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Interview: Karl-Theodor zu Guttenberg: "Trump könnte handstreichartig einen Deal mit Putin suchen"

Interview

Karl-Theodor zu Guttenberg: "Trump könnte handstreichartig einen Deal mit Putin suchen"

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    Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei unserem Live-Interview in Augsburg.
    Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei unserem Live-Interview in Augsburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Herr zu Guttenberg, Deutschland debattiert über eine Entscheidung, die Sie als Verteidigungsminister getroffen haben: die Aussetzung der Wehrpflicht. Aus heutiger Sicht ein Fehler?

    Karl-Theodor zu Guttenberg: Natürlich schaue ich da selbstkritisch drauf. Es gab in den Jahren 2009 und 2010 ein Spardiktat der Kanzlerin, jedes Ministerium musste Milliarden beitragen. Für die Bundeswehr – damals in einem anderen sicherheitspolitischen Umfeld – stellte sich die Frage, ob wir die Soldaten, die im Ausland, etwa in Afghanistan, im Einsatz waren, so professionell wie möglich ausrüsten. Oder ob wir eine abgewirtschaftete Wehrpflicht aufrechterhalten. Für beides reichte das Geld nicht. Ich war immer ein Anhänger der Wehrpflicht, aber es wurden damals nur noch 16 Prozent der Männer eingezogen, soviel zum Thema Wehrgerechtigkeit. Es gab deshalb große verfassungsrechtliche Bedenken. Und die Wehrpflichtigen waren ja auch nur noch sechs Monate bei der Bundeswehr. Überspitzt gesagt: In dieser Zeit lernen sie gerade mal, einen Flieger von einem Panzer zu unterscheiden oder ein Gewehr zusammenzusetzen. 

    Heute wird über eine Wiedereinführung diskutiert …

    Guttenberg: Das ist in Ordnung. Aber die Debatte darf nicht mit illusionären Vorstellungen geführt werden. Ich habe ja damals nicht gesagt: Ach, ich habe jetzt Lust, mal eben die Wehrpflicht abzuschaffen oder alternativ die Bundeswehr zu zerstören. Wir mussten ganz nüchtern die Kosten prüfen. Bei der Wehrpflicht geht es um einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag – pro Jahr. Wenn man sieht, dass wir mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen, die ich damals übrigens auch gerne gehabt hätte, nur das Nötigste machen können, bezweifle ich, dass genug Geld für eine Wehrpflicht nach den Vorstellungen einiger Lautsprecher da ist. Ich finde es angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage trotzdem richtig, über neue Modelle nachzudenken.

    Diese Lage bedeutet: Bedrohung durch Russland und ein mögliches Comeback von Donald Trump. Welche Folgen hat das für Deutschland?

    Guttenberg: Sollte Trump wiedergewählt werden, müssen wir uns warm anziehen. Und: Wir dürfen keine Situation entstehen lassen, in der Wladimir Putin das Gefühl bekommt, dass sich sein zynischer und menschenverachtender Angriffskrieg in der Ukraine für ihn gelohnt hat. Er könnte sich sonst in seinem Großmachtwahn gestärkt sehen, weitere Teile der einstigen Sowjetunion anzugreifen. 

    Dann ginge es womöglich auch um Nato-Mitglieder, etwa im Baltikum. Das würde bedeuten, die Nato müsste den Bündnisfall ausrufen. Für wie real halten Sie diese Gefahr?

    Guttenberg: Ich arbeite ungern mit einer Kristallkugel, aber selbst wenn die Gefahr nur bei einem oder fünf Prozent liegt, müssen wir uns damit auseinandersetzen. Das Risiko, dass plötzlich die Ukraine überfallen wird, wurde vor Jahren selbst von hochmögenden Auguren vielleicht bei einem Prozent gesehen. Wir hatten uns überhaupt nicht mit diesem Szenario auseinandergesetzt.

    Tut die Bundesregierung genug, um der Ukraine zu helfen?

    Guttenberg: Sie tut jedenfalls sehr viel mehr, als man es von einer Ampelkoalition zu hoffen gewagt hatte. Auch die Zeitenwende-Rede unseres Bundeskanzlers, der ansonsten nicht durch überbordende Kommunikationsfähigkeiten auffällt, war wirklich bemerkenswert. Jetzt wird ihm das gerne um die Ohren gehauen, nicht immer ist das fair.

    Karl Theodor zu Guttenberg ist in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Hotel Maximilians.
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    Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beantwortet bei AZ Live im Hotel Maximilians die Fragen von Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck und Chefredakteur Peter Müller.

    Zurück zu Trump. Er hat gute Chancen, ein zweites Mal US-Präsident zu werden. Sie haben lange in den USA gelebt. Was finden die Amerikaner so toll an diesem Mann?

    Guttenberg: Natürlich habe ich republikanischen Freunden genau diese Frage gestellt: Ihr seid gebildet, Ihr seid international, Ihr seid sehr liebevolle Menschen, Ihr seid das genaue Gegenteil dieses Mannes, den Ihr gewählt habt. Warum habt Ihr das getan? Die Antwort war fast immer dieselbe. Sie haben gesagt: Trump mag charakterlich ein veritabler Drecksack sein. Aber erstens: Er ist nicht Hillary Clinton. Und zweitens: Er liefert.

    Er liefert vor allem Spaltung.

    Guttenberg: Das ist richtig. Fakt ist allerdings auch, dass er zwar Tag für Tag unzählige Lügen verbreitet, aber zugleich auch so viele Wahlversprechen gehalten hat, wie kaum ein anderer US-Präsident. Er hat eine Steuerreform durchgezogen, die im republikanischen Lager sehr gut ankam. Er hat das Justizsystem mit Richtern auf Lebenszeit besetzt, die republikanisches Gedankengut auf Jahrzehnte fixieren. Er ist brachial gegen illegale Zuwanderung angegangen. Und er hat dem Westen, gerade uns Deutschen, in den Hintern getreten, was die Verteidigungsausgaben und den Beitrag zur Nato angeht. 

    Der Riss, der sich durch die amerikanische Gesellschaft zieht, könnte noch tiefer werden, wenn Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Wie haben Sie selbst das in den USA erlebt?

    Guttenberg: Ich habe ernsthafte Sorge, dass die USA in Zustände abdriften könnte, die im mildesten Fall eine andauernde Polarisierung bedeuten, im schlimmsten Fall aber auch dazu führen können, dass Menschen zu den Waffen greifen. Selbst einige US-Medien, die in der Tonalität eher ruhig sind, raunen von der Gefahr eines Bürgerkriegs. Egal, wie diese Wahl ausgeht, droht den USA eine tiefe Verfassungskrise. Trump wird dann versuchen, schnelle Erfolge zu erzielen, die unmittelbare Auswirkungen auf uns haben werden. Er könnte zum Beispiel im Handstreich einen Deal mit Putin suchen – auf Kosten der Ukraine und auf Kosten Europas. 

    Auch in Deutschland erleben wir eine aufgewühlte Gesellschaft, sehen Sie Parallelen zu den USA?

    Guttenberg: Ich sehe jedenfalls eine bedrückende Veränderung in der Tonalität, eine Unerbittlichkeit im Umgang miteinander, einen nicht mehr wirklich ausgeprägten Willen, andere Positionen zumindest einmal anzuhören, sich damit auseinanderzusetzen. Dabei ist es genau das, was eine Demokratie immer auszeichnen sollte: das Zuhören, die Suche nach einem Konsens. 

    In diesen Tagen gehen Hunderttausende auf die Straßen, um ein Zeichen für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu setzen …

    Guttenberg: … das ersetzt allerdings nicht politischen Diskurs und politische Führung. Es ist ein ermutigendes Zeichen aus der Bevölkerung. Ich würde mir aber auch ermutigende Zeichen aus der Spitzenpolitik wünschen – egal, aus welchem Lager übrigens. 

    Wie viel Veränderung verträgt eine Gesellschaft?

    Guttenberg: Wir tun uns schwer mit der Ansammlung der Veränderungen und der relativen Lösungslosigkeit derer, die das alles zu beackern haben. Solange viele Leute das Gefühl haben, die Politik reagiert immer nur punktuell auf die nächste Notlage, entwickelt aber keine Ideen für all die Szenarien, über die wir schon geredet haben, wächst kein neues Vertrauen. 

    Fehlen heute politische Führungsfiguren, die Konzepte über den Tag hinaus entwerfen?

    Guttenberg: Es gibt jedenfalls nur wenige, auch international. Aber es gibt sie. Erst vor wenigen Tagen habe ich im Bundestag beim Trauerakt für Wolfgang Schäuble den französischen Präsidenten erlebt. Emmanuel Macron hat dort eine Rede – größtenteils auf Deutsch – gehalten, bei der mein erster Gedanke war: Wo ist der deutsche Politiker eines solchen Formats?

    Was hat Sie beeindruckt, abgesehen von der Sprache?

    Guttenberg: Es war eine der am klügsten formulierten Reden, die ich seit Langem gehört habe. Da spricht einer in der Sprache des einstigen Feindes, in einer Zeit, in der vor allem Gegensätze gepflegt werden, er streckt uns die Hand entgegen und macht das Angebot, in dieser großen Notlage gemeinsam Lösungen zu finden. Was für ein starkes Signal.

    Hören Sie sich das Gespräch mit Karl-Theodor zu Guttenberg im Rahmen von "Augsburger Allgemeine Live" auch im Podcast an:

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