Herr Söder, früher war es in Bayern mal so, dass die CSU mächtig stolz darauf war, zu sagen, Bayern ist gleich CSU, CSU ist gleich Bayern. Jetzt heißt Bayern eher CSU und Freie Wähler. Haben Sie Ihren Alleinvertretungsanspruch aufgegeben? Verblasst der Mythos CSU?
Söder: Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger stellt sich in diesen schwierigen Zeiten vermutlich ganz andere Fragen. Unser Ziel ist, dass wir Bayern so gut wie möglich durch die Krisen bringen. Dafür machen wir als Staatsregierung alles, was möglich ist. Wir legen einen milliardenschweren Härtefallfonds auf, um die Menschen, unsere Wirtschaft und Einrichtungen im ganzen Land zu entlasten. Gleichzeitig investieren wir massiv in erneuerbare Energien und Wasserstoff. Wir sind überzeugt: Ein starkes, unabhängiges Bayern tut auch Deutschland gut. Wir wollen unsere Selbstständigkeit bewahren und keine Vorgaben aus Berliner Parteizentralen bekommen. Deshalb wollen wir die bürgerliche Regierung in Bayern mit den Freien Wählern fortsetzen. Je größer die Krisen sind, desto ernsthafter ist unsere Zusammenarbeit.
Als wir an dieser Stelle Hubert Aiwanger gefragt hatten, wie er sich mit Ihnen als Chef so versteht und ob Sie sich mögen, hat er nach einer kleinen Kunstpause gesagt: Ja mei, mögen …
Söder: Ich mag ihn. (lacht)
Das heißt?
Söder: Es ist wie in jeder Familie und jedem Unternehmen: Einer muss am Ende die unterschiedlichen Interessen zusammenführen. Ein Ministerpräsident ist ja auch Landesvater, das heißt, man muss fühlen und führen können. Und am Ende auch Entscheidungen treffen, wenn andere sich wegducken – wie zum Beispiel zu Beginn der Corona-Pandemie, als es keine Blaupause gab. Ein Ministerpräsident muss außerdem vermitteln und ausgleichen können, erst recht in einer Koalition. Hubert Aiwanger ist ein fleißiger Minister, gerade jetzt in der Krise arbeiten wir sehr gut zusammen. Deswegen wollen wir die gemeinsame Arbeit fortsetzen. Wir setzen auf Stabilität in unserem Land.
Vermutlich haben Sie beide auch wenig übrig für die Proteste radikaler Klimaaktivisten. Aber muss man gleich von einer RAF sprechen, wie etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt?
Söder: Es ist sicher eine zugespitzte Formulierung, aber Alexander Dobrindt weist völlig zu Recht auf ein Problem hin: Es besteht die Gefahr, dass sich die Proteste radikalisieren. Ein Rechtsstaat muss eine klare Linie haben, wenn es um Leib und Leben geht oder um Eigentum und Sachbeschädigung. Wer Kunstwerke verunstaltet oder Rettungsfahrzeuge blockiert und damit indirekt Leben gefährdet, überschreitet eine Grenze. Wir hatten große Demonstrationen von „Fridays for Future“, die wurden von mir inhaltlich nie kritisiert, im Gegenteil: Ich habe mit den jungen Menschen viele Gespräche geführt. Aber die heutige Form der Proteste mit der Gefährdung von Menschen ist damit nicht zu vergleichen. Klimaschutz hatte für mich schon immer einen hohen Stellenwert. Dem einen oder anderen in meiner Partei war es sogar zu viel, wenn man zufällig mal einen Baum umarmt hat…
Das war doch kein Zufall, oder?
Söder: Ein Baum ist doch etwas Wunderschönes. Es hat jedenfalls mehr Freude gemacht als mit einem Betonpfeiler. Aber im Ernst: Auch bei einem sehr berechtigten Anliegen wie Klimaschutz gibt es keinen rechtsfreien Raum. Wer gegen das Recht handelt, muss mit dem Rechtsstaat rechnen.
Für den Klimaschutz soll auch das 49-Euro-Ticket helfen. Wie stellen Sie sicher, dass das marode bayerische Schienennetz ertüchtigt wird und auf die Bahn als Verkehrsmittel wieder Verlass ist?
Söder: Wir haben als Staatsregierung beim Thema Schiene leider nur begrenzten Einfluss. Für die Regionalisierungsmittel ist der Bund zuständig, für den Bau die Bahn. Wir schießen als Freistaat bereits erhebliche Mittel zu, obwohl wir dazu nicht verpflichtet wären. Das 49-Euro-Ticket kann aus unserer Sicht nur Teil eines großen Ganzen sein. Für die Bewohner in Ballungsräumen ist es sicher ein Gewinn. Aber im ländlichen Raum, in dem Bus und Bahn bei weitem nicht so häufig fahren, hilft den Menschen ein günstigeres Ticket wenig. Deswegen fordern wir gemeinsam mit sämtlichen Bundesländern mehr Geld für den Ausbau des Angebots. Die Ampel bleibt allerdings leider weit hinter ihren eigenen Ankündigungen zurück. Es darf nicht sein, dass der ländliche Raum vernachlässigt wird. Deshalb braucht es für die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, auch wieder eine Spritpreisbremse.
Das Problem zwischen Stadt und Land gibt es auch bei den Gaspreis-Entlastungen. Sehr viele Menschen in Bayern heizen mit Öl oder auch Pellets. Warum werden sie nicht entlastet?
Söder: Das ist in der Tat ein großer Schwachpunkt bei den Entlastungen durch den Bund, daher werden wir als Freistaat hier einspringen. Uns wird manchmal vorgeworfen, wir würden nur Berlin kritisieren. Aber es geht uns um Bayern. Noch an Ostern hieß es zum Beispiel aus dem Bundeswirtschaftsministerium, der Bund werde den für Bayern wichtigen Gasspeicher im österreichischen Haidach nicht befüllen, das sollen wir selbst machen. Ein einzigartiger Vorgang, das hätte es in keinem anderen Bundesland gegeben. Erst nach unserer Intervention beim Bundeskanzler ging etwas voran.
Der Bund hat ein 200-Milliarden-Entlastungspaket aufgelegt …
Söder: … dem jetzt endlich auch Taten folgen müssen. Wir haben vom Bund frühzeitig Energiepreisbremsen gefordert und dazu eigene Vorschläge vorgelegt. Leider hat die Ampel zu spät reagiert. Die Gaspreis-Kommission hätte viel früher eingesetzt werden müssen, sie hat aber in der Kürze der Zeit sehr gut gearbeitet. Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass man die Gaspreisbremse auch für den Januar vorzieht. Und für Öl und Pellets sieht der Bund überhaupt keine Entlastungen vor. Je ländlicher man allerdings wohnt, desto mehr wird mit Öl und Holz geheizt. Deshalb werden wir in Bayern mit unserem Nothilfsprogramm unterstützen. Es darf kein Heizen erster und zweiter Klasse geben.
Wer bekommt die Hilfen?
Söder: Es ist noch völlig unklar, wie der Härtefallfonds des Bundes genau aussehen wird. Es braucht aber Tempo, denn wir benötigen Klarheit. Wir werden mit unserem bayerischen Programm dann vor allem dort aufsetzen, wo die Bundesmaßnahmen nicht reichen: bei existenzgefährdeten kleinen und mittelständischen Unternehmen, bei Handwerkern, Bäckern und Metzgern, bei Menschen mit geringen und mittleren Einkommen sowie Kultur, Sport, Gesundheit, Pflege, Vereinen und sozialen Einrichtungen.
Wird das reichen?
Söder: Wir werden alles tun, damit wir gut durch den Winter kommen. Bayern hat eine größere Substanz als viele andere, deshalb sollten wir optimistisch bleiben. Die Frage wird sein, wie es langfristig mit der Energieversorgung in Deutschland aussieht. Klar ist: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss weiter mit voller Kraft vorangehen. Bayern liegt bundesweit an der Spitze, wir sind Erster bei Fotovoltaik, Wasserkraft, Geothermie und Biomasse – und wir werden weiter massiv zulegen, auch beim Wind. Aber als Industrienation wird Deutschland nicht allein mit den Erneuerbaren auskommen, wir werden dauerhaft eine weitere Energiebrücke brauchen. Es ist deshalb schwer verständlich, warum wir nicht zumindest die Möglichkeit prüfen, mit neuesten Technologien eigene Gasvorkommen zu heben. Flüssiggas aus den USA – übrigens auch per Fracking gefördert und über den Atlantik transportiert – ist um ein Vielfaches teurer. Genauso unverständlich ist das Abschalten der Kernkraft im April. Unser dringender Appell: Wir müssen die Kernkraft für die Zeit der Krise verlängern, mindestens bis Ende 2024. Ohne wettbewerbsfähige Versorgung mit Gas und Strom droht Deutschland ein erheblicher Wohlstandsverlust.
Die hohen Lebenshaltungskosten belasten vor allem Menschen am unteren Einkommensende. Warum will die Union das von der Koalition beschlossene Bürgergeld im Bundesrat blockieren?
Söder: Das Wort Blockade ist ein politischer Kampfbegriff – und hier fehl am Platz. Die Regelsätze müssen in schwierigen Zeiten angehoben werden, keine Frage. Friedrich Merz hatte für die Union angeboten, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen und dann in Ruhe über die Reform zu sprechen. Das wollte die Bundesregierung nicht. Deshalb werden die Länder im Bundesrat nun ihr verfassungsmäßiges Beteiligungsrecht wahrnehmen. Es gibt breite Kritik an dem Gesetz auch aus der Wissenschaft, der Wirtschaft oder dem Handwerk. Wir sind der festen Überzeugung: Wer nicht arbeiten kann, verdient die volle Solidarität der Gesellschaft. Wer aber nicht arbeiten will, sollte motiviert werden können, einen Job anzunehmen. Die Abkehr des Prinzips vom Fördern und Fordern ist ein gravierender Fehler, daher wird Bayern dem Bürgergeld im Bundesrat nicht zustimmen.
Und was dann?
Söder: Wenn die Länder nicht zustimmen, geht das Gesetz in den Vermittlungsausschuss. Dann werden wir versuchen, eine mehrheitsfähige Lösung für eine Reform zu finden. Es wäre besser gewesen, die Bundesregierung hätte uns schon vorher einbezogen. Aber das ist leider ein Wesensmerkmal der Ampel: Sie trifft ihre Entscheidungen für sich und stellt die Länder vor vollendete Tatsachen.
Was sind für Sie die Punkte beim Bürgergeld, an denen Sie nicht mitgehen?
Söder: Wir haben zwei Hauptkritikpunkte. Wenn Friseurinnen, Busfahrer, Kassiererinnen oder Polizeimeister feststellen müssen, dass Nichtarbeiten so lukrativ ist wie Arbeiten, finden das viele einfach nicht mehr richtig. Das Bürgergeld mit Regelsatz, Wohn- und Heizkosten sollte nicht über dem Einkommensniveau von hart arbeitenden Menschen liegen, die gerade so über die Runden kommen. Der Grundsatz muss sein: Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Und der zweite Punkt?
Söder: Es braucht Sanktionsmöglichkeiten. Ein Beispiel: Im Sommer mangelte es an den Flughäfen an Arbeitskräften, die Koffer von A nach B tragen. In so einer Situation ist es absurd, wenn die Jobcenter leistungsfähige Menschen kaum noch auffordern dürfen, eine Arbeit anzunehmen. Wenn jemand, der Arbeit verweigert, dann nicht weniger Leistungen erhält, ist das unfair gegenüber all jenen, die arbeiten und Beiträge zahlen.
Es ist nicht einmal ein Jahr bis zur Landtagswahl in Bayern. Vor vier Jahren sagten Sie, ein bayerischer Ministerpräsident sollte nur zwei Legislaturperioden regieren, zehn Jahre seien genug. Treten Sie nächsten Herbst zum letzten Mal an?
Söder: Es gab damals im bayerischen Landtag einen Vorschlag von mir, die Amtszeit des Ministerpräsidenten auf zwei Wahlperioden zu begrenzen. Grüne und SPD haben das Angebot abgelehnt. Daraus schließe ich, dass Grüne und SPD der Meinung sind, ich solle länger im Amt bleiben. (lacht) Im Ernst: Die Menschen haben im Moment andere Sorgen, als jetzt schon an die übernächste Landtagswahl zu denken. Aus unserer Sicht gilt für das nächste Jahr: Der Wahlkampf soll sehr spät beginnen und nicht lange dauern. Wir haben so viele Herausforderungen zu meistern, dass Wahlkampfdebatten eher quälen und behindern. Die Menschen erwarten mit Recht, dass wir uns um ihre Sorgen kümmern.
Sie könnten ja nach den zehn Jahren eine Anschlussverwendung in Berlin anstreben – wie Ihr Vorgänger Horst Seehofer. Vielleicht dann als Kanzlerkandidat?
Söder: Das Thema ist abgeschlossen. So ein Moment bietet sich in einem CSU-Leben nur ein einziges Mal, wie die Geschichte bei Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber zeigt. Um es mit dem Spruch vom Bayerischen Rundfunk zu sagen: Ich bin der Markus, da bin ich daheim. Und da bleibe ich auch.
Eine Frage hat uns noch ein Leser mitgegeben, die uns auch brennend interessiert. Jetzt müssen Sie sich warm anziehen: Es geht um Ihre Kleidung. Warum tragen Sie fast immer eine Strickweste unter Ihrem Sakko und ist das eigentlich immer die gleiche?
Söder: Nein, es gibt einige davon. Genau genommen ist das keine Strickweste wie bei Helmut Kohl, sondern ein Zipper. Aber zugegeben, ich bevorzuge ein begrenztes Farbrepertoire. Gelb oder Rot wäre bei mir wohl unpassend (grinst). Im Winter ist so ein Zipper etwas wärmer und gemütlich. Auch wenn manche sagen, es gäbe Schöneres: Mir gefällt´s.