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Interview: Krankenhäuser werfen Lauterbach Zerstörung des Patientenvertrauens vor

Interview

Krankenhäuser werfen Lauterbach Zerstörung des Patientenvertrauens vor

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    Steht seitens der Krankenhäuser unter scharfer Kritik: Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
    Steht seitens der Krankenhäuser unter scharfer Kritik: Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Die Kliniken protestieren, weil ihnen das Geld ausgeht. Minister Karl Lauterbach warnt zeitgleich vor einem massiven Krankenhaussterben ohne seine Reform. Wie dramatisch ist die Lage?

    Gerald Gaß: Die deutschen Krankenhäuser schreiben jede Stunde über eine halbe Million Euro Verlust, bislang weit über sieben Milliarden Euro dieses Jahr. Die Kliniken bekommen keinen Inflationsausgleich. Sie können nicht wie die Bäcker die Brötchenpreise erhöhen. Alle Erlöse sind gesetzlich fix geregelt. Doch die Politik unternimmt nichts und lässt die Träger und Kommunen mit den Defiziten im Stich. Wir befürchten, dass der Bundesgesundheitsminister ganz bewusst auf eine schnelle Marktbereinigung setzt, weil er die Krankenhauslandschaft für deutlich überdimensioniert hält. 

    Der Minister unterstellt vielen kleinen Kliniken, schlechte Arbeit zu leisten. In Unikliniken behandelte Menschen würden deutlich länger überleben. Hat er recht?

    Gaß: Die Aussagen von Minister Lauterbach zum Thema Qualität in deutschen Krankenhäusern lassen jeden Respekt vermissen vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor den Ärztinnen, Ärzten, vor den Pflegekräften, die sich Tag für Tag unter schwierigen Rahmenbedingungen um das Patientenwohl kümmern. Wie überall gibt es auch bei der Krankenhausversorgung Verbesserungspotenziale. Aber: Das negative Bild, das Minister Lauterbach von der deutschen Krankenhauslandschaft beschreibt, ist fernab jeder Realität. Wenn wir über vermeidbare Todesfälle sprechen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland die größten Potentiale beim Thema Prävention, Früherkennung, Ernährung und Bewegung haben, alles Felder wo wir wirkungsvolle Initiativen des Bundesgesundheitsministers schmerzlich vermissen.

    Ist es im Ernstfall nicht besser, in eine von der Krebsgesellschaft zertifizierten Uniklinik zu gehen als in ein Landkrankenhaus?

    Gaß: Es sind die Krankenhäuser, die beim Thema Krebs die Initiative ergreifen. Die Zertifizierungen gehen sämtlich von den Kliniken aus. Jedes Jahr steigen die Zahlen. Das ist eine Erfolgsgeschichte der Krankenhäuser, nicht der Politik. Und es ist auch richtig, die entscheidende Diagnostik und Erstbehandlung an einem zertifizierten Standort durchführen zu lassen. Die Weiterbehandlung – zum Beispiel die Chemotherapie – kann auch im wohnortnahen Krankenhaus erfolgen. Die von Lauterbach verbreiteten Daten aber verzerren die Lage. Sie sind bereits sechs Jahre alt und die Zahl der zertifizierten Standorte stieg seitdem weiter deutlich. Aber es gibt zum Beispiel auch viele hochbetagte Patienten mit der Diagnose Krebs, die oft in kleineren Kliniken palliativ versorgt werden. In Lauterbachs Statistik sieht das dann schlecht für diese Häuser aus. Ähnlich sieht es auch in anderen Bereichen aus.

    Gerald Gass ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft
    Gerald Gass ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft Foto: DKG

    Der Minister will nun ein Qualitätsregister und droht, Kliniken mit schlechter Bewertung sollen kein Geld mehr bekommen ...

    Gaß: Wir haben allergrößte Sorge, dass die von Lauterbach geplanten bundesweiten Qualitätsvorgaben in Wahrheit nur dem Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft dienen sollen. Die Idee, eine Art Nutri-Score für gute oder schlechte Behandlungsqualität einzuführen, ist völlig absurd. Die Qualitätsmessung der Patientenbehandlung ist eine hochkomplexe Angelegenheit, über die sich Fachleute in aller Welt seit vielen Jahren die Köpfe zerbrechen. Wenn Herr Lauterbach hier eine einfache Ampel im Internet verspricht, ist das schlicht Populismus. Dies wird nicht nur zu einer Klagewelle der betroffenen Kliniken führen. Viel schlimmer ist, dass dieser von Lauterbach geplante öffentliche Pranger den Ruf vieler Kliniken und das Vertrauen der Menschen in die gesamte Krankenhausversorgung zerstört

    Beim Aktionstag "Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not" wollten zahlreiche Kliniken auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen.
    Beim Aktionstag "Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not" wollten zahlreiche Kliniken auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen. Foto: Jörg Carstensen

    Ist nicht mehr Transparenz bei der Versorgungsqualität für Patienten sehr sinnvoll? Woher soll man wissen, welche Klinik in einem Spezialbereich besser ist als andere?

    Gaß: Natürlich ist Transparenz wichtig und die Behandlungsqualität entscheidender Maßstab für die Auswahl eines Krankenhauses. Deswegen gibt es schon heute Qualitätsberichte, die von vielen Institutionen ausgewertet werden. Kliniken investieren viel Geld und Aufwand, um Zertifizierungen wie beispielsweise von der Deutschen Krebsgesellschaft zu erhalten. Alles, was die Krankenhäuser machen, ist heute transparent. Jede verantwortungsvolle Ärztin oder Arzt empfiehlt deshalb Patienten die im jeweiligen Fall die bestgeeignete Klinik. 

    Aber dennoch erfährt die Öffentlichkeit kaum davon, wenn in einzelnen Bereichen eines Krankenhauses die Behandlungsqualität schlechter ist als in anderen.

    Gaß: Es kommt vor, dass ein Krankenhausstandort in einem einzelnen Fachgebiet zeitweise mehr Komplikationen bei bestimmten Eingriffen hat als andere. Genau deshalb gibt es ein nationales Qualitätsinstitut, das jährlich Millionen Daten auswertet, um die Kliniken zu überprüfen und bei Qualitätsmängeln Maßnahmen einzuleiten. Aber mit einem oberflächlichen Ampelsystem, das auf zweifelhaften Daten basiert, wird ein genereller Zweifel an der Fähigkeit der Krankenhäuser gesät, Patienten gut zu behandeln. 

    Herrscht nicht unabhängig davon breite Einigkeit, dass eine Reform der Krankenhauslandschaft dringend notwendig ist?

    Gaß: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht sich ganz eindeutig für die Modernisierung der Versorgungsstrukturen aus. Doch im Unterschied zu einem unkontrollierten Krankenhaussterben fordern wir einen geordneten Veränderungsprozess. Dabei könnte es am Ende in zehn Jahren durchaus bis zu 20 Prozent weniger Krankenhausstandorte geben. Aber wir müssen dabei immer darauf achten, die Versorgungssicherheit in den Regionen sicherzustellen. Es kann dabei gezielte Fusionen von zwei oder drei kleineren Standorten zu einem größeren, medizinisch und personell gut ausgestatteten Klinikzentrum geben. Der Minister darf jetzt nicht den Fehler machen, den Strukturwandel dem Markt zu überlassen. Die vor Ort betroffene Bevölkerung wird dagegen auf die Barrikaden gehen. Am Ende droht in ärmeren Regionen eine schlechtere Gesundheitsversorgung als in wohlhabenderen Kommunen. Das wird den Protestwählern bei den anstehenden Landtagswahlen weiteren Auftrieb geben. 

    Wie wollen Sie die Bevölkerung von so einer Reform überzeugen?

    Gaß: Wir müssen den Menschen vor Ort klarmachen, was die auf uns zukommenden Veränderungen der Bevölkerungsentwicklung bedeuten. Wir werden kommendes Jahr doppelt so viele Sechzigjährige wie Zwanzigjährige in Deutschland haben. Für das Gesundheitswesen hat das drastische Folgen: Wir werden mangels nachrückender Arbeitskräfte langfristig mit deutlich weniger Personal auskommen müssen. Zugleich werden wir wegen der älter werdenden Gesellschaft zwangsläufig mehr Patientinnen und Patienten versorgen müssen. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten und die Strukturen anpassen. Ein verlässliches Krankenhaus, das vielleicht einige Kilometer weiter entfernt liegt, aber alle Bereitschaftsdienste durchgehend besetzt hält, ist besser als wenn der Rettungswagen wegen nicht besetzter Notaufnahmen noch viel weitere Wege fahren muss. Das muss man den Menschen erklären und um Verständnis werben. Für Politiker scheint das nicht einfach: Sehr lange hat auch der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach sich mit aller Macht gegen eine Fusion seines örtlichen Krankenhauses Köln-Holweide gestemmt.

    Was fordern die Kliniken?

    Gaß: Bund und Länder müssen sich auf eine Krankenhausreform verständigen, die in einem geordneten Modernisierungsprozess schrittweise zu einem Umbau der Krankenhauslandschaft führt. Die nötigen Strukturveränderungen müssen ausreichend finanziell unterfüttert werden. Krankenhäuser wollen keine Rettungspakete oder Almosen, sondern einen Inflationsausgleich, damit sie die Reform überhaupt erleben. Gleichzeitig muss ein Investitionsfonds aufgelegt werden, damit die notwendige Infrastruktur für eine gute flächendeckende Versorgung geschaffen werden kann. Wir müssen endlich über Entbürokratisierung für Pflegekräfte und die Ärzteschaft reden. Es ist gut, dass die Bundesländer den Minister wieder auf den Boden der Realität zurückholen und bei seinen Maximalvorstellungen einbremsen. Krankenhausplanung ist zum Glück Ländersache. Wir brauchen eine Krankenhausstrukturreform, aber eine Reform mit Augenmaß, keine Revolution.

    Zur Person: Der frühere Klinik-Geschäftsführer und ehemalige SPD-Kommunalpolitiker Gerald Gaß (59) ist seit 2021 Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

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