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Interview: Lisa Paus: "Die wahren Verbotsparteien sind CDU und CSU"

Interview

Lisa Paus: "Die wahren Verbotsparteien sind CDU und CSU"

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    Bundesfamilienministerin Lisa Paus sieht sich als Gewinnerin im Streit um die Kindergrundsicherung.
    Bundesfamilienministerin Lisa Paus sieht sich als Gewinnerin im Streit um die Kindergrundsicherung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Frau Paus, wie verbringen Sie Weihnachten?
    LISA PAUS: Wie jedes Jahr fahre ich mit meinem Sohn in meinen Heimatort nach Niedersachsen, wo sowohl meine Mutter als auch meine beiden Brüder mit ihren Familien leben. Mit Schnee rechnen wir dort nicht, es sieht wieder nach grünen Weihnachten aus. Wir essen gemeinsam, über das Menü wird demokratisch abgestimmt, jedes Mal neu. In diesem Jahr gibt es Zwiebelsuppe, danach ein Filet und als Nachtisch Herrencreme.

    Herrencreme?
    PAUS: Vanillepudding mit ordentlich Sahne, Zartbitter-Schokostreuseln und Rum, natürlich nur für die Erwachsenen. Eine Spezialität aus dem Münsterland, woher meine Mutter und mein verstorbener Vater stammen. Nach dem Essen lesen wir die Weihnachtsgeschichte. Ich bin ja katholisch aufgewachsen. Nach einem kleinen Spaziergang kommt das Christkind, nicht der Weihnachtsmann wie in Berlin. Als die Kinder noch kleiner waren, hat das immer für Irritationen gesorgt. Es gehört auch zu meinen "Aufgaben", die Krippe aufzustellen und den Baum zu schmücken.

    In nicht wenigen Familien gibt es ja unterm Baum auch mal Zoff. Ihre älteren Brüder betreiben eine Fabrik, die schwere Fahrzeuge für den Berg- und Tunnelbau herstellt. Sind die mit der Politik Ihrer Partei, der Grünen, immer einverstanden?
    PAUS: Das haben wir bisher gut hinbekommen, obwohl wir politisch oft nicht einer Meinung sind. Einer meiner Brüder ist auch in einer anderen Partei als ich. Aber unterschiedliche Meinungen und Diskussion gehören zu einer Demokratie! Wir lieben uns, wir feiern zusammen. Und wenn wir merken, dass wir in einer bestimmten Frage ganz anders denken, dann tauschen wir uns auch darüber aus, aber müssen nicht stundenlang darüber streiten. Dann können wir genauso gut Karten spielen.

    Ihr Streit mit dem Bundesfinanzminister von der FDP um die Kindergrundsicherung war vielleicht das härteste politische Duell des Jahres. Haben Sie Christian Lindner eigentlich eine Weihnachtskarte geschrieben?
    PAUS: Aber selbstverständlich.

    Was steht drin?
    PAUS: Äh. Lieber Christian, frohe Weihnachten.

    Also alles wieder gut?
    PAUS: Natürlich war das eine intensive Auseinandersetzung und in vielen Dingen sind wir inhaltlich nicht einer Meinung. Aber der Umgang miteinander war immer ein guter. Wir schätzen aneinander die klare und offene Art.

    Für das Projekt Kindergrundsicherung haben Sie ja anfangs zwölf Milliarden Euro gefordert, dann sieben, jetzt bekommen Sie 2,4 Milliarden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis Ihrer Auseinandersetzung?
    PAUS: Wir haben den Einstieg in die Kindergrundsicherung, wir haben eine materielle Verbesserung für Millionen armer Kinder. Vor allem sorgen wir dafür, dass unzählige Familien endlich das bekommen, was ihnen zusteht, viele kennen ihre Ansprüche ja gar nicht. Ja, die 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2025 sind nicht genug, aber nach dem Gesetz, dem auch Christian Lindner zugestimmt hat, werden es sechs Milliarden Euro sein, wenn wir 80 Prozent der Antragsberechtigten erreichen. Deswegen ist es ein guter Kompromiss.

    Ein Kompromiss, der von allen Seiten kritisiert wird. Sozialverbände fürchten, dass das Geld vor allem für Verwaltung draufgeht …
    PAUS: Der Kern ist doch, dass die Familien wissen, dass ab 2025 die Kindergrundsicherung bei ihnen ankommt. Dafür hat sich die Auseinandersetzung gelohnt.

    Bundesfamilienministerin Lisa Paus lag im Dauerstreit mit FDP-Parteichef Christian Lindner.
    Bundesfamilienministerin Lisa Paus lag im Dauerstreit mit FDP-Parteichef Christian Lindner. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Auch aus den Arbeitsagenturen und aus den Ländern kommen Bedenken, sie befürchten Doppelstrukturen, dass mehr statt weniger Bürokratie entsteht, es müssen ja bei der Bundesagentur für Arbeit 5000 neue Stellen aufgebaut werden ...
    PAUS: Mit der einen Anlaufstelle für alle kinderbezogenen Leistungen reduzieren wir die bisherigen Doppelstrukturen. Familien, die ihre Leistungen bisher bei der Familienkasse, der Kommune und gegebenenfalls beim Jobcenter beantragen mussten, haben dann nur noch eine Anlaufstelle. Ja, es erfordert zunächst mehr Aufwand, das hat leider auch damit zu tun, dass wir in Deutschland bei der Digitalisierung noch nicht weiter sind. Und anfangs erfordert die Kindergrundsicherung mehr Beratung, dafür brauchen wir diese Kräfte. Aber es geht nicht mehr um zwei Millionen Kinder wie bisher, wir wollen 5,6 Millionen arme und armutsgefährdete Kinder erreichen. Schon allein daraus ergibt sich der Bedarf.

    Nicht nur Christian Lindner argumentiert, der beste Weg aus der Kinderarmut führe über die Beschäftigung der Eltern. Und damit aus armen Kindern nicht selbst arme Erwachsene werden, müsse nicht in höhere Sozialleistungen, sondern eine bessere Bildung investiert werden …
    PAUS: Beides ist nötig. Das habe ich bei meinem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Hamburger Kinderheim erlebt. Das war in der Nähe einer guten Schule in wohlhabender Gegend angesiedelt. Die ärmeren Kinder, die aus dem Kinderheim kamen, waren ausgegrenzt, haben sehr darunter gelitten, dass sie etwa nicht zum Kindergeburtstag ihrer Klassenkameraden eingeladen, oder ausgelacht werden, weil sie die vermeintlich falschen Schuhe oder Kleider trugen. Selbst an vermeintlich perfekten

    Auch das von ihrem Haus ausgearbeitete Selbstbestimmungsgesetz hat das Potenzial für Auseinandersetzungen unter dem Weihnachtsbaum. Einmal im Jahr den amtlichen Geschlechtseintrag zu ändern, das geht vielen traditionell eingestellten Menschen zu weit ...
    PAUS: Es geht dabei um eine kleine Gruppe, deren Situation wir verbessern wollen. Für die allermeisten Menschen ändert sich dadurch überhaupt nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach eindeutig geurteilt, dass das bisherige Transsexuellengesetz Menschenrechte verletzt. Genau darum geht es in diesem Gesetz, um die Rechte von transgeschlechtlichen Menschen.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD liebäugelt damit, die ausgesetzte Wehrpflicht wiederzubeleben. Müsste die dann gleichermaßen gelten für Frauen, Männer und auch diejenigen, die sich anders definieren?
    PAUS: An Spekulationen beteilige ich mich nicht, die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht steht für mich in keiner Weise zur Debatte. Es gab gute Gründe, sie auszusetzen.

    Für Ihre Partei sieht es in Umfragen nicht gut aus, gerade im Osten, wo im kommenden Jahr drei Landtagswahlen bevorstehen. Was folgt für Sie daraus?
    PAUS: Bei diesen Landtagswahlen müssen alle demokratischen Parteien diejenigen unterstützen, die sich zur Wehr setzen gegen Demokratiefeindlichkeit, gegen Hass und Hetze. Die Umfragewerte der AfD sind besorgniserregend. Dabei gibt diese Partei keine Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit. Sie polarisiert, grenzt aus und gilt inzwischen in mehreren Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch.

    Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Debatte um ein Verbot sogenannter "Gender-Sprache", etwa in Bayern oder Hessen?
    PAUS: Hier zeigt sich doch, wer die wahren Verbotsparteien sind: CDU und CSU wollen regeln, wie die Menschen sprechen und schreiben. Bei uns Grünen wird vielleicht mehr gegendert, Gleichberechtigung ist unsere DNA. Aber ich erlebe das auch als Generationenfrage. In den 1960er Jahren regten sich die älteren Menschen auf über die schrecklichen Jugendlichen mit den langen Haaren. Heute regen sich die Älteren über das Gendern auf. Von mir gibt es jedenfalls weder ein Verbot noch ein Gebot, was das Gendern angeht.

    Und was ist Ihre Weihnachtsbotschaft an Kanzler Olaf Scholz und die anderen Mitglieder des Kabinetts?
    PAUS: Die Demokratie braucht unseren vollen Einsatz. Unsere vielfältige und großartige Demokratie lebt auch vom Mut der Menschen, die sich tagtäglich für sie einsetzen. Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung – besonders in diesen Zeiten.

    Zur Person

    Lisa Paus wurde 1968 als Tochter eines Maschinenfabrikanten geboren und wuchs im niedersächsischen Emsbüren auf. Nach dem Abitur studierte sie in Berlin Volkswirtschaft und Politik. 1995 trat sie den Grünen bei, wo sie zum linken Flügel gerechnet wird. 2009 zog sie zum ersten Mal in den Bundestag ein. Im April 2022 wurde sie Nachfolgerin der zurückgetretenen Anne Spiegel Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 

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