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Interview: Kevin Kühnert: "400.000 Wohnungen sind möglich, wenn alle ihren Beitrag leisten"

Interview

Kevin Kühnert: "400.000 Wohnungen sind möglich, wenn alle ihren Beitrag leisten"

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    SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Einst versuchte er, Olaf Scholz als Parteichef zu verhindern, nun hat er einen der wichtigsten Jobs der Sozialdemokraten.
    SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Einst versuchte er, Olaf Scholz als Parteichef zu verhindern, nun hat er einen der wichtigsten Jobs der Sozialdemokraten. Foto: IMAGO/Florian Gaertner/photothek.de

    Herr Kühnert, Sie haben zuletzt über Ihre Schwierigkeiten berichtet, eine Wohnung zu finden. Haben Sie inzwischen eine?

    Kevin Kühnert: Ich bin aus Schaden klug geworden, und deswegen beantworte ich diese Frage nicht mehr. Weil ich nämlich gelernt habe, dass dann nur noch meine Wohnungssuche im Mittelpunkt der Debatte steht und nicht mehr das politische Thema an sich. In dem betreffenden Interview hatte ich mich eigentlich vor allem zum Thema möbliertes Wohnen geäußert, als eine Erfahrung, die ich im Rahmen meiner Wohnungssuche gemacht habe. Da bin ich nämlich andauernd auf möblierte Wohnungen gestoßen. Ich würde mir aber gerne selber aussuchen, wie ich meine Wohnung einrichte.

    Wie?

    Kühnert: Jedenfalls nicht mit den Designermöbeln von anderen, für die ich dann auch noch einen hohen monatlichen Zusatzbetrag zahlen muss.

    Warum kaufen Sie sich eigentlich keine Wohnung? Mit Ihrem Gehalt wäre das vermutlich machbar.

    Kühnert: Weil das einfach nicht meiner Vorstellung von Wohnen entspricht. Das ist eine ganz persönliche Präferenz, mehr nicht. Manche fühlen sich wohler, wenn sie in ihrem eigenen Eigentum leben, und andere erleben das eher als Stress und Belastung, wollen mit diesem ganzen Drumherum einer Immobilie lieber nicht so viel zu tun haben. Und ich gehöre zu Letzteren. Das ist auch ein bisschen Berliner Mentalität. Wir sind eben überwiegend Mieter hier. In meinem Wahlkreis wohnen 80 Prozent der Leute zur Miete, das prägt.

    Sind Sie selber in einer Mietwohnung aufgewachsen?

    Kühnert: Ja. Ich habe viele Jahre in Mietwohnungen gelebt. Zwei Zimmer, später dann zweieinhalb Zimmer, ganz klassisch.

    Träumen Sie davon, später mal im eigenen Haus zu wohnen?

    Kühnert: Nee. Mein Leben und insbesondere der Job sind so, dass es mich irgendwie immer rausträgt. Ich bin nicht so der Nesthocker. Ich gebe auch nicht gerne viel Zeit meines Lebens für Wohnungseinrichtung, Gartenpflege und so weiter aus, sondern ich bin da eher minimalistisch. Für mich ist wichtiger, welche Orte ich besuche, welche Erfahrungen ich mitnehme. Aber nicht so sehr, wie werthaltig die Dinge in meiner Vitrine zu Hause sind.

    Früher war ein Einfamilienhaus etwas, was sich der ordentlich verdienende Arbeiter, der klassische SPD-Wähler, leisten konnte. Für die allermeisten ist das heute gar nicht mehr möglich. Warum?

    Kühnert: Damit Sie mich da nicht falsch verstehen: Wir streben in der SPD kein genormtes Wohnen in Deutschland an. Persönliche Präferenzen beim Wohnen sollen genau das bleiben: eine persönliche Präferenz. Wir wollen niemanden dazu erziehen, in einer Mietwohnung leben zu wollen. Aber ich will auch, dass den Leuten nicht eingeredet wird, ein glückliches Leben gäbe es nur im Einfamilienhaus. Jeder nach seiner Fasson.

    Okay, verstanden. Aber was sind die Hinderungsgründe?

    Kühnert: Einer der Hauptgründe ist fehlendes Eigenkapital. Viele Menschen in Deutschland verfügen nicht über Erspartes. Gucken Sie nach Ostdeutschland, wo zwei Drittel der Menschen quasi kein Vermögen haben, wo auch nichts vererbt wird in der Familie. Die bringen zum Teil anständige Löhne nach Hause. Aber wenn man von zu Hause aus nichts in die Finanzierung einbringen kann, dann kommt der Kauf gar nicht erst zustande. Und deswegen lassen wir jetzt gerade im Bauministerium eine Förderung entwickeln, die genau dort ansetzt.

    Wie soll das gehen?

    Kühnert: Es geht letztlich darum, Eigenkapital zu ersetzen. Ein staatliches Programm sorgt quasi dafür, dass Haushalte, die kein Erspartes, aber ein stabiles Einkommen haben, trotzdem den Weg ins Eigentum gehen können. Wenn sie es denn wollen.

    Früher hieß es: Wer fleißig ist, kann sich was leisten. Dieses Leistungsversprechen funktioniert nicht mehr. Müssen wir uns damit abfinden?

    Kühnert: Wenn ich jetzt mal besondere großstädtische Lagen wie hier in Berlin oder in Teilen von München rausnehme, dann glaube ich schon, dass das mit politischen Instrumenten noch erreichbar ist. Ich werbe aber als Sozialdemokrat auch dafür, dass wir einen vielfältigeren Eigentumsbegriff nutzen. Die Förderung von Genossenschaften beispielsweise hat auch mit Eigentum zu tun. Es ist eben genossenschaftliches Nutzungseigentum, also Eigentum nach sozialen und nachhaltigen Spielregeln. Das wird total unterschätzt.

    400.000 Wohnungen sollen pro Jahr in Deutschland neu entstehen, verantwortlich ist Ihre Parteifreundin, Bauministerin Geywitz. Ist dieses Ziel angesichts der explodierenden Kosten für Material und Kredite überhaupt noch haltbar?

    Kühnert: Wir haben diese Zahl gesetzt in dem Wissen, dass das sportlich wird in dieser Wahlperiode. Aber was sind politische Ziele wert, wenn wir sie nur bei Schönwetter aufrechterhalten? Wir wollen uns selber treiben, so viel wie möglich zu erreichen. Wir glauben, 400.000 sind möglich, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten. Dass der Bund jetzt seine Mittel extrem erhöht – fast 15 Milliarden bis 2026 – ist für die SPD ein riesiger Erfolg. Soziale Wohnraumförderung braucht aber auch Länder und Kommunen, die mitmachen. Wenn ich dann beispielsweise wieder in Bayern sehe, dass die Staatsregierung in ihren Haushaltsplänen um 20 Prozent runterfährt bei der Wohnraumförderung, wird das nicht funktionieren. Und die von Söder im letzten Wahlkampf groß gefeierte BayernHeim ist ein Rohrkrepierer. Sie hat noch keine einzige Wohnung selbst gebaut: ein Armutszeugnis.

    Die Geburtenraten gehen zurück – rechnen Sie damit, dass der demografische Wandel das Problem entspannt?

    Kühnert: Aber wir haben glücklicherweise Zuzug und werden noch viel mehr davon brauchen. Wir verlieren ja netto fast eine halbe Million Beschäftigte in Deutschland - jedes Jahr. Wir müssen also gegensteuern. Das heißt aber, für die Leute, die auf unseren Arbeitsmarkt kommen, muss natürlich auch Wohnraum da sein. Dazu gibt es auch noch die Fluchtbewegungen. Wir haben es vor ein paar Jahren gesehen, wir sehen es jetzt, bei den 900.000 Menschen, die wir aus der Ukraine seit Kriegsbeginn aufgenommen haben. Die müssen ja irgendwo wohnen.

    Neben der Knappheit an Wohnraum kommt durch die Ukraine-Krise noch hinzu, dass die Energiekosten explodieren und für viele Menschen zur existenziellen Angelegenheit werden. Die Regierung hat schon ein Entlastungspaket geschnürt. Aber die Hiobsbotschaften überschlagen sich ja, inzwischen wird bei den Heizkosten eher von einer Vervierfachung als von einer Verdreifachung gesprochen. Muss die Ampel nachlegen?

    Kühnert: Das tun wir. Der Bundeskanzler hat in der vergangenen Woche seinen Urlaub unterbrochen, um in Berlin weitere Schritte bekannt zu geben. Der wichtigste ist sicherlich eine massive Ausweitung des Wohngeldes, auf das schon bald deutlich mehr Haushalte Anspruch haben werden. Das ist das richtige Instrument, da es neben Arbeitnehmern schließlich auch Rentner in Anspruch nehmen können. Wir erreichen somit gezielt all die Haushalte, bei denen es jetzt knapp wird, ohne mit der Gießkanne Geld auszuschütten. So stellen wir uns soziale Politik vor. Zudem kommen jetzt viele Maßnahmen der ersten Entlastungspakete an, die 300 Euro Energiepreispauschale beispielsweise mit dem September-Lohn. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass wir rechtlich noch etwas tun müssen, um Gas- und Stromsperren oder Wohnungskündigungen wegen finanzieller Überforderung im Winter zu vermeiden. Dazu laufen Gespräche.

    Kann der Staat jede Beeinträchtigung des Lebens finanziell ausgleichen? Die Corona-Pandemie hat da womöglich Begehrlichkeiten geweckt.

    Kühnert: Ich finde, man muss unterscheiden zwischen den normalen Risiken des Alltags und außergewöhnlichen Notlagen. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der eine Verdrei- oder Vervierfachung der Heizkosten als Betriebsunfall betrachtet wird, den man leider über sich ergehen lassen muss. Das geht einfach über die Lebensrealität von Millionen Menschen hinweg, die schlicht und ergreifend keine Rücklagen dafür haben. Und zwar nicht, weil sie Heiopeis wären, sondern weil ihr Einkommen das schlicht nicht hergibt.

    Heiopei?

    Kühnert: Ein Hallodri.

    Danke. Wann kommen denn die gezielten Entlastungen? Finanzminister Christian Lindner von der FDP hat deutlich gemacht, dass für dieses Jahr nichts mehr da ist und nächstes Jahr wieder die Schuldenbremse gilt.

    Kühnert: Das ist das, was im Koalitionsvertrag steht. Das haben wir unterschrieben. Und trotzdem muss jede Regierung andauernd prüfen, ob die Grundlagen, die sie mal geschaffen hat, noch zur Wirklichkeit passen. Wir werden uns im Herbst, was den Haushalt angeht, tief in die Augen gucken und dann entscheiden müssen. Kann man eine Gesellschaft zusammenhalten mit den haushaltspolitischen Rahmensetzungen von vor dem Krieg oder müssen wir neue Spielräume erschließen? Ich habe da eine klare Meinung, aber meine Partei regiert nun mal nicht allein. Ich verspreche Ihnen jedoch, dass wir in der Ampel gemeinsam eine Lösung finden werden. Denn diese Krise muss uns alle, ob in Gesellschaft oder Koalition, noch enger zusammenschweißen.

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