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Interview: Israels Botschafter Prosor: "Wir müssen uns verteidigen, um zu überleben"

Interview

Israels Botschafter Prosor: "Wir müssen uns verteidigen, um zu überleben"

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    Der neue israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor.
    Der neue israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Herr Botschafter, Ihr Vater wurde 1927 in Deutschland geboren, Ihr Großvater war Offizier in der Reichswehr, ehe die Familie 1933 vor den Nazis nach Palästina fliehen musste. Wie blickt ein Israeli mit deutschen Wurzeln wie Sie auf das Land der Täter?

    Ron Prosor: Mein Vater, Ulrich Proskauer, hat hier in Berlin in der Eisenzahnstraße 3 mit seinen Eltern Friede und Berthold Proskauer und seiner Schwester Lieselotte gelebt – eine patriotische deutsche Familie jüdischen Glaubens.

    Ist Ihre ganze Familie durch die frühe Flucht dem Holocaust entkommen?

    Prosor: Diese Familie hatte nicht viel mit dem Judentum zu tun, sie haben sich als Deutsche gesehen. Als in Deutschland die Bücher gebrannt haben, hat meine Großmutter gesagt, wir können hier nicht bleiben. Sie selbst hat immer über das Gewandhaus in Leipzig gesprochen und über Goethe und Schiller. Denn obwohl sie sprachbegabt war – sie konnte Französisch, Latein, Englisch und natürlich Deutsch –, hat sie es in 50 Jahren in Israel nicht geschafft, Hebräisch zu lernen. Da war eine mentale Blockade. Zum Glück konnte sie Deutsch sprechen mit den Jeckes, all den deutschen Juden, die auch fliehen mussten.

    Was ist denn an Ihnen noch typisch deutsch?

    Prosor: Ich rede mir ein, dass es da nichts gibt (lacht), schließlich ist meine Mutter in Israel geboren, ihre Eltern kamen damals aus Odessa. Meine Kinder aber behaupten, ich hätte sehr wohl etwas Deutsches an mir, zum Beispiel eine gewisse Disziplin. Leider muss ich zugeben, dass ich disziplinierter bin, als ich denke und die Pünktlichkeit steckt mir auch in meinen Knochen. Aber die klassische jeckische Mittagsruhe, die "Schlafstunde" mache ich nicht, weshalb ich mich nicht komplett als deutsch oder jeckisch bezeichnen kann.

    Bei offiziellen Anlässen wird gerne das enge Verhältnis zwischen Deutschland und Israel beschworen. Der Historiker Michael Wolffsohn hat da so seine Zweifel. Bei den Israelis, sagt er, sei Deutschland nach den USA das beliebteste Land, vielen Deutschen aber sei Israel in etwa so sympathisch wie Nordkorea und Syrien. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

    Prosor: Die Realität in Israel ist eine andere als in Europa. Wir sind nicht von Liechtenstein, Luxemburg oder San Marino umgeben, kleinen, friedlichen Nachbarn, sondern von Ländern, die uns nichts Gutes wollen. Wir müssen uns verteidigen, um zu überleben, und das versteht nicht jeder. Gerade in Deutschland sollte man wissen, wie wichtig es ist, für demokratische Werte einzustehen und diese zu schützen. Wir kämpfen jeden Tag seit der Gründung Israels um den Erhalt dieser Werte. Wir müssen ständig aufs neue abwägen, um die Freiheit und die individuellen Rechte zu verteidigen. Dies produziert nicht immer schöne Bilder. Aber wenn das Verständnis eines Tages da ist, wird niemand mehr mit dem Finger auf uns zeigen. Die Menschen müssen ihre Augen öffnen, um zu verstehen, in was für einer Situation wir uns befinden.

    Daher halten viele Israel für ein unsicheres Land, in das man nicht reisen sollte.

    Prosor: Vor 40 Jahren haben wir bereits strenge Kontrollen an unseren Flughäfen eingeführt, was uns damals viel Kritik aus Europa eingebracht hat. Wir würden die Privatsphäre verletzen und die Menschenrechte! Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es plötzlich an allen Flughäfen solche Kontrollen, weil jeder Staat die Aufgabe hat, seine Bevölkerung zu schützen und seine Werte zu verteidigen. Machen wir dabei Fehler? Ja. Aber Menschen, die noch nie in Israel waren, erschließt sich unsere sehr spezielle Realität nur schwer. Ich hoffe allerdings, dass nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine nun das Verständnis dafür wächst, dass ein angegriffenes Land sich nicht nur mit Worten wehren kann. Ich war Staatssekretär im Außenministerium, als wir in der Hoffnung, Land abzugeben und dafür Frieden zu bekommen, 2005 den Gaza-Streifen geräumt haben. Frieden aber haben wir bis heute nicht. Anstatt Gaza in ein neues Singapur zu verwandeln, haben sie sich zu einem Terrorstaat entwickelt. Seit Anfang des Jahres wurden 28 Israelis von palästinensischen Terroristen ermordet.

    Wie soll das Verständnis wachsen? Fast jede Schule schickt ihre Schüler nach Frankreich oder England. In Israel muss man solche Projekte mit der Lupe suchen.

    Prosor: Erstmal gibt es viel mehr Jugend- und Schüleraustausch mit Israel, als Sie glauben. Täglich arbeiten viele gute Leute auf beiden Seiten daran, solch einen Austausch zu ermöglichen. Obwohl wir vor kurzem ein Jugendwerk gegründet haben, ist es unsere gemeinsame Aufgabe den Austausch weiter zu vertiefen. Denn der Austausch ist die Brücke zwischen unseren beiden Ländern und auch zwischen Vergangenheit und Zukunft. Für mich als Botschafter ist dies wirklich ein wichtiges Anliegen. Ich rufe jeden dazu auf, der einen Austausch organisieren möchte, uns zu kontaktieren, ob Schulleiter, Lehrer oder Schüler. Yallah, kadima! Oder auf deutsch: vorwärts, auf geht‘s. Im Namen der Vergangenheit für die gemeinsame Zukunft!

    Ein Blick auf den Felsendom auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt.
    Ein Blick auf den Felsendom auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt. Foto: Mahmoud Illean/AP, dpa

    Was kann Deutschland von Israel lernen?

    Prosor: Wir können am besten voneinander lernen. Denn die deutsche Pünktlichkeit, der Fleiß sowie die Effizienz, lassen sich wunderbar mit dem israelischen Chuzpe, unserer Leidenschaft und unserer Resilienz kombinieren. Aber wenn Sie mich so konkret fragen: Israel ist die multikulturellste Gesellschaft, die Sie sich vorstellen können. Hier leben Juden aus dem Irak, aus Osteuropa, Äthiopien und Ägypten mit Arabern, Drusen und Christen zusammen, eine sehr diverse Gesellschaft. Wir wissen, wie man Einwanderung organisiert. Das ist nicht leicht, auch wir haben viele Probleme, aber ich glaube, dass Deutschland hier viel von uns lernen kann. Wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt.

    In Deutschland nimmt die Gewalt gegen Juden zu. Welcher Antisemitismus ist der gefährlichsten; Der von rechts, der von links – oder der muslimische?

    Prosor: Der von rechts ist ziemlich klar, hierbei wird der Hass gegen Juden offen ausgelebt. Dieser Antisemitismus ist leichter zu erkennen, die deutschen Behörden machen in diesem Fall schon gute Arbeit. Mit dem Antisemitismus von links wird es schon schwieriger, er wird schleichend salonfähig und tarnt sich häufig mit dem Hinweis auf die Freiheit der Presse, der Meinung oder der Kunst, denken Sie nur an den Skandal bei der documenta oder die Auftritte von Roger Waters. Dabei wird die rote Linie immer öfter übertreten. Das ist sehr gefährlich. Wie der muslimische Antisemitismus funktioniert, können Sie gerade in Neukölln sehen, wo Palästinenser mit Billigung der palästinensischen Autonomiebehörde Geld für Mörder sammeln – also für Attentäter, die Juden getötet haben oder noch töten werden. Das ist bekannt als "pay for slay" – bezahle, um jemanden umzubringen. Und je mehr Juden jemand tötet, umso mehr Geld bekommt er. Das wäre, als hätte man in Deutschland mit dem Segen der Bundesregierung Geld für die RAF oder den NSU gesammelt. Generell ist jede Art von Antisemitismus gefährlich für die deutsche Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die Hetze gegen Minderheiten billigt, ist nicht inklusiv oder tolerant, sondern tritt ihre demokratischen Werte mit Füßen.

    Bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Berlin zog im Hintergrund die palästinensische Organisation Samidoun die Fäden. Sie fordern, diese Gruppe auf die Liste der terroristischen Organisationen zu setzen. Was macht sie so gefährlich?

    Prosor: Diese Gruppe ruft auf der Straße Tod den Juden und Tod Israel. Der Terror gegen

    Die Anschläge in Israel häufen sich wieder. Wie besorgniserregend ist die Lage?

    Prosor: Die israelische Armee muss nahezu jeden Tag eingreifen, um Anschläge zu verhindern. In Deutschland wird das gerne als Kreis der Gewalt beschrieben, als seien wir für die Eskalation mitverantwortlich. Was hier nicht verstanden wird, ist die Tatsache, dass wir unsere Bevölkerung schützen müssen. Wenn wir nicht klar gegen die Terroristen vorgehen würden, gäbe es jeden Tag Terroranschläge mit toten Zivilisten in Haifa, Jerusalem oder Tel Aviv.

    Die Bundesregierung hat eine neue Sicherheitsstrategie vorgelegt. Fühlt Israel sich da ausreichend berücksichtigt?

    Prosor: Zunächst einmal freue ich mich, dass Deutschland sich um Israels Sicherheit sorgt. Aber was würden Sie sagen, wenn ich mich hinstellen und erklären würde: "Deutschland hat ein Existenzrecht" – ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Ich bin sicher, dass es gut gemeint war, aber den Begriff "Staatsräson", den Merkel und Scholz als grundlegenden Teil deutscher Sicherheitspolitik gesehen haben, konnte ich in der neuen Sicherheitsstrategie nicht finden. Es ist wichtig, dass es bei der Staatsräson nicht nur bei Worten bleibt, sondern dass sie mit Inhalt gefüllt wird.

    Angela Merkel hat 2008 in der Knesset gesagt, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson. Was heißt das denn konkret? Muss die Bundeswehr Israel im Falle eines iranischen Angriffs beistehen?

    Prosor: Seit der Gründung des Staates Israel haben wir von unserer Vergangenheit gelernt, dass wir uns selbst verteidigen, ohne von anderen abhängig zu sein. Das ist ein Kernaspekt unserer nationalen Identität und nach Jahrhunderten von Verfolgung alles andere als selbstverständlich. In Israel gibt es niemanden, der daran glaubt, dass im Ernstfall Europa kommen wird, um uns zu verteidigen. In

    Sind wir den Mullahs gegenüber zu milde?

    Prosor: Ja. Man muss gegen die Mullahs strenger und konsequenter vorgehen. Die Sanktionen gegen die Iranische Revolutionsgarde müssen härter durchgesetzt werden und Europa sollte sie auf die EU-Terrorliste setzen. Wir haben nichts gegen die iranische Bevölkerung, ganz im Gegenteil! Der Druck muss deutlich erhöht werden, um die iranische Bevölkerung, allen voran die mutigen Frauen auf der Straße, zu unterstützen.

    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Foto: Abir Sultan/Pool EPA/AP

    Der Einzug einer rechtsreligiösen Partei in die neue Koalition von Benjamin Netanjahu hat Israel im Ausland viel Kredit gekostet. Stimmt es, dass die Bundesregierung deshalb die deutsch-israelischen Konsultationen nicht wieder aufnehmen will? Mit China hat sie es nach einer ähnlich langen Pause gerade wieder getan.

    Prosor: Ich möchte uns nicht mit anderen Ländern vergleichen, aber ich wünsche mir ein solches Treffen noch in diesem Jahr – am besten in Jerusalem, schließlich feiern wir ja gerade 75 Jahre Israel. Wegen Corona und den vielen Wahlen bei uns haben wir uns schon einige Jahre nicht mehr getroffen, und auch wenn wir uns nicht in allem einig sind: regelmäßige Konsultationen zweier Regierungen sind doch gerade dazu da, um über strittige Themen zu sprechen. Ich weiß ganz genau, dass Deutschland die Möglichkeit für die Regierungskonsultationen mit Israel speziell in diesem Jahr nicht verpassen wird. Deutschland ist nach den USA unser wichtigster strategischer Partner: Militärisch, wirtschaftlich, in der Forschung und der Raumfahrt. Diese enge Partnerschaft werden wir in der Zukunft noch ausweiten.

    Zur Person: Ron Prosor ist seit August Israels Botschafter in Berlin. Der 64-Jährige war Offizier in der Armee, studierte später Politik und war als junger Diplomat schon einmal in Deutschland: In der Wendezeit knüpfte er als einer der ersten israelischen Repräsentanten Kontakte zur DDR.

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