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Interview: Manfred Weber: "Bei den Sparbeschlüssen tragen die Bauern die Hauptlast"

Interview

Manfred Weber: "Bei den Sparbeschlüssen tragen die Bauern die Hauptlast"

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    Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, kritisiert die ablehnende Haltung vieler Menschen im Land gegenüber Bauern.
    Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, kritisiert die ablehnende Haltung vieler Menschen im Land gegenüber Bauern. Foto: Jan-Philipp Strobel, dpa

    Herr Weber, Sie kommen gerade von der großen Kundgebung der Bauern in München. Haben Sie Verständnis für die Anliegen der Landwirte?
    MANFRED WEBER: Ich habe die Bauern als Bürger erlebt, die für ihre Interessen eintreten, werben und demonstrieren. Das ist ein starkes Zeichen von bürgerschaftlichem Engagement. Da muss ich sagen: Respekt! Ich lehne die negative und teils herablassende Art und Weise, wie manche in unserem Land über die Bauern sprechen, ab. Bauern sorgen dafür, dass wir mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt werden. Sie verlangen faire Wettbewerbsbedingungen und keine Almosen. Unsere Bauern stehen im Wettbewerb zu ihren Kollegen in Frankreich, in Polen, in Italien, international. Und da spielt die Steuerbefreiung beim Agrardiesel eine wichtige Rolle. 

    Auf der anderen Seite ist die Ampelregierung den Bauern doch schon weit entgegengekommen. Wäre es nicht verantwortungsvoller, jetzt die Proteste zu beenden, anstatt ganze Landstriche lahmzulegen?
    WEBER: Es ist nur ein kleiner Teil der Kürzungen zurückgenommen worden. Die maßgebliche Frage betrifft den Agrardiesel, und hier sollen die Kürzungen weiterhin kommen, wenn auch zeitlich gestreckt. Daher bleibt der Protest gerechtfertigt. Bei den Sparbeschlüssen der Ampel tragen die Bauern die Hauptlast. Das entspricht nicht der Wertschätzung, die unsere Nahrungsmittelproduzenten verdient haben. Und genau diese Wertschätzung wollen wir in diesen Tagen zum Ausdruck bringen. Nicht umsonst haben sich zahlreiche andere Gruppen – Bäcker, Metzger, Transportunternehmer, die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft – mit den Bauern solidarisiert. 

    Wenn Sie von Wertschätzung sprechen, woran fehlt es? 
    WEBER: Mir hat ein Bauer in Niederbayern mal ein Foto gezeigt von seinem Hof, der abgebrannt war, aufgrund eines technischen Defekts. Und am Tag später, auch da hatte er ein Foto, hat jemand ein handschriftliches Plakat aufgestellt: „Ein Umweltsünder weniger“. Diese Abneigung, diese Aggression, dagegen müssen wir gesamtgesellschaftlich angehen. Wenn Bauern als Umweltsünder verteufelt werden, als Tierquäler, dann ist es an der Zeit, dagegenzuhalten. Ganz ehrlich: Wenn ich den Vertreter der Grünen bei der Demonstration am Odeonsplatz höre, dann ist das kein Angebot zum Brückenbauen, dann führt das eher dazu, dass Spaltungen vertieft werden. 

    Zum Brückenbauen gehören immer zwei Seiten. Einige Bauern haben zuletzt Bundeswirtschaftsminister Habeck daran gehindert, die Fähre zu verlassen, mit der er aus dem Urlaub zurückkam. Sind das die ersten Zeichen einer Gelbwestenbewegung in Deutschland?
    WEBER: Solche Attacken gehen gar nicht, und es ist gut, dass die Vorsitzenden der Bauernverbände da für Klarheit gesorgt haben. Die große Mehrheit der Bauern demonstriert total vernünftig. Laut Polizei gibt es so gut wie keine Probleme.75.000 Teilnehmer bei Bauernprotesten: Weshalb die

    Bayerns Politiker scheinen sich derzeit richtig übertrumpfen zu wollen bei der Solidarität mit den Bauern. An allererster Stelle ist da Hubert Aiwanger, der sich zum obersten bayerischen Bauernführer aufschwingt. Stört Sie das?
    WEBER: Am Ende kommt es doch darauf an: Wer kann den Bauern tatsächlich helfen? Und das ist die CSU. Schauen Sie auf die europäische Ebene. Wer hat die massive Flächenstilllegung des "Nature Restoration Law" gestoppt? Wir von der Europäischen Volkspartei und der CSU. Wer hat das Gesetz zum Pflanzenschutz gestoppt, das die Weinbauern und andere stark belastet hätte? Herr Aiwanger und seine Leute spielen keine Rolle, wenn es ernst wird für die Bauern. Er poltert zwar im Bierzelt, aber ist nie in Brüssel, wo entschieden wird. Und wir bleiben auch seriös, wir versprechen nicht, was wir nicht halten können. Ich sage zum Beispiel, dass wir Regeln für gesundes Grundwasser brauchen, weil es da offenkundige Probleme gibt. Und die Bauern lehnen doch nicht alles rundheraus ab. Sie wollen aber fachlich überzeugt werden. Wenn Politik das nicht mehr schafft, dann entsteht Frust.

    Hubert Aiwanger sagt ja von sich, dass er der Landbevölkerung eine Stimme gibt. Das müsste doch eigentlich ihr Verbündeter sein?
    WEBER: Aiwanger ist ein Spieler, er testet Grenzen aus, er ist eine Person mit mehreren Gesichtern. Das haben wir im Landtagswahlkampf erlebt und ich erwarte eine Wiederholung dessen bei den anstehenden Wahlkämpfen. Jedem muss bei der Europawahl klar sein: Die CSU ist die einzige Partei, die einzig und allein bayerische Interessen vertritt, unsere Europaabgeordneten kommen allein aus Bayern. Wer Freie Wähler wählt, bekommt Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt. Das ist das zentrale Argument. 

    Mit Verlaub, wir können die Handschrift der CSU in Brüssel so nicht erkennen. Im Gegenteil: Von allen Seiten kommen Hiobsbotschaften für die Bauern, für die deutsche Wirtschaft aus
    WEBER: Jetzt mal langsam! Die CSU hat durchgesetzt, dass Holz weiter als nachwachsender Rohstoff gilt und als regenerative Energiequelle anerkannt wird. Wir haben durchgesetzt, dass der Schutzstatus des Wolfs reduziert wird. Das sind zentrale Themen für Bayern, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wahr ist aber auch: In Brüssel gibt es eine Art europäische Ampel aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, die ideologische Politik machen. Beim Verbrenner-Verbot kann ich den Bürgern nur sagen: Bedanken Sie sich bei der FDP und Freien Wählern, die völlig einflusslos in ihrer Fraktion sind. Die liberale Fraktion hat gegen den Verbrenner gestimmt. Meine Zusage hingegen lautet: Wenn wir im nächsten Europaparlament eine Mehrheit haben, dann werden wir diesen offensichtlichen Fehler heilen. Wir wollen Technologieoffenheit, um die Klimaziele zu erreichen. Das Verbot des Verbrenners muss vom Tisch.

    Ihre Unions-Parteifreundin Ursula von der Leyen hat bei der CSU-Klausur in Seeon soeben das Loblied auf die Bauern gesungen, ist bei ihrer Tätigkeit in Brüssel jedoch bislang nicht als Verbündete der Landwirte aufgefallen. Wird sie sich für die Europawahlen im Juni als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei für das Amt der Kommissionspräsidentin bewerben?
    WEBER: Sie wird sich zur rechten Zeit äußern. Wir werden im März in Bukarest unsere Spitzenkandidatin oder unseren Spitzenkandidaten nominieren und gemeinsam unser Programm formulieren. Ursula von der Leyen hat bereits klar zum Ausdruck gebracht, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas eines der prägenden Themen für die kommenden fünf Jahre ist. Das ist die richtige Richtung. Denn dabei geht es um eines der großen Versprechen der Europäischen Union: den Wohlstand zu erhalten. Das zweite große Versprechen

    Frau von der Leyen hat Deutschland als Verteidigungsministerin nicht gerade mit den höchsten Zustimmungsraten verlassen. Wird sie ein gutes Zugpferd für den Wahlkampf in Deutschland sein? 
    WEBER: Mein Ziel ist es, dass die europäische Ampel abgewählt wird. Ich bin da sehr zuversichtlich. Und ich bin besonders motiviert, weil wir als Europäische Volkspartei mittlerweile mit zwölf Staats- und Regierungschefs am Ratstisch sitzen. Wir haben alle Chancen, bürgerliche Politik durchzusetzen.

    Sie waren bei den letzten Europawahlen Spitzenkandidat, mussten dann aber Frau von der Leyen ins Amt der Kommissionspräsidentin den Vortritt lassen. Ihr Parteifreund Markus Ferber hat im Interview mit unserer Redaktion gesagt, es sei ein Fehler gewesen, Frau von der Leyen zu wählen. Sehen Sie das auch so?
    WEBER: Sie wissen, dass das für mich keine einfache Frage ist. Klar ist: Bei der Wahl 2019 ist schwerer Schaden für die europäische Demokratie entstanden. Die Idee war, den Menschen vorher zu sagen, wer im Falle eines Wahlsiegs Kommissionspräsident wird. So wie es bei jeder anderen Wahl selbstverständlich ist. Wir konnten das in Europa nicht durchsetzen, auch, weil die Sozialdemokraten im Parlament dieser Idee in den Rücken gefallen sind. Als ich gesehen habe, dass die Tür sich schließt, habe ich die Verantwortung übernommen, um bürgerliche Politik möglich zu machen. Das war keine Selbstverständlichkeit, erinnern Sie sich - Frau von der Leyen wurde denkbar knapp mit acht Stimmen Mehrheit gewählt. Doch die Bilanz der vergangenen fünf Jahre ist gut, weil wir zusammenarbeiten und die Themen anpacken. Wir haben die Corona-Pandemie europäisch in den Griff bekommen und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit Geschlossenheit beantwortet. Jetzt gilt es, ein neues Kapitel aufzuschlagen.

    Aktuell steht die CSU in Umfragen relativ gut da. Es kommt aber gerade bei Europawahlen auf die Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler an. Wie wollen Sie das hinkriegen?
    WEBER: Die erste Frage, die bei der Wahl zu beantworten ist, lautet: Wie geht es mit Europa weiter? Wir haben 30 Prozent Rechtsradikale in Frankreich, über 20 Prozent in Deutschland, 40 Prozent Nationalisten in Polen. Da geht es um die Grundsatzfrage, ob Europa überhaupt weiter funktioniert. Wenn Herr Höcke sagt, dieses Europa muss sterben, dann sage ich als Christsozialer, ich werde es verteidigen. Wir müssen Europa gerade heute stärken. Die zweite Frage lautet: Welches Europa wollen wir? Da sage ich: Schluss mit linker Ideologie, hin zu einer bürgerlichen Politik.

    Die AfD in Deutschland profitiert vor allem vom Thema Migration. Warum gelingt es bisher nicht, Migration besser zu steuern, auch, um den Radikalen das Wasser abzugraben?
    WEBER: Da bin ich sehr zuversichtlich. Kurz vor Weihnachten ist es uns nach sieben Jahren quälender Debatte gelungen, einen europäischen Kompromiss zu erzielen. Die Kernbotschaft heißt: Die EU-Außengrenzen werden sicherer. Wir werden dort geschlossene Camps für Geflüchtete einrichten. Dort soll dann sehr schnell entschieden werden, ob jemand eine Bleibeperspektive hat oder nicht. Damit entscheidet der Staat und nicht die Schlepperbanden, wer in die EU kommt und wer nicht. Ich erwarte, dass auch die Grünen in Europa diesen Kompromiss genauso mittragen wie ihre Kollegen in Deutschland. Wer da nicht mitmacht, macht sich mitverantwortlich für wachsenden Rechtsradikalismus.

    Noch ist das alles ja kein Gesetz. Wie lange wird es dauern, bis der Kompromiss wirksam wird?
    WEBER: Die Umsetzung ist eine Frage des politischen Willens, insbesondere der italienischen und griechischen Regierung. An der griechisch-türkischen Grenze gibt es bereits europäische Camps, die schnell zu geschlossenen Camps werden können. Unser erstes Ziel muss nach der politischen Einigung sein, dass die Migrationszahlen im Frühjahr nicht wieder so stark steigen wie im vergangenen Jahr. Das Allerwichtigste dabei ist, die Abkommen mit der türkischen und der tunesischen Regierung unter Dach und Fach zu bringen. Das Türkei-Abkommen von 2016 bleibt das Vorbild. Und das Geld, das wir dafür in die Hand nehmen müssen, ist eine verschwindend kleine Summe im Vergleich zu dem, was uns die fehlgeleitete Migrationspolitik der Ampel heute kostet. 

    Die Europawahlen im Juni setzen den Auftakt für eine ganze Reihe von wichtigen Wahlen, erst im Herbst drei Landtagswahlen im Osten, dann im Jahr darauf die Bundestagswahl. Wäre CDU-Chef Friedrich Merz aus heutiger Sicht der richtige Kanzlerkandidat der Union?
    WEBER: Friedrich Merz hat den ersten Zugriff. Er ist in der Pole-Position. Er hat bewiesen, dass er die richtigen Themen setzt. Er hat den Mut, auch heikle Themen anzusprechen, Stichwort Migration. Und er hat gezeigt, dass er die Union zusammenführen kann. Und das ist ja schon mal mehr als man von der vergangenen Bundestagswahl sagen kann. Letztlich werden CDU und CSU gemeinsam entscheiden.

    Zur Person

    Manfred Weber, 51, ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der EVP. Dem Europäischen Parlament gehört er seit 2004 an.

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