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Interview: Judith Rakers: "Ich habe so viele Ideen, die wollen raus, sonst platze ich"

Interview

Judith Rakers: "Ich habe so viele Ideen, die wollen raus, sonst platze ich"

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    Judith Rakers hört als "Tagesschau"-Sprecherin auf.
    Judith Rakers hört als "Tagesschau"-Sprecherin auf. Foto: Jukers Media More

    Frau Rakers, für viele Zuschauer der Tagesschau kam Ihr Abschied als Sprecherin in der vergangenen WocheJudith
    JUDITH RAKERS: Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht und einige Monate immer wieder darüber nachgedacht. Ich kann verstehen, dass es für viele sehr überraschend kam, aber es ist eine wohlüberlegte Entscheidung, die es mir ermöglicht, meine ganze Kraft nun in meine Selbstständigkeit zu stecken. Ich habe so viele Ideen und ich möchte sie gerne umsetzen. Ich befürchte, ich platze sonst. Die wollen raus. 

    Dann lassen Sie es mal raus: Welche Pläne haben Sie denn nun so ohne die Tagesschau?
    RAKERS: Schon bald erscheint mein Experimentierkasten für Kinder zum Thema Gemüseanbau und aktuell arbeite ich an einem Brettspiel für die ganze Familie. Wenn das abgeschlossen ist, schreibe ich das nächste Kinderbuch. Und ein Buch zum Hochbeet-Gärtnern ist auch geplant. Auch ohne Tagesschau-Schichtdienst werde ich Mühe haben, meine ganzen Ideen umzusetzen. Aber das ist eben das Schöne, wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist.

    Kostete es Sie eigentlich viel Überwindung, für die Tagesschau immer sachlich und beherrscht wirken zu müssen?
    RAKERS: Nein, das ist keine Überwindung, sondern einfach angemessen. Bei der Tagesschau ist die Nachricht der Star und die Sprecherinnen und Sprecher sollen in den Hintergrund treten. Keine Emotionen, keine Bewertung durch Mimik und Gestik. Und ich finde das auch richtig, denn beim Ukraine-Krieg oder dem Nahost-Konflikt gibt es einfach nichts zu lachen.

    Wie gehen Sie mit diesen Schreckensnachrichten um? Viele Menschen wollen ja schon keine Nachrichtensendungen mehr sehen oder Zeitungen lesen, weil die Zahl der negativen Meldungen so hoch ist. Können Sie das verstehen?
    RAKERS: Ja, mir ist es manchmal auch zu viel. Man hat das Gefühl, eine Katastrophe jagt die nächste. Ich treffe immer mehr auf Menschen, die sich das nicht mehr anhören wollen und sich zurückziehen, eine Pause wollen. Aber diese Pause darf eben nicht zu groß sein, denn durch unser Wahlverhalten und unser Engagement gestalten wir Gesellschaft ja mit, und dafür ist Information wichtig. Deshalb sollte man sich nicht auf seine eigene kleine Scholle zurückziehen, auf der einem alles andere egal ist. Man kann dort zwischendurch Ruhe und Abstand gewinnen, aber man sollte so gut informiert bleiben, dass man die Demokratie mitgestalten kann. 

    Wenn Sie sich zurückerinnern an die 19 Jahre Tagesschau, gab es Momente, die Sie aus der Fassung gebracht haben?
    RAKERS: Es braucht schon ziemlich viel, um mich aus der Fassung zu bringen (lacht). Natürlich sind Pannensituationen aufgrund von technischen Problemen immer eine Situation, in der man leicht aus der Fassung geraten kann. Als das Ansteckmikrofon eines Morgens ausfiel und ich mitten in der Live-Sendung in der Schublade des Moderationstisches das Kabel-Mikrofon unter drei leeren Wasserflaschen hervorkramen musste, da hätte ich fast losgeprustet vor Lachen. Mir war so bewusst, dass ich da jetzt stehe wie Dieter Thomas Heck in seinen besten Zeiten. Aber das sind schöne Erinnerungen.

    Nachrichtensprecherin Judith Rakers in der 8-Uhr-Ausgabe der ARD-Nachrichtensendung "Tagesschau". Weil ihr Ansteckmikrofon keinen Ton mehr übertrug, stieg Rakers auf ein Handmikrofon um.
    Nachrichtensprecherin Judith Rakers in der 8-Uhr-Ausgabe der ARD-Nachrichtensendung "Tagesschau". Weil ihr Ansteckmikrofon keinen Ton mehr übertrug, stieg Rakers auf ein Handmikrofon um. Foto: dpa

    Vor gut fünf Jahren haben Sie schon einmal einen Schlussstrich gezogen, Sie sind von Hamburg aufs Land gezogen. Man hat den Eindruck, dass Sie nicht nur eine neue Lebensform, sondern auch ein ganz anderes Lebensgefühl gefunden haben. Ist der Eindruck richtig?
    RAKERS: Ja. Absolut. Ich lebe viel naturnaher, als ich das früher getan habe, und das macht mich in meiner jetzigen Lebensphase sehr glücklich. Was nicht bedeuten soll, dass ich früher unglücklich war. Ich habe 20 Jahre lang sehr gern mitten in der Stadt gelebt und das Stadtleben sehr genossen. Bäcker, Theater, Kino, alles um die Ecke. Mir reichten die naturnahen Urlaube, die ich immer schon gerne gemacht habe, und die Zeit im Reitstall, bei meinem Pferd. Aber irgendwann reichte mir das eben nicht mehr. Die Stimme in mir, die sagte „du lebst ein Leben, das dich nicht mehr glücklich macht“, wurde immer lauter. Deshalb habe ich nach einer Lösung gesucht, wie ich die äußeren Umstände an diese innere Veränderung anpasse. Die Lösung war dann dieses Fachwerkhäuschen auf dem Land mit dem riesigen Garten, wo ich auch mal mein Pferd zu mir nehmen kann. Ein bisschen wie bei Pippi Langstrumpf.

    Nun genießen Sie nicht nur Tiere und Natur, sondern sind mit vielen Gemüsebeeten auch zur Selbstversorgerin geworden. Wie kam es dazu?
    RAKERS: Die Nachrichten und Diskussionen zum Klimawandel, zur Nachhaltigkeit, Massentierhaltung und zur gesunden Ernährung haben auch bei mir dazu geführt, dass ich mir Gedanken gemacht habe, was ich eigentlich ganz persönlich beitragen kann. Und dann hat mich auch Wolf-Dieter Storl, der im Allgäu lebende Ethno-Botaniker, inspiriert. Ihn sollte ich in der Talkshow „3nach9“ zu seinem neuen Buch über Selbstversorgung interviewen. Zuerst dachte ich, das Thema ist ja maximal von mir entfernt, aber dann hat mich sein Buch von Anfang an so fasziniert, dass ich richtig Lust auf das Gespräch bekam. Und das hat dann auch dazu beigetragen, dass ich es mit dem Gemüseanbau mal probieren wollte. Jetzt habe ich über 50 Obst- und Gemüsesorten in meinem Garten, die ich mit großer Freude auch verwerte.

    Und eine Schar von Hühnern. Die erfreuen sich Ihrer ganz besonderen Zuneigung. Dabei wären drei Hühner fast der Grund dafür gewesen, dass sie nicht in das Haus gezogen wären.
    RAKERS: Ja genau, die standen auf der Negativseite, als ich für das Haus eine Liste mit positiven und negativen Argumenten anlegte. Ich war zwar schon immer sehr tierlieb, aber zu Hühnern hatte ich nie einen Bezug - ich fand sie immer hektisch und irgendwie unsympathisch. Und nun gehörten die zum Inventar des Hauses, das ich beziehen wollte. Ich habe mich dann aber näher mit Hühnern beschäftigt und je mehr ich darüber gelesen habe, desto begeisterter und faszinierter war ich. Und sie machen kaum Arbeit. Wenn die Infrastruktur einmal geschaffen ist, also Stall und Gehege, dann sind es jeden Tag nur ein paar Minuten, bis sie versorgt sind. Mittlerweile wohnen elf Hühner bei mir und in jedem Sommer kommen neue Küken hinzu. Herrlich!

    Dazu drei Katzen und ein Pferd, das immer wieder zu Besuch kommt. Diese Tiere spielen nun auch in Ihrem ersten Kinderbuch eine Rolle.
    RAKERS: So ist es (lacht). Ich erzähle in meinem Buch, wie ich auf meine kleine Farm gezogen bin – ursprünglich nur mit einer Katze – und wie es dann immer mehr Tiere werden. Und wie ich als absolute Anfängerin versuche, den riesigen Ziergarten in einen Nutzgarten umzuwandeln, mit all den Schwierigkeiten und Rückschlägen und den glücklichen Momenten.

    Rakers Kinderbuch "Judiths kleine Farm".
    Rakers Kinderbuch "Judiths kleine Farm". Foto: Kosmos Verlag

    Ist es Ihnen leichtgefallen für Kinder zu schreiben?
    RAKERS: Ich war mir bewusst, dass es eine große Herausforderung ist, weil man für Kinder vielleicht mehr erklären und andere Begriffe verwenden muss, aber ich hatte immer großen Spaß daran, den Kindern, die mich besuchten, Geschichten über meine Tiere und das Gemüse in meinem Garten zu erzählen. An einer Stelle kommt im Buch das Wort Cholesterin vor und ich war mir unsicher, ob man es für Kinder verwenden kann. Aber meine Lektorin meinte, das ginge, denn wenn die Kinder es nicht wissen, fragen sie nach. Und das ist gut so, denn Kinderbücher sollen ja auch ein Anlass sein, ins Gespräch zu kommen und vielleicht auch tiefer mit den Kindern in ein Thema einzusteigen.

    Haben Sie auch das Gefühl, dass Kinder heute kaum noch Bezug zur Natur und zu Tieren haben?
    RAKERS: Ich kann da aus meinem eigenen Erleben berichten. Ich bin recht ländlich aufgewachsen und doch habe ich nicht gewusst, wie es aussieht, wenn Rosenkohl wächst. Ich wusste nicht, dass Hühner blaue Eier legen könnten und wie man den Salat vor Schnecken im Garten beschützt. Und ich finde es schön, Kindern neben all dem Wissen über Gemüseanbau mit meinem Buch auch vermitteln zu können, dass man sich ein Thema erarbeiten kann, dass man dabei tolle Entdeckungen machen kann und dass es sich lohnt, mutig zu sein, auch mal Neues zu wagen. Denn auch das vermittelt sich in meiner Geschichte. Dabei möchte ich ihnen zeigen, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit eben nicht nur nach dem Motto „du musst“ und vor allem „du musst verzichten“ funktioniert, sondern dass es auch sehr bereichernd ist.

    War Ihre kleine Farm eigentlich anfangs auch ein wenig ein Gegenprogramm zum Nachrichtengeschäft im fensterlosen Fernsehstudio?
    RAKERS: Eher ein Ausgleichsprogramm. Für jeden, der viel am Computer sitzt, ist es einfach ein schönes Erlebnis, wenn er in seiner Freizeit etwas mit den Händen machen kann und sieht, wie daraus etwas entsteht, das er nachher auch anfassen und sinnlich erleben kann. Diese Befriedigung fehlt so oft in der digitalen Arbeitswelt. Und deshalb macht mir auch der Gemüseanbau so viel Spaß: Man wühlt in der Erde und lässt etwas wachsen, das man anfassen, riechen und schmecken kann. Und dann macht es sogar noch satt. Perfekt! 

    Ihren Händen sieht man das aber nicht an, dass Sie oft in der Erde wühlen.
    RAKERS: Doch. Immer wenn ich dunkelroten Nagellack trage, sieht man, dass ich sie nicht mehr sauber bekommen habe.

    Zur Person

    Judith Rakers, geboren am 6. Januar 1976 in Paderborn, wuchs bei ihrem alleinerziehenden Vater auf. Sie studierte Publizistik, Kommunikationswissenschaft und Geschichte in Münster. Seit 2005 war sie Sprecherin der Tagesschau. Weiterhin wird sie im Fernsehen in der Talkshow "3nach9" und in der Reisereportageserie "Wunderschön" im

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