem Verzicht auf Atomkraft und Kohle steigen wir in Deutschland gleichzeitig aus zwei grundlastfähigen Energiequellen aus. Anstatt auf klimafreundliche Kernkraft setzt die Ampel auf eine Unzahl von kleinen Maßnahmen, die im Vergleich dazu wenig bringen, das Land unnötig belasten, den Mittelstand schwächen und von einem Teil der Bevölkerung nicht akzeptiert werden.
Weil die Grünen einen anderen Weg im Klimaschutz gehen wollen, ist eine politische Annäherung an sie nicht denkbar?
SÖDER: Die Grünen hatten fast drei Jahre Zeit, in der Regierung etwas voranzubringen. Diesen Nachweis sind sie schuldig geblieben. Bei allem Respekt vor den ethischen Beweggründen, aber dieser Partei fehlen die Management-Qualitäten für einen derart großen Transformationsprozess. Die Grünen sind Mahner, aber keine Macher.
Sie sagten eingangs, man lerne angesichts der Katastrophe Demut vor der Natur. Wo kommt das im Handeln der Staatsregierung zum Ausdruck?
SÖDER: Ein Beispiel: Durch das Schmelzen der Gletscher schrumpft ein wesentlicher Bestandteil der Wasservorsorge für den Sommer in Südbayern. Deswegen werden wir noch in diesem Jahr ein weiterentwickeltes Wasserkonzept vorlegen, wie wir ressourcenschonend mit Wasser umgehen. Mit Blick auf die derzeitigen Wassermassen klingt das vielleicht seltsam, aber denken Sie daran, dass wir letztes Jahr wenig Grundwasser hatten.
Und was bedeutet das für die Bürger?
SÖDER: Zusammen mit Umweltminister Thorsten Glauber arbeiten wir an Vorschlägen für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt, Wasserspeicherungen und den Schutz von Grundwasser. Dabei geht es darum, wie wir Wasser besser sparen können, wie die Wasserversorgung im Land sichergestellt wird und wie neben ausreichend Trinkwasser auch genügend Wasser für unsere Landwirtschaft gewährleistet wird. In diesem Gesamtkonzept wird auch der Wasser-Cent diskutiert werden.
Zur Person
Markus Söder (57) ist seit März 2018 Ministerpräsident in Bayern. Der CSU-Politiker regiert in einer Koalition mit den Freien Wählern.