Herr Gaß, als Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft vertreten Sie die vielen Träger der Kliniken und rufen zum bundesweiten Protesttag „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Not“ auf. Welche Häuser sind besonders gefährdet?
Gerald Gaß: Wir haben seit dem 1. Januar 2022 25 Insolvenzverfahren registriert. Nur drei davon betreffen Standorte in Orten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Hauptgrund für die überdurchschnittlich hohe Zahl an Insolvenzen ist die Inflation und der fehlende Inflationsausgleich. Praktisch kein Krankenhaus kann seine Ausgaben noch durch laufende Einnahmen finanzieren. Anders als in der freien Wirtschaft können Krankenhäuser ihre Preise nicht an die gestiegenen Ausgaben anpassen.
Wie sehr betreffen die drohenden Insolvenzen besonders die kleinen Krankenhäuser in der Fläche, nachdem Minister Karl Lauterbach inzwischen betont, die Krankenhausreform würde insbesondere die Versorgung in der Fläche durch eine neue Grundfinanzierung sichern helfen?
Gaß: Wenn der Minister davon spricht, dass seine Reform eine Existenzgarantie für kleine Häuser sei, ist das schlichtweg falsch. Denn bis zur Wirksamkeit der Reform werden die Kliniken längst untergegangen sein. In einigen Jahren können dann die angekündigten Vorhaltepauschalen ein richtiger Schritt sein, um die übrig gebliebenen Krankenhäuser in ländlichen Regionen mit geringeren Fallzahlen zu halten. Allerdings sind dann die Versorgungslücken längst aufgetreten.
Die 71 bayerischen Landräte haben Ende Juli einen Brandbrief geschrieben, dass durch die Krankenhausreform die Notarztversorgung auf dem Land gefährdet sei, da dort 80 Prozent der Notarztdienste durch Klinikärzte übernommen würden. Ist das auch bundesweit ein Problem?
Gaß: Gerade in ländlichen Regionen übernehmen die Krankenhäuser zunehmend nicht nur die Notfallversorgung, sondern auch zahlreiche Aufgaben des dort immer stärker wegbrechenden niedergelassenen Sektors. Für viele Menschen außerhalb der Städte ist es normal, sofort Hilfe in den Krankenhausambulanzen und Notaufnahmen zu suchen, da Facharzttermine mit monatelangen Wartezeiten oder sehr langen Wegen verbunden sind. In diesem Zusammenhang übernehmen natürlich auch Klinikärzte zunehmend die notärztliche Versorgung. Müssen ländliche Kliniken schließen, wandern auch diese Ärzte in weiter entfernte Krankenhäuser ab und stehen in ihren Gemeinden nicht mehr zur Verfügung. Aber auch über die medizinische Versorgung hinaus haben Krankenhausschließungen auf dem Land schwere Folgen.
Welche weiteren Auswirkungen befürchten Sie durch Klinikschließungen auf dem Land?
Gaß: Krankenhäuser bieten auch in strukturschwachen Regionen gut bezahlte Arbeitsplätze für Hoch- und Höchstqualifizierte und halten diese damit als Einwohner und Steuerzahler in den ländlichen Gemeinden. Gerade bei Pflegekräften wissen wir, dass diese nach einer Krankenhausschließung nicht den deutlich verlängerten Arbeitsweg in die nächste Stadt auf sich nehmen, sondern sich in ihrer Gemeinde andere Beschäftigungen suchen oder den Pflegeberuf gleich ganz verlassen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Krankenpflege sind diese unkontrollierten Schließungen des kalten Strukturwandels daher zusätzlich verantwortungslos.
Zur Person: Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem gemeinnützigen Dachverband der Krankenhausträger.