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Interview: Linken-Chef Schirdewan: "Wir schlagen jetzt ein neues Kapitel auf"

Interview

Linken-Chef Schirdewan: "Wir schlagen jetzt ein neues Kapitel auf"

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     Martin Schirdewan ist Co-Vorsitzender der Linken. Die Partei sucht auf dem Parteitag in Augsburg den Neuanfang, nachdem Sahra Wagenknecht ausgetreten ist.
    Martin Schirdewan ist Co-Vorsitzender der Linken. Die Partei sucht auf dem Parteitag in Augsburg den Neuanfang, nachdem Sahra Wagenknecht ausgetreten ist. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Herr Schirdewan, war es das jetzt für die Linkspartei?
    MARTIN SCHIRDEWAN: Im Gegenteil. Wir durchleben natürlich eine krisenhafte Phase. Mit der Abspaltung sind die langjährigen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikte aber an ihr Ende gelangt. Ich spüre eine große Bereitschaft, das als Chance zu begreifen und die Partei jetzt zu erneuern und wieder zu stärken. 

    Welche Signale wollen Sie vom Parteitag in Augsburg senden?
    SCHIRDEWAN: Zunächst geht es um ein klares Signal der Geschlossenheit. Das ist, was die Wählerinnen und Wähler von uns erwarten: Dass wir konstruktiv und solidarisch miteinander umgehen, um unsere Aufgabe in der Gesellschaft zu erfüllen. Andererseits werden wir die programmatische Weiterentwicklung in Europa-Fragen vorantreiben und uns öffnen. Wir haben dazu ein starkes Personaltableau, das wird auch unsere Liste für die Europawahl zeigen, die wir am Wochenende aufstellen. 

    Beim vorausgegangen Parteitag vor anderthalb Jahren hat Gregor Gysi einen Neustart der Partei verlangt. Man könne Mehrheits- und Minderheitenmeinungen nicht mehr auseinanderhalten, kritisierte er. Hätten Sie besser auf ihn hören sollen?
    SCHIRDEWAN: Es war ja damals so, dass die Partei durch die bekannten Konflikte in der Öffentlichkeit schwer erkennbar wurde. Wir verloren Unterstützung, weil im Namen der Linken widersprüchliche Signale ausgesandt wurden. Darauf hat sich Gregor damals bezogen und mit Recht dazu aufgerufen, zu fairen demokratischen Verfahren zurückzukehren. Wir haben das in der Partei versucht, aber offensichtlich war die Bereitschaft bei denjenigen, die jetzt gegangen sind, dazu nicht vorhanden. 

    Sahra Wagenknecht hat den denkbar schärfsten Vorwurf erhoben, nämlich den, dass sich die Partei von den Arbeitern und Angestellten abgewendet habe und eine Politik mache, die nicht mehr auf die materielle Verbesserung abziele, sondern auf Lebensfragen wie Gendern, gutes Essen und Klimaschutz. Das sei Politik für ein akademisiertes Milieu. Hat sie nicht ein Stück weit recht?
    SCHIRDEWAN: Nein. Soziale Gerechtigkeit war und ist das Kernthema unserer Partei. Aber wenn prominente Gesichter der Partei in der Öffentlichkeit andauernd das Gegenteil behaupten, ist es kein Wunder, dass ihre Glaubwürdigkeit leidet. Richtig ist, dass die Arbeiter und Angestellten heute häufiger migrantischer und weiblicher sind, und dass dort gesellschaftliche Entwicklungen inzwischen anders diskutiert werden als in den 70ern. Das haben wir natürlich aufgenommen – und das gefiel einer Minderheit nicht.

    Die aber ziemlich laut war.
    SCHIRDEWAN: Nach außen wirkte das so. Tatsächlich haben wir immer Politik an der Seite der abhängig Beschäftigten gemacht. Wir stehen an der Seite der Menschen, die von Armut betroffen sind. Wir haben gegen Ernährungsarmut, gegen Energiearmut, gegen Kinderarmut, gegen Altersarmut gestritten – während der Inflation auch mit Erfolg, wenn man sich die Zugeständnisse der Bundesregierung letztes Jahr anschaut. Gleichzeitig hat die Linke zusammen mit den Gewerkschaften die Forderung nach besseren Löhnen, einer gerechten Entlohnung zwischen Ost und West sowie zwischen Mann und Frau erhoben, wir haben um bessere Tarifverträge gestritten.

    Und trotzdem ging es in den Umfragen schon vor Wagenknecht bergab. Marx ist die Theorie, Murks die Praxis: War die Linke am Ende nicht mehr links genug, haben Sie Ihr Profil verloren?
    SCHIRDEWAN: Auf dem Weg zur Parteigründung durch die Verschmelzung von WASG und PDS sind einige notwendige Entwicklungsschritte nicht gegangen worden, und das müssen wir jetzt nachholen. Unser Grundsatzprogramm ist ein sehr gutes, aber natürlich hat sich Gesellschaft seit 2011 auch weiterentwickelt. Das heißt, wir müssen interessante programmatische Debatten führen, die in der Gegenwart anschlussfähig sind. 

    Am Ende gibt es dann, bei einer generellen Rechtsverschiebung im politischen Diskurs, nur eine einzige Partei links der Mitte, und das ist die Ihre?
    SCHIRDEWAN: Das ist leider so, eine riesige Repräsentationslücke. Die auszufüllen ist für uns eine Ehre, weil wir damit tatsächlich auch eine wichtige, positive Funktion für die Demokratie insgesamt wahrnehmen. Wir sorgen für Meinungsvielfalt, die in der Gesellschaft im Moment verloren zu gehen droht. Unsere Aufgabe ist jetzt, soziale Alternativen zum Rechtsruck aufzeigen. 

    Und das bringt Ihnen neue Mitglieder?
    SCHIRDEWAN: Im Moment haben wir ungefähr doppelt so viele Eintritte wie Austritte. Gleichzeitig arbeiten wir an einer Mitgliederkampagne, die nach dem Parteitag starten wird. Es gibt auch viel Unterstützung von bekannten Gesichtern, die sagen: Es braucht diese Partei jetzt in dieser mehrfachen Krise von Demokratie und Gesellschaft. Ulrich Schneider, der Gesamtgeschäftsführer des Paritätischen, hat gerade öffentlich seine Unterstützung erklärt. Inge Hannemann, die bekannte Hartz-4-Rebellin, ist wieder zu uns zurückgekommen. Und in dieser Woche ist die Sozialarbeiterin und Autorin Cansin Köktürk von den Grünen zu uns gewechselt. Wir werden auf dem Parteitag weitere namhafte neue Mitglieder begrüßen können. 

    Jetzt sind wir aber neugierig.
    SCHIRDEWAN: Das verstehe ich, aber da lenke ich Ihre Neugierde auf den Parteitag, wo wir die Kampagne vorstellen. Was ich Ihnen schon sagen kann ist, dass wir ein paar prominente Namen aus dem sozialen Bereich und künstlerischen Bereich gewonnen haben, die sich an unsere Seite stellen.

    Linke-Chef Martin Schirdewan will mit dem Bundesparteitag in Augsburg die Kriese seiner Partei schnell überwinden.
    Linke-Chef Martin Schirdewan will mit dem Bundesparteitag in Augsburg die Kriese seiner Partei schnell überwinden. Foto: Christophe Gateau

    Wären wir beim Fußball, würde sich angesichts des Sinkflugs in der Umfragetabelle die Trainerfrage stellen. Brauchen Sie eine Erneuerung in der Parteispitze?
    SCHIRDEWAN: Wir sind als Vorsitzende aktiver Teil des Erneuerungsprozesses. Dafür sind wir ins Amt gewählt worden: um diesen Konflikt mit Wagenknecht zu beenden und die Partei in die Zukunft zu führen. Dafür erfahren wir Unterstützung aus der gesamten Partei. Auf dem Parteitag in Augsburg werde ich als Spitzenkandidat kandidieren, um die Linke in den Europawahlkampf zu führen. 

    Hat Frau Wagenknecht eigentlich versucht, Sie zu erpressen? Nach dem Motto: Entweder ihr überlasst mir die Partei oder ich trete aus und reiße euch in den Abgrund?
    SCHIRDEWAN: Dass sie und ihre Leute einfach die Mandate mitnehmen, die sie der Linken und dem Wahlkampf unserer Mitglieder verdanken, zeigt ja, wie da gespielt wird. Aber dieser Konflikt ist für mich jetzt vergossene Milch. Wir haben viele vertrauliche Gespräche geführt in der Hoffnung, den Konflikt lösen zu können. Sie war aber offensichtlich nicht dazu bereit und hat die Partei verlassen. Das Kapitel ist für uns beendet. Wir schlagen jetzt ein neues auf.

    In den zurückliegenden Jahren wurde in der Linken immer wieder ins Spiel gebracht, sich auf Ostdeutschland zu konzentrieren, wo die Partei viel stärker verankert ist als im Westen. Sie verfügen jetzt über weniger Mittel, müssen Prioritäten setzen. Wird die Linke wieder zur Ostpartei?
    SCHIRDEWAN: Wir sind eine bundesweite Partei und haben nicht vor, die ostdeutsche CSU zu werden. Aber die drei ostdeutschen Landtagswahlen, die im nächsten Jahr stattfinden, sind natürlich von zentraler Bedeutung für uns. Wir treten an, um den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen zu verteidigen. In Sachsen und Brandenburg wollen wir wieder stärker werden. Klar ist, dass wir die ostdeutsche gesellschaftliche Realität ansprechen müssen. Die Ostdeutschen verdienen im Schnitt 13.000 Euro weniger im Jahr. 

    Der Flüchtlingszuzug sorgt für Wut, die bei der AfD einzahlt. In den ostdeutschen Bundesländern liegt sie vorne. Die Linke geht nun ausdrücklich mit der Botschaft in den Wahlkampf, allen Menschen zu helfen, die nach Deutschland fliehen wollen. Kann dieser Kurs im Osten erfolgreich sein?
    SCHIRDEWAN: Die momentane Stärke der AfD ist schrecklich, das treibt mich um. Ich glaube, dass das im Osten verschiedene Ursachen hat. Es hat auch viel mit den sozialen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung zu tun, als Millionen ihre Arbeit verloren. Es geht auch um die Erfahrungen eines gescheiterten Umbaus. Aber dass man Menschen in Not helfen muss, wird auch im Osten der Republik von vielen Menschen so empfunden. Diese Menschen brauchen eine laute Stimme.

    Die Wiedervereinigung ist Jahrzehnte her.
    SCHIRDEWAN: Ja, aber jetzt rollt mit dem nötigen, klimafreundlichen Umbau gerade eine neue Welle der Veränderung auf das Land zu. Im Osten ruft das große Sorgen hervor, weil es eben noch eine sehr lebendige Erinnerung daran gibt, wie sie Anfang der 90er-Jahre abgewickelt wurden. Die sozial ungerechte Klimaschutzpolitik der Grünen mit dem schlecht gemachten Heizungsgesetz hat enorme Ängste wachgerufen. Im Osten ist die Frage, was passiert mit meinen Arbeitsplätzen, besonders wichtig. Es gibt hier immer noch viel weniger Erspartes und im Osten erben auch die wenigsten große Vermögen. Da schlagen Krisen wie die Inflation unmittelbar durch. Deswegen herrscht eine große Verunsicherung und die AfD tut alles dafür, Ressentiments zu verstärken. Ich bin der Überzeugung, dass es der Job jeder aufgeklärten Partei ist, dagegenzuhalten, statt das zu verstärken. Wenn ich mir aber ansehe, was Union und Ampel teilweise machen, spielen die mit dem Feuer.

    Zur Person

    Zur Person: Martin Schirdewan steht seit Mitte 2022 gemeinsam mit Janine Wissler an der Spitze der Linkspartei. Der 48-Jährige ist Mitglied des Europäischen Parlaments und will seine Partei im nächsten Jahr als Spitzenkandidat in den Europawahlkampf führen. Der Ostberliner ist Enkel des Widerstandskämpfers und Mitglied des SED-Politbüros, Karl Schirdewan. 

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