Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Josef Schuster: Kampf gegen Antisemitismus verstärken

Interview

Josef Schuster: „Was wir erleben, hätte ich mir im Albtraum nicht vorstellen können“

    • |
    • |
    Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, macht sich große Sorgen.
    Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, macht sich große Sorgen. Foto: Emmanuele Contini, Imago

    Herr Schuster, seit zehn Jahren sind Sie Präsident des Zentralrats der Juden. Kürzlich haben Sie beklagt, die Empathie und die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland hätten dramatisch abgenommen. Haben Sie sich so eine Entwicklung bei Ihrem Amtsantritt vorstellen können?

    Josef Schuster: Definitiv nicht. Was wir heute erleben, hätte ich 2014 mir im Albtraum nicht vorstellen können. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und der Krieg gegen den Terror von Israel in Gaza und im Libanon hatten eine Explosion des Antisemitismus auf europäischen, insbesondere auch auf deutschen Straßen zur Folge. ­­­

    Was hat sich verändert?

    Schuster: Dass rund 20 Prozent der Menschen, die in Deutschland leben, antijüdische Ressentiments haben, wissen wir seit Jahrzehnten. Diese Zahl hat sich zuletzt nicht wesentlich verändert, aber viele, die sich früher nicht getraut haben, ihre Judenfeindlichkeit offen auszusprechen, trauen es sich jetzt. Man sagt alles, was man denkt. Es gibt keinerlei Dämme mehr. Diese 20 Prozent sind sehr laut – und zum Teil auch gewaltbereit.

    Neu ist beispielsweise die Hatz auf israelische Fußballfans wie zuletzt in Amsterdam. Jugendfußballspiele mit Beteiligung jüdischer Vereine können auch in Berlin nur unter Polizeischutz stattfinden. Sehen Sie eine neue Qualität der Übergriffe?

    Schuster: Dass Jüdinnen und Juden auch in Westeuropa so bedroht sind, ist eine neue Qualität, ja.

    Die Verunsicherung ist groß. Junge jüdische Frauen aus Würzburg haben kürzlich berichtet, wie nah ihnen Hakenkreuz-Schmierereien oder judenfeindliche Aufkleber an Bushaltestellen gehen. Was kann man da tun?

    Schuster: Wenn ich die Lösung hätte, eine Art Allheilmittel, käme ich vermutlich als Friedensnobelpreisträger infrage. Ich habe diese Lösung nicht. Von politischer Seite, das muss ich klar sagen, wird viel getan. Problematisch sind aus meiner Sicht zwei Dinge: Das sind zum einen die sozialen Medien, die ganz bewusst Hass in die Gesellschaft tragen. Aber ich sehe auch eine Verantwortung bei den klassischen Medien, allen voran den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Bilder generell, aber ganz konkret die aus dem Nahen Osten, wirken einfach mehr als Worte. Das dort transportierte negative Israel-Bild ist häufig ein Brandbeschleuniger für den Extremismus in Deutschland.

    An welche Bilder denken Sie?

    Schuster: Bilder, die aus Gaza kommen, die Verletzte zeigen. Jeder Verletzte in Gaza tut mir genauso leid wie ein verletzter Israeli. Allerdings wird bei der Bildauswahl häufig einfach vergessen, dass die Menschen dort von der Hamas, von den eigenen Leuten, ganz bewusst als menschliche Schutzschilde benutzt werden. Abschussrampen und Terrorzentralen werden unter Wohnhäusern, Krankenhäusern und Schulen angelegt. Viele dieser Gebäude werden gar nicht mehr in dieser Form genutzt und trotzdem heißt die Meldung: „Angriff auf Schule“. Fatal sind auch übernommene Narrative der Terrorgruppen.

    Sie selbst haben Kinder, Schwiegerkinder und Enkel. Raten Sie ihnen, jüdische Symbole wie Kippa oder Davidstern-Kette lieber nicht öffentlich zu zeigen?

    Schuster: In Würzburg hätte ich wenig Bedenken, ein religiöses Symbol als Schmuckstück zu tragen. Meine Kinder aber leben in Frankfurt und München. Dort würde ich raten, so eine Kette zumindest nicht in allen Stadtvierteln offen zu zeigen.

    Müssen Jüdinnen und Juden heute mehr Vorsicht walten lassen als noch vor ein paar Jahren?

    Schuster: Ja, das hat sich verändert. Ich erinnere mich, Anfang 2015, kurz nachdem ich das Amt übernommen hatte, habe ich in einem Radiointerview gesagt, dass das Tragen einer Kippa in einigen Stadtvierteln von Berlin absolut nicht ratsam ist. Das gab damals einen Aufschrei in den Medien. Dabei war das innerhalb der jüdischen Community eine Binsenwahrheit. Heute sorgt so eine Äußerung nicht mehr für Schlagzeilen.

    Zuletzt haben die demokratischen Parteien im Bundestag lange gerungen, um eine gemeinsame Resolution zum Schutz jüdischen Lebens auf den Weg zu bringen. Jetzt wurde sie verabschiedet. Sogar die AfD hat zugestimmt. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

    Schuster: Die Punkte, die der Zentralrat für wesentlich hält, um jüdisches Leben in Sicherheit zu ermöglichen, finden sich in der Resolution wieder. Dass die AfD zugestimmt hat, liegt wohl daran, dass der migrationsbedingte Antisemitismus benannt wird. Gut wäre es gewesen, wenn in der Resolution genauso der linksextreme und rechtsextreme Antisemitismus benannt worden wäre – dann hätte die AfD wohl Schwierigkeiten gehabt. Die Linke hat sich enthalten. Viel bemerkenswerter finde ich die Ablehnung durch das BSW.

    Gab es eine Begründung?

    Schuster: Mir ist sie nicht bekannt. Aber dieses Nein macht deutlich, wie dieses Bündnis tickt.

    Sie hatten Sahra Wagenknecht zuletzt Israelhass vorgeworfen.

    Schuster: Dazu stehe ich.

    Ein Streitpunkt in der Diskussion war, inwieweit Anträge auf öffentliche Gelder einer Antisemitismus-Prüfung unterzogen werden müssen. Kritiker sahen hier die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gefährdet.

    Schuster: Es geht nicht darum, einzelne Personen zu durchleuchten. Es geht darum, sicherzustellen, dass Projekte, die gefördert werden, keine antisemitischen Narrative verbreiten. Es muss klar sein: Antisemitismus ist keine Meinung. Dafür kann nicht die Kunst- und Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werden. Es geht nicht um Verbote, es geht um die Förderung durch Steuergeld.

    Viele Menschen treibt die Sorge um, jede Israelkritik werde gleich als Antisemitismus gedeutet.

    Schuster: Warum eigentlich? Es ist doch gar nicht so schwer, das zu unterscheiden. Ich empfehle die sogenannte Drei-D-Theorie. Demnach hat die legitime Kritik an Israel ihre Grenzen, wo Israel dämonisiert wird, wo an Israel Doppelstandards angelegt werden, die man an andere Länder nicht anlegt – und wo Israel delegitimiert, also dem Staat das Existenzrecht abgesprochen wird. Mit diesen drei D kommt man gut klar. Natürlich ist es völlig unstrittig, dass man die Politik von Premier Netanjahu kritisieren kann – so wie man nicht alle Entscheidungen des deutschen Bundeskanzlers oder der Kanzlerin in Deutschland gut finden muss. Genau das ist Demokratie.

    Viele Jüdinnen und Juden hierzulande sagen, sie seien genervt davon, in privaten Gesprächen ständig die Politik Israels rechtfertigen zu müssen – als seien sie Botschafter oder Pressesprecher der Regierung. Nervt sie das auch?

    Schuster: Es ist eine Erfahrung, die ich auch mache. Klar ist aber auch, dass meine persönliche Haltung zu Israel keine objektive ist. Und zwar allein deshalb, weil nach israelischem Recht jeder Jude in der Welt die Möglichkeit hat, zu jedem Zeitpunkt nach Israel einzuwandern. Israel ist der sichere Zufluchtshafen für uns alle. Hätte es einen solchen schon in den 1930er Jahren gegeben, wäre sehr viel Leid verhindert worden.

    Ist nach Israel auszuwandern, heute eine reale Option für Jüdinnen und Juden in Deutschland?

    Schuster: Diese Option war nach dem 7. Oktober für viele keine reale Perspektive mehr. Es kommt jetzt auf die Entwicklung auch in Deutschland an. Es bleibt eine Option.

    Zuletzt war es eher so, dass mehr Menschen aus Israel nach Deutschland gezogen sind als umgekehrt.

    Schuster: Das ist richtig. Von mir haben Sie auch noch nicht gehört, dass ich es für notwendig halte, dass Jüdinnen und Juden Deutschland verlassen. Das sage ich auch heute nicht. Unabhängig davon ist es gut zu wissen, dass Israel, wenn es zu Problemen kommt, eine Alternative ist.

    Was wäre so eine Situation, in der sie umdenken würden?

    Schuster: Ich könnte mir vorstellen, bei einer erheblichen Regierungsbeteiligung extremer Parteien könnte für Juden ein Leben in Deutschland unmöglich werden.

    Sie beklagen auch immer wieder einen zu laxen Umgang der Justiz mit antisemitischen Straftaten? Braucht es schärfere Gesetze?

    Schuster: Wir brauchen keine schärferen Gesetze. Wir brauchen aber eine Justiz, die die bestehenden Gesetze glasklar anwendet. Ich habe ein Problem damit, dass bei antisemitischen Straftaten häufig nicht das Strafmaß in seiner ganzen Breite ausgeschöpft wird. Zu oft wird dann von Gerichten auf mildernde Umstände verwiesen - wie die Fluchterfahrung oder die schwere Jugend eines Beschuldigten. Da gibt es dann Bewährungsstrafen von wenigen Monaten. Darüber lacht der Täter doch. Ich finde, eine Strafe muss abschreckende Wirkung haben. Da hat die Justiz eine hohe Verantwortung.

    Gibt es seit dem Hamas-Überfall und dem folgenden Krieg im Nahen Osten auch Erfahrungen, Erlebnisse, die dem Zentralratspräsidenten Hoffnung machen?

    Schuster: Ja, die gibt es. Viele Menschen erklären im Internet, in Mails ihre Solidarität mit der jüdischen Community. Diese Stimmen sind meist leiser als die negativen, aber sie machen Hoffnung. Ich freue mich auch, wenn ich beispielsweise sehe, wie viele Leute zur Gedenkstunde am Jahrestag der Reichspogromnacht hier in Würzburg gekommen sind. Vor wenigen Wochen haben wir Richtfest der Jüdischen Akademie gefeiert, die in Frankfurt entsteht. Das sind Lichtblicke.

    Als Sie vor zehn Jahren ihr Amt angetreten sind, hatten sie auch den Anspruch, jüdisches Leben allgemein sichtbarer zu machen. Ist das gelungen?

    Schuster: Es ist in Teilen gelungen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass mir schon 2014 klar war, dass das meist ein frommer Wunsch bleiben wird. Die Rolle des Mahners gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit nimmt – wie bei allen meinen Vorgängern – deutlich mehr Raum ein.

    2020 haben Sie Ihre Praxis aufgegeben und sind als Internist in Rente gegangen. Seitdem sind Sie Zentralratspräsident in Vollzeit. Vermissen Sie die Medizin?

    Schuster: Was ich überhaupt nicht vermisse, ist das Klingeln des Weckers früh um 6 Uhr. Jetzt klingelt er um 7.30 Uhr. Das ist schon ein Stück mehr an Lebensqualität – nach über 30 Jahren Praxis. Was die Medizin betrifft, habe ich mir ja ein bisschen Arbeit erhalten. Zwei- bis dreimal im Monat bin ich weiterhin als Notarzt beim Roten Kreuz tätig.

    Zur Person: Seit genau zehn Jahren ist der Würzburger Arzt Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der 70-Jährige stammt aus einer Familie mit langer fränkisch-jüdischer Tradition. Für sein Engagement als Mahner gegen Menschenfeindlichkeit jeder Art ist Schuster vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit der Ehrendoktorwürde der Uni Würzburg.

    Diskutieren Sie mit
    2 Kommentare
    Wolfgang Leonhard

    Dass Herr Schuster die Politik eines steckbrieflich gesuchten Kriegsverbrechers wie Netanjahu mit der Politik des deutschen Bundeskanzlers gleichsetzt, ist befremdlich.

    Viktoria Reissler

    Ein Riesenbericht auf Seite 1 über Antisemitismus und nicht ein Wort über den muslimischen Antisemitismus. Das zeigt genau das Problem in Deutschland.................................Probleme werden nicht angesprochen!

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden