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Interview: Ingo Zamperoni: „Es ist nicht unsere Aufgabe, irgendwas zu verhindern“

Interview

Ingo Zamperoni: „Es ist nicht unsere Aufgabe, irgendwas zu verhindern“

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    Hat seine Laufbahn als Journalist in der Schülerzeitung „Mülltonne“ in Wiesbaden begonnen. Nun ist Ingo Zamperoni Moderator der Tagesthemen.
    Hat seine Laufbahn als Journalist in der Schülerzeitung „Mülltonne“ in Wiesbaden begonnen. Nun ist Ingo Zamperoni Moderator der Tagesthemen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Herr Zamperoni, die Politik in den USA hält seit Wochen die ganze Welt in Atem. Sie haben den deutschen Fernsehzuschauern den amerikanischen Teil ihrer Familie und deren politische Zerrissenheit ja bereits vor der Wahl 2020 - und dann nochmals 2022 - in Reportagen für die ARD nahegebracht. Wie schauen ihre US-Verwandten aktuell auf das beispiellose Drama um Biden, Trump und Harris?

    Ingo Zamperoni: Das war schon eine wirklich unglaubliche Entwicklung. Ich bin vor gut einem Monat in die USA geflogen. Da war fest eingemauert, dass das Duell ums Weiße Haus „Joe Biden gegen Donald Trump“ lauten wird. Dann das Attentat auf Trump, der Rückzug von Biden - Schlag auf Schlag. Meine Schwiegermutter hat sehr großen Respekt für Biden. Als sie gehört hat, dass er aufhört, war sie am Boden zerstört. Jetzt hat sie zwei, drei Nächte drüber geschlafen und sieht, welche Energie das plötzlich bei den Demokraten freisetzt. Nicht nur, dass unfassbare 100 Millionen Dollar Spendengelder in zwei, drei Tagen zusammengekommen sind. Es geht um Aufbruchstimmung in der Partei. Übrigens gibt es am Abend vor der Wahl einen dritten Teil der Reportagen über die Familie meiner Frau im Ersten.

    Was hat Ihr Schwiegervater zu der sich abzeichnenden neuen Konstellation gesagt - er ist ja bekennender Republikaner und Trump-Wähler?

    Zamperoni: Also mein Schwiegervater - er findet vieles an Trump schrecklich, hat ihn aber dennoch gewählt - war gar nicht mal so sehr überrascht. Viele Beobachter haben ja schon 2020 gesagt, dass Joe Biden das kein halbes Jahr durchhält und dann Kamala Harris Präsidentin wird. Es kam anders. Biden hat seinen Job in vielen Punkten gut gemacht.

    Hätte Joe Biden nicht schon viel früher klar sein müssen, dass er für den Wahlkampf und eine zweite Amtszeit als Präsident nicht mehr die mentalen Voraussetzungen mitbringt? Was trauen Sie Kamala Harris zu?

    Zamperoni: Joe Biden hat große Verdienste. Er, der Donald Trump schon einmal geschlagen hat, war felsenfest überzeugt, dass ihm dies im November erneut gelingen würde. Dennoch ist es gut, dass er aufgegeben hat. Die Belastung eines Präsidentschaftswahlkampfs, aber auch das Amt selbst sind extrem herausfordernd. Legen Sie mal Bilder von Barack Obama oder Biden am Amtsantritt und am Ende Ihrer Zeit im Weißen Haus nebeneinander. Ich traue Kamala Harris einiges zu. Doch in Europa wird oft vergessen, dass nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten eine gespaltene Partei sind - zwischen fortschrittlich und konservativ.

    Die Zeit bis zu den Wahlen ist relativ knapp. Wie stehen ihre Chancen?

    Zamperoni: Als sich Harris im Jahr 2020 bei den Demokraten vergeblich um eine Kandidatur zur Präsidentschaft beworben hat, hat sie sich etwas zu sehr auf progressive Themen wie Klimaschutz oder Sozialprogramme fokussiert. Wenn sie das jetzt wieder so machen würde, wäre es leicht für die Republikaner, sie als eine Linksradikale zu attackieren. Diesen Fehler wird sie sicher nicht noch einmal machen.

    Jetzt werden die Karten neu gemischt. Wie wird Kamala Harris diesen Wahlkampf stattdessen angehen?

    Zamperoni: Wir hatten bis vor wenigen Tagen ein Duell „Wackelkandidat Biden gegen den Märtyrer Trump“. Jetzt, über Nacht, heißt das Spiel „Staatsanwältin gegen Straftäter, Jung gegen Alt“. Nun ist plötzlich Donald Trump der alte weiße Mann, dessen Aussagen, teilweise total konfus sind. Er sagt ja schon jetzt, dass auch die nächste Wahl gestohlen sein würde, wenn er nicht gewinnt.

    Die Republikaner und wohl auch Trump scheinen etwas ratlos zu sein, wie sie auf die neue Lage reagieren sollen.

    Zamperoni: Ja, komplett. Dass sie vor einem Problem stehen, sieht man daran, dass die Republikaner in Zweifel ziehen, ob es überhaupt legal ist, kurz vor der Wahl die Pferde zu wechseln.

    Harris hatte von Biden die undankbare Aufgabe erhalten, sich um die Flüchtlingspolitik zu kümmern. Dabei hat sie längst nicht alle überzeugt. Darauf dürfte Trump setzen. Wie wichtig wird das Thema Migration im Wahlkampf?

    Zamperoni: Also, das übergeordnete Thema ist - wie eigentlich fast immer in den Vereinigten Staaten - die Wirtschaft. Auf dem Papier steht das Land ganz gut da: Die Ökonomie läuft, wir sehen eine Rekordbeschäftigung, die Löhne steigen wie lange nicht mehr. Das ist das eine. Doch im Mittleren Westen beispielsweise gibt es viele Menschen, die zwei Jobs haben, und das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen nicht ankommt, dass die Inflation den Einkaufskorb auffrisst. Aber klar, die Republikaner werden die Migration an der Südgrenze zu Mexiko zu einem großen Wahlkampfthema machen.

    Entscheidend sind Siege in den Swing States, die mal von Republikanern, mal von den Demokraten gewonnen werden. Ist Harris in der Lage, den Wählern aus der von Verlustängsten geprägten weißen Mittelschicht dort die Angst vor der Zukunft zu nehmen? Pathetischer gefragt: Sind die USA so weit, Kamala Harris als erste Frau überhaupt und als erste schwarze Frau zudem in das Weiße Haus zu wählen?

    Zamperoni: Erst einmal sehen wir eine große Euphorie und Mobilisierung bei den Demokraten. Gleichzeitig ist es ja nicht so, dass Harris nun überall super beliebt ist. Im Wahlkampf wird sie mit Rassismus und Sexismus zu kämpfen haben. Allerdings sind es noch drei Monate bis zur Wahl - in der Politik, gerade in den USA, eine halbe Ewigkeit.

    Sie haben in Ihren Büchern und TV-Reportagen eindringlich über die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft berichtet. Ein Hort der Harmonie ist Deutschland derzeit aber auch nicht gerade. Wie empfinden Sie die Atmosphäre im Land?

    Zamperoni: Das stimmt leider. Eine Ursache ist sicher die Dauerbelastung durch die verschiedenen Krisen, die uns in schneller Abfolge getroffen haben: Corona, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Mir ist mein Schlusssatz bei den Tagesthemen, „Bleiben Sie zuversichtlich“, in der Corona-Zeit förmlich in den Schoß gefallen. Meine Familie kommt aus Italien. Dort hat die Pandemie ungleich härter gewütet, auch die Einschränkungen für die Menschen dort waren viel restriktiver. Ich hatte einfach das Bedürfnis, den Fernsehzuschauern zu sagen, dass es auch wieder bergauf gehen wird. Ich habe im Übrigen auch nie verstanden, warum die frühere Kanzlerin Angela Merkel so für ihren Satz „Wir schaffen das“ angefeindet worden ist. Hätte sie sagen sollen, „Wir schaffen das nicht?“

    Auch die Medien - also natürlich auch Sie und ich - stehen in der Kritik, was die Berichterstattung über die Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine betrifft. Wie kann Vertrauen gewonnen werden?

    Zamperoni: Gerade in Zeiten wie diesen sollten Journalisten nicht als Aktivisten auftreten. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Strömung, eine Partei oder irgendwas zu verhindern oder zu befördern. Gleichzeitig müssen Lügen, Rechtswidrigkeiten oder Extremismus klar benannt werden. Bei allen Sachen, die außerhalb der Verfassung, der freiheitlich rechtlichen Grundordnung liegen, können wir als Journalisten nicht einfach sagen, na ja gut, der oder die ist halt dieser Meinung. Das ist die Grenze.

    Bekannt geworden sind sie als Moderator. Doch Sie hatten schon verschiedene TV-Shows, schreiben Bücher, sind Honorarprofessor, halten Vorträge, setzen sich karitativ für Kinder ein, haben eine Familie, drei Kinder. Führen Sie ein rastloses Leben?

    Zamperoni: Nein, gar nicht, auch wenn es so wirken mag. Ich bin weniger der Typ, der Angst hat, etwas zu verpassen, sondern eher einer, der nicht immer und überall alles mitnehmen muss. Familie ist das Wichtigste als Anker, die erdet mich. Und - was ich besonders liebe und was ich jedem nur empfehlen kann -, wenn ich nach der Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause fahren kann. Oder, wenn ich es schaffe, mit meinen Kumpels im Verein endlich mal wieder Hockey zu spielen. Das Karitative, also mein Einsatz etwa für Kinder, die nicht so privilegiert sind, wie ich in meiner Jugend es war, ist ein weiterer Ausgleich.

    Sie sind in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden. Haben Sie Pläne oder Träume für die kommenden Jahre? Was könnten Sie sich vorstellen?

    Zamperoni: Ich habe im Gymnasium für die Schülerzeitung „Mülltonne“ gearbeitet, also, wenn man so will, „für die Tonne“ geschrieben. Damals dachte ich, ein Traum wäre es als Auslandskorrespondent zu arbeiten, im besten Fall in den USA. Und dieser Traum ist in Erfüllung gegangen. Am wichtigsten ist aber, körperlich und geistig noch lange so fit wie möglich zu bleiben.

    Zur Person: Ingo Zamperoni moderiert seit 2016 die ARD-„Tagesthemen“. Profiliert hatte sich der 50-Jährige, der unter anderem in den USA Jura, Geschichte und Anglistik studiert hat, zuvor als Auslandskorrespondent der ARD in Washington. Zamperoni ist mit einer amerikanischen Journalistin verheiratet. Das Paar hat drei Kinder und wohnt in Hamburg. Ein großer Erfolg wurde sein Buch „Fremdes Land Amerika“.

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