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Interview: Immunologe Watzl: "Ich sehe einen Lockdown auf uns zukommen"

Interview

Immunologe Watzl: "Ich sehe einen Lockdown auf uns zukommen"

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    Carsten Watzl fürchtet, dass eine große Zahl von mit der Corona-Variante Infizierten das Gesundheitssystem abermals an die Belastungsgrenze bringen wird.
    Carsten Watzl fürchtet, dass eine große Zahl von mit der Corona-Variante Infizierten das Gesundheitssystem abermals an die Belastungsgrenze bringen wird. Foto: dpa (Archivbild)

    Wie gut wird uns die Booster-Impfkampagne vor der drohenden Omikron-Welle schützen? Schon bei der Delta-Variante sehen wir, dass viele Geimpfte trotz zweifacher Dosis sich anstecken und das Virus an andere weitergeben können …

    Carsten Watzl: Viele denken, dass die Corona-Impfung grundsätzlich vor einer Ansteckung schützen muss. Aber das ursprüngliche Ziel war, dass die Impfung vor einer schweren Erkrankung nach einer Infektion schützen sollte. Dass Impfstoffe wie Biontech aber sogar zu 95 Prozent Schutz davor geboten haben, dass Menschen überhaupt Symptome wie bei einem grippalen Infekt bekommen, war sozusagen ein zusätzlicher Bonus ihrer sehr guten Wirksamkeit. Nachdem nun große Teile der Bevölkerung doppelt geimpft sind, sehen wir, dass der Schutz vor der schweren Erkrankung deutlich länger anhält als der Schutz vor der reinen Infektion. Auch wenn der Impfschutz nicht ein Leben lang währt, tut er, was er soll. Wir sehen aber schon bei der Delta-Variante, dass sich auch immer mehr Geimpfte anstecken und damit auch andere anstecken können. Dadurch steigt das Risiko für Ungeimpfte noch mehr. Dagegen helfen jetzt im Kampf gegen die Delta-Variante die Booster-Impfungen, die den Ansteckungsschutz für Geimpfte deutlich erhöhen. Wir können uns aus der Delta-Welle herausboostern, aber ich bin skeptisch, dass dies ausreicht, um die drohende Omikron-Welle einzudämmen..

    Was macht die ansteckende Omikron-Welle trotz Impfschutz so bedrohlich?

    Watzl: Die Geimpften und besonders die Geboosterten werden hoffentlich auch bei der Omikron-Variante einen so hohen Schutz vor dem schweren Verlauf haben, dass nicht sehr viele erkranken und zur Belastung der Krankenhäuser beitragen. Aber wenn sich die Omikron-Variante sehr stark verbreitet, dann findet das Virus die Ungeimpften noch viel schneller und wird eine viel höhere Zahl von ihnen anstecken als die Delta-Variante. Leider droht auch, dass sich vermehrt Menschen aus der sogenannten vulnerablen Gruppe anstecken, die durch ein schwächeres Immunsystem ein höheres Risiko haben, schwer zu erkranken.

    Experten in Großbritannien sagen trotz Booster in Modellrechnungen zehntausende neue Schwerkranke auf den Intensivstationen voraus ...

    Watzl: Selbst wenn die Impfung das Erkrankungsrisiko um 80 Prozent oder 90 Prozent reduziert, bleibt immer noch ein hohes Restrisiko, dass auch ein Teil der Geimpften im Krankenhaus landet. Deshalb wird mit einer drohenden schnell anwachsenden Omikron-Welle und einem starken Anstieg der Infiziertenzahlen zwangsläufig auch die Krankenhausbelastung hochgehen. Das gilt selbst dann, wenn die Omikron-Variante zu weniger schweren Verläufen führen sollte, denn wir werden einfach insgesamt viel mehr Fälle bekommen. Ich bin allerdings skeptisch, dass Omikron wirklich harmloser ist. Darauf sollte man sich nicht verlassen. Und selbst wenn am Ende ein geringerer Prozentsatz der Infizierten im Krankenhaus landen sollte, droht dies wegen der schieren Masse der Betroffenen das Gesundheitssystem zu überlasten .

    Warum könnte das Boostern Ihrer Meinung nach nicht ausreichen?

    Watzl: Natürlich ist das Boostern richtig. Doch die ersten Berichte weisen darauf hin, dass selbst nach dem Boostern der Schutz vor einer Omikron-Infektion nur bei rund 75 Prozent liegen könnte, während er bei Delta nach der dritten Impfung bei weit über 90 Prozent liegt. Das würde bedeuten, dass sich viel mehr geimpfte Menschen mit Omikron anstecken könnten. Und um eine neuerliche Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, müssen wir noch viel mehr Ungeimpfte mit den Impfungen erreichen, um ihnen überhaupt erst einen Schutz vor der schweren Erkrankung zu geben. Da läuft uns jetzt die Zeit davon. Wir sollten bei allen Schlangen vor Impfzentren Überholspuren für Erstimpfungen ohne Termin und Wartezeit haben.

    Was wird die Konsequenz des geringeren Impfschutzes für die kommende Welle sein?

    Watzl: Wir werden die bei Omikron hochschießenden Inzidenzen sehr stark runterbringen müssen; und das wird uns nicht jetzt wie in dieser vierten Welle mit Booster-Impfungen gelingen, sondern dann nur wieder mit Abstand und Kontaktbeschränkungen. Und da werden wir alle miteinbeziehen müssen, nicht nur die Ungeimpften, weil sich auch die Geimpften anstecken können und zu steigenden Inzidenzen beitragen. Das heißt, ich sehe leider einen Lockdown auf uns zukommen, der uns alle betreffen wird. Die Geimpften werden aber einen deutlich höheren Schutz vor dem schweren Verlauf haben. Denn die Impfung sorgt nicht nur für deutlich mehr Antikörper, sondern auch für mehr und bessere T-Zellen, die auch das Virus bekämpfen können. Und hier sehen wir bei Omikron noch immer eine hohe Wirkung, denn der Immunreaktion der T-Zellen kann eine veränderte Variante nicht so einfach entgehen, wie der Abwehr der Antikörper.

    Nicht alle Ungeimpften sind Impfgegner. Experten berichten, dass auch Ärzte verunsichert sind und in einigen Fällen irrtümlich von einer Impfung abraten. Wie groß ist das Problem?

    Watzl: Wie hoch die Zahl der Fälle ist, kann ich nicht abschätzen, aber sie nehmen offenbar zu. Auch ich bekomme solche Zuschriften von Menschen, die wegen einer Erkrankung unsicher sind und fragen, ob sie sich impfen lassen können, weil ihnen der Hausarzt nicht weiterhelfen kann. Ich bin Immunologe, kein Mediziner und kann und darf da natürlich keinen medizinischen Rat geben. Aber auch die medizinischen Fachgesellschaften und ärztlichen Vereinigungen informieren über Studien und neueste Erkenntnisse, damit Ärzte Spezialfälle besser beurteilen können.

    Was raten Sie?

    Watzl: Im Zweifel ist es besser, Patienten mit Impffragen an den Facharzt zu überweisen, beispielsweise bei einer Autoimmunerkrankung. In den allermeisten Fällen ist die Impfung überhaupt kein Problem, etwa bei der Schilddrüsenentzündung Hashimoto. Auch bei bestimmten rheumatischen Erkrankungen sind Impfreaktionen sehr gut behandelbar. Aber es herrscht noch immer sehr viel Verunsicherung. Inzwischen haben die Fachgesellschaften auch im Internet Empfehlungen rund um die Corona-Impfung, die man sich anschauen kann. Wir müssen die Aufklärungskampagne auch unter den Ärzten jetzt verstärken. Bei einigen Patienten ist es eher so, dass die Impfung nicht richtig anschlägt, weil durch Medikamente oder eine Grunderkrankung das Immunsystem so geschwächt ist, dass es gar keine Abwehr aufbauen kann.

    Wird die geplante Impfpflicht bei der Omikron-Welle noch helfen?

    Watzl: Die Impfpflicht wird uns eher helfen, dass wir für den nächsten Winter in einem Jahr gerüstet sind. Wir werden es nur schaffen, diese Pandemie zu überwinden, wenn wir die Anzahl der schweren Covid-Erkrankungen kontrollieren können. Das schaffen wir nur mit einer breiten Immunität, und die kann sich jeder einzelne Mensch durch die Infektion oder durch die Impfung holen. Wir wissen, dass die Impfung viel sicherer und viel schneller ist. Deswegen ist es richtig, das Impftempo zu beschleunigen. Ich war auch lange Zeit dafür, dass man die Leute mit Fakten, Studien und Erklärungen aufklärt, damit jeder für sich entscheiden kann. Es ist eindeutig besser, sich impfen zu lassen. Aber ich merke, dass das offensichtlich nicht bei allen funktioniert und die Notwendigkeit wächst, dass wir eine immer höhere Impfquote brauchen, um durch diese Pandemie zu kommen. Das spricht leider für Impfpflicht.

    Viele Genesene mit einer Impfung fragen sich, ob ein Booster reicht oder ob ein Dreifach-Schutz besser wäre?

    Watzl: Ja, das reicht für einen vollständigen Schutz. Eine Infektion wirkt wie eine erste Impfung. Wenn sich jemand infiziert hat und danach einmal geimpft wurde, ist er so gut geschützt wie ein Nichtinfizierter, der zweimal geimpft ist. Studien zeigen, dass eine sogenannte hybride Immunität, die man sich durch Infektion und Impfung holt, sogar einen besseren Schutz gibt und wahrscheinlich auch länger anhaltend ist.

    Aufgeheizte Atmosphäre in Großbritannien. In London stehen sich Polizei und Impfgegner bei einer Demonstration in  Whitehall gegenüber. Die britische Hauptstadt hat wegen der rapiden Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus am Samstag den Katastrophenfall ausgerufen.
    Aufgeheizte Atmosphäre in Großbritannien. In London stehen sich Polizei und Impfgegner bei einer Demonstration in Whitehall gegenüber. Die britische Hauptstadt hat wegen der rapiden Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus am Samstag den Katastrophenfall ausgerufen. Foto: Dominic Lipinski, PA Wire, dpa

    Wird die Omikron-Variante die Debatte um die Impfung von Kindern über fünf Jahren neu anfachen? Aus Südafrika und Großbritannien werden Erkrankungen gemeldet …

    Watzl: Eine Impfempfehlung ist bei jeder Bevölkerungsgruppe immer eine Abwägung von Risiken und Nutzen. Wenn nun durch die Omikron-Variante die Zahl der Erkrankungen der Kinder steigt, wächst auch automatisch der Nutzen der Impfung in der Risikoabwägung. Bei Kindern war das Risiko einer schweren Corona-Erkrankung bislang immer relativ gering, lag aber nie bei null. Auch gesunde Kinder können schwer erkranken, auch wenn das zum Glück die Ausnahme ist. Weil das Risiko der Infektion bislang als gering gilt, galt auch der individuelle Nutzen der Impfung nicht hoch, und dementsprechend muss man sehr gute Daten in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen haben. Die Ständige Impfkommission wägt hier anhand vorliegender nachprüfbarer Daten ab. Das heißt, sie arbeitet evidenzbasiert und verlässt sich nicht auf Modellierungen oder Vorhersagen. Man diskutiert inzwischen darüber, ob das in einer Pandemie die richtige Herangehensweise ist, weil das viel langsamer geht. Aber so lautet bislang der Auftrag der Stiko.

    Die Zwillinge Dominik und Benjamin warten im Impfzentrum auf ihre Corona-Impfung. Die Immunisierung von Kindern bleibt ein hochemotionales Thema. .
    Die Zwillinge Dominik und Benjamin warten im Impfzentrum auf ihre Corona-Impfung. Die Immunisierung von Kindern bleibt ein hochemotionales Thema. . Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Gibt es nun mehr Erkenntnisse aus dem Ausland über Kinderimpfungen?

    Watzl: Wir bekommen immer mehr Daten aus USA, Kanada, Israel und anderen Ländern, die schon die Kinder von fünf bis elf Jahren impfen. Da zeichnet sich ab, dass die Nebenwirkungen des Kinder-Impfstoffs deutlich geringer sind als bei der Impfdosis für die älteren Kinder. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Stiko relativ schnell ihre Impfempfehlung erweitern wird. Ganz nüchtern betrachtet, ist eine Impfung das geringere Risiko als eine Infektion. Ich habe auch deshalb meine Kinder impfen lassen.

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