Herr Hofreiter, die Ampel-Koalition ist geplatzt, im Februar wird neu gewählt. Nun treffen sich die Grünen in Wiesbaden zum Parteitag. Welches Zeichen muss von dort ausgehen?
Toni Hofreiter: Von diesem Parteitag müssen drei Signale ausgehen. Erstens, dass die Grünen bei den wichtigen Themen geschlossen sind. Es wird Debatten geben, das ist klar, aber am Ende müssen wir uns einig sein. Zweitens ein Signal des Aufbruchs, wohin sich dieses Land in Zeiten großer Krisen entwickeln soll. Und drittens das Signal, dass wir hinter unserem Spitzenpersonal stehen.
Welche Zukunftsvision haben die Grünen den Wählern anzubieten?
Hofreiter: Es kommt darauf an, dass Deutschland in Europa endlich eine Führungsrolle für Frieden und Sicherheit einnimmt. Wir dürfen bei der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen, sollte Amerika unter Trump ausfallen. Mit gezielten Ansiedlungen und Förderungen wollen wir die Zukunftsindustrien nach Europa und Deutschland holen und gleichzeitig die hiesigen Firmen groß machen. Wir wollen unser Land zurück in die Führungsrolle bringen, die es schon einmal bei der Rettung unserer Lebensgrundlagen hatte.
Sie meinen den Klimaschutz?
Hofreiter: Man nennt es Klimaschutz. Aber mal ganz ehrlich, das Klima braucht keinen Schutz, wir brauchen den Schutz. Das Klima kommt ohne uns klar.
Sie sprachen das Spitzenpersonal der Grünen eben an. Wirtschaftsminister Robert Habeck bewirbt sich als Kanzlerkandidat. Ist er der richtige Mann für diese Mission?
Hofreiter: Ja, Robert Habeck ist der richtige. Er ist kommunikationsstark. Er hat gezeigt, dass er unter schwierigsten Bedingungen liefern kann. Nach Putins Überfall auf die Ukraine hat er die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas binnen eines halben Jahres beseitigt. Damals gab es die Befürchtung, dass hierzulande die Lichter ausgehen. Experten sagten voraus, dass es vier, fünf Jahre dauern würde, um sich von russischen Energieimporten zu lösen. Dass wir ohne Blackouts und die zeitweise Stilllegung von Fabriken durchgekommen sind, war eine sensationelle Leistung.
Die deutsche Wirtschaft steckt im Abschwung fest, das zweite Jahr in Folge gibt es kein Wachstum. Habeck ist der zuständige Minister, seine Bilanz ist also gar nicht so sensationell…
Hofreiter: Man darf nicht vergessen, dass das Geschäftsmodell Deutschlands vor zwei Jahren zerbrochen ist. Wir kauften billige Energie bei der einen Diktatur in Russland, fertigten schöne Produkte damit, zum Beispiel hervorragende Autos, und verkauften diese an die andere Diktatur in China. Unsere Sicherheit bezahlten die USA. Dieses Geschäftsmodell gibt es nicht mehr und jetzt sind wir dabei, ein neues zu entwickeln. Wenn man sich den rasanten Ausbau der Erneuerbaren Energien anschaut, merkt man da bereits die ersten Erfolge. Aber die Lage ist in so einer Umbruchphase zweifellos herausfordernd, noch dazu, weil 15 Jahre davor alles verzögert worden ist.
Ist es für die Grünen eigentlich sinnvoll, einen Kanzlerkandidaten auszurufen, wenn die Partei bei knapp über 10 Prozent in den Umfragen steht?
Hofreiter: Vor der letzten Bundestagswahl stand die SPD nur wenig besser da. Keiner hätte damals zehn Cent drauf gewettet, dass Olaf Scholz eine Chance hat, Kanzler zu werden. Er ist Kanzler geworden. Seitdem wurde Politik nochmal volatiler. Deshalb ja, es ist herausfordernd, aber dennoch richtig, einen Kanzlerkandidaten zu küren.
Sie sind einer der prominentesten Vertreter des linken Flügels der Grünen. Dieser ist in den zurückliegenden Jahren ins Hintertreffen geraten, der Realo-Flügel dominiert. Jetzt wird Habeck wohl Kanzlerkandidat. Was bekommt Ihr Flügel dafür?
Hofreiter: Erst einmal ist dem linken Flügel das Gleiche wichtig wie allen Grünen. Wichtig ist, dass man eine vernünftige Umweltpolitik zur Rettung unserer Lebensgrundlagen macht, dass wir Demokratie und Freiheit verteidigen und die Ukraine nicht fallen lassen. Da sind wir als Grüne die einzige demokratische Partei im Land, die da so geschlossen steht. Wir haben keine Ost-CDU, die in diesen Fragen anders tickt, auch unsere ostdeutschen Landesverbände stehen da klar. Des Weiteren ist es wichtig, dass wir die Lebensrealität der Leute nicht aus den Augen verlieren. Die Inflation ist zwar zurückgegangen, aber das heißt ja nur, dass die Produkte nicht mehr so schnell teurer werden. Die Preise gehen aber nicht auf das Niveau von vor dem Ukrainekrieg zurück, wenn Sie nur an Butter denken.
Was folgt an politischen Forderungen daraus?
Hofreiter: Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass das Leben für viele Leute erstmal schwieriger geworden ist. Schuld ist der russische Angriff auf die Ukraine, dennoch muss man sich darum nochmal stärker kümmern. Das heißt konkret, dass wir nach der Neuwahl ein Klimageld einführen und die zu meinem Bedauern stecken gebliebene Kindergrundsicherung endlich in die Tat umsetzen. Für uns Grüne ist auch das Thema bezahlbares Wohnen extrem wichtig, denn die Wohnungsnot ist insbesondere in den Städten groß. Sollten wir nach der Wahl über Koalitionen sprechen, werden das entscheidende Punkte für uns sein.
Das grüne Urthema Klimaschutz hat für die Wähler an Bedeutung verloren. Das verschlechtert die Ausgangslage für Ihre Partei im Wahlkampf, oder?
Hofreiter: Man muss viel deutlicher machen, dass es da nicht darum geht, irgendwie abstrakt das Klima zu schützen, sondern dass es schlichtweg um den Schutz des Lebens geht. Die Folgen der Klimakrise sind krass. Wenn man sieht, was bei uns vor wenigen Jahren bei der Flut im Ahrtal geschehen ist oder jetzt bei den Überschwemmungen in Spanien, dann wird deutlich, dass die Welt viel gefährlicher für uns Menschen wird. Doch wie gefährlich sie wird, haben wir selbst in der Hand.
Zur Person: Anton „Toni“ Hofreiter sitzt seit 2005 für die Grünen im Bundestag. Der Biologe aus München hat über südamerikanische Lilien promoviert und sich zunächst als Umwelt- und Verkehrspolitiker einen Namen gemacht. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist der 54-Jährige eine der lautesten Stimmen für die Unterstützung des Landes mit schweren Waffen. Hofreiter gehört dem linken Flügel seiner Partei an und ist gegenwärtig Vorsitzendes des Europaausschusses im Bundestag.
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