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Interview: Georg Nüßlein über Maskenaffäre: "Ich habe verloren, was mir wichtig war"

Interview

Georg Nüßlein über Maskenaffäre: "Ich habe verloren, was mir wichtig war"

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    Georg Nüßlein spricht erstmals ausführlich über die Maskenaffäre.
    Georg Nüßlein spricht erstmals ausführlich über die Maskenaffäre. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archivbild)

    Herr Nüßlein, am 25. Februar letzten Jahres hat der Generalstaatsanwalt Ihr Bundestagsbüro durchsucht. Vorwurf: Bestechlichkeit. Das war das Ende einer fast 20-jährigen Politikerkarriere. Wie geht es Ihnen heute damit?
    GEORG NÜSSLEIN: An jenem Morgen hat mich der Nachrichtensender n-tv gefragt, ob gerade mein Bundestagsbüro durchsucht wird. Ich erinnere mich an meine scherzhafte Antwort: „Ich suche zwar manchmal etwas, aber bisher noch ohne behördliche Unterstützung.“ Erst einige Zeit danach lief die Generalstaatsanwaltschaft auf … Da standen die Kameras längst vor meinen Büros und meinem Privathaus. Die Ereignisse dieses Tages haben mich zutiefst erschüttert. Und es wird noch eine Weile dauern, bis ich zur alten Form zurückfinde. Da hilft meine zwischenzeitlich erwiesene Unschuld nur wenigUmstrittene Masken-Deals waren legal: Das sagen Nüßlein und Sauter zum BGH-UrteilMaskenaffäre – oder wenn mir wohlmeinende Freunde sagen: „Du bist in guter Gesellschaft: vom ehemaligen Bundespräsidenten Wulff bis zum populären österreichischen Bundeskanzler Kurz, alle nach demselben System …“ Sei’s drum. Ich habe viel verloren, was mir wichtig war. Viele Menschen sagen „zu Recht“. Damit muss ich lernen umzugehen.

    Sie haben mehr als ein Jahr zu den Vorwürfen geschwiegen. Das ändert sich jetzt. Warum?
    NÜSSLEIN: Am Tag der Durchsuchung habe ich den Vorwurf sofort klar als „haltlos“ bezeichnet. In einer ersten Stellungnahme über meine Anwälte habe ich danach auch offen den Sachverhalt erklärt. Trotzdem wuchs von Tag zu Tag die öffentliche Vorverurteilung. Die Vorwürfe wurden ja auch pünktlich zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes erhoben … Im Eifer des Gefechts um die Kanzlerkandidatur interessierte nur wenige politische Weggefährten der Sachverhalt, und die, die ihn kannten, mochten nichts mehr davon wissen. Sie wollten nur nicht hineingezogen werden. Die Medien bedienten gnadenlos das Klischee des korrupten Politikers und ließen sich durch Fakten nicht davon abhalten. Angesichts des Bildes, das da entstand, verstehe ich jeden, der an meiner Integrität zweifelte, ja zweifeln musste. Und dann war da noch viel Geld im Spiel … Trotzdem: Versetzen Sie sich mal in meine Lage. Bis neun Uhr der stellvertretende Fraktionschef, der seinen Job im Griff hat. Dann bricht alles über Ihnen zusammen. Ich hatte bis dahin nicht mal Punkte in Flensburg. Gut, Glück … Und dann musste ich schweigen. Als Politiker! Die Anwälte empfehlen, keine Stellungnahmen mehr abzugeben. Was man Bekannten erzählt, landet bei der Presse. Alles wird dabei verdreht. Du glaubst, du bist in einem schlechten Film. Jetzt, da meine Unschuld klar und der Wahlkampf fern liegt, kann ich meine Sicht der Dinge darlegen. Für die Gelegenheit hier bin ich dankbar und freue mich über jeden, der offen ist, auch meinen Standpunkt zu sehen.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sie jetzt umfassend entlastet …
    NÜSSLEIN: Schon das Oberlandesgericht (OLG) München hatte mich im letzten Jahr umfassend entlastet. Nur der Klarheit halber: Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Anklage wegen Bestechlichkeit gegen mich. Im Gegenteil: Wir haben gegen das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft

    Fall erledigt: Alfred Sauter bleibt in der Maskenaffäre straffrei – genau wie Georg Nüßlein.
    Fall erledigt: Alfred Sauter bleibt in der Maskenaffäre straffrei – genau wie Georg Nüßlein. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Jenseits des Juristischen: Haben Sie aus der Not anderer, nämlich dem Mangel an Masken, ein Geschäft gemacht?
    NÜSSLEIN: Macht der Sanitätshandel oder die Apotheke ein Geschäft aus der Not der Menschen? Haben alle anderen Lieferanten von Masken, die nach uns kamen, ein Geschäft aus der Not gemacht? Doch eher gegen die Not. Überlegen Sie mal, was ein solcher Vorwurf über das marktwirtschaftliche Verständnis derer sagt, die ihn erheben. An der Stelle müssen Sie sich unbedingt die chaotischen Zustände im März 2020Fall Georg Nüßlein: Dürfen Politiker Werbung für Masken-Hersteller machen?Korruptionsvorwürfe vergegenwärtigen. Die Pandemie war nicht einzuschätzen. Das Kanzleramt rechnete damit, dass die Seuche die gesamte ältere Generation wegreißt. Ärzte wollten zusperren, weil sie für Masken bis zu 30 Euro zahlen mussten – pro Stück! Schutzkleidung fehlte in Krankenhäusern, Altenheimen oder zum Beispiel bei der Polizei. Hersteller gab es in Deutschland wieder einmal kaum. Und die öffentliche Beschaffung funktionierte nicht. US-Amerikaner standen in China mit Bargeld am Band und kauften, während in deutschen Amtsstuben vorschriftsmäßig über Standards und Codes debattiert wurde und deutsche Händler die ausländische Ware erst einmal vorfinanzieren mussten.

    Wie kamen Sie in dieser Funktion ins Spiel?
    NÜSSLEIN: Mein Landtagskollege Alfred SauterDie Methode Alfred Sauter: Der Strippenzieher und die CSU-SpendenMaskenaffäre wusste um meine Auslandskontakte und meine langjährigen Erfahrungen im Gesundheitsbereich. Er wies mich auf Unternehmer hin, die dabei waren, eine Gesellschaft zur Beschaffung von Schutzkleidung zu gründen. Er bat mich, hier beratend zu unterstützen. In der Gruppe waren erkennbar wirtschaftliche Kompetenz und Erfahrung gebündelt. Ich war mir deshalb sicher, dass es Sinn macht, hier mitzuarbeiten. Und dass es nottat, bewies sich rasch: Die Inder, die ursprünglich zuliefern sollten, konnten plötzlich nicht mehr: Exportverbot, weil es auch in Indien zu wenig Masken gab. Ich habe dafür unter schwierigsten und vor allem sehr zeitkritischen Marktumständen zusätzliche Quellen in China aufgetan. Und ich habe über meine langjährigen und vertrauensvollen Kontakte nach China die Logistik unterstützt. Ohne dies wären auch in diesem Fall – wie so oft – Masken vielleicht bestellt, aber nicht geliefert worden. So war das damals. Heute ist das lang vergessen. Und jetzt wird es interessant: Da haben welche immer so getan, als hätte ich meine Stellung als Abgeordneter missbraucht,Georg Nüßlein setzte sich wohl noch stärker für Masken-Hersteller einKorruptionsvorwürfe um teure Masken zu verkaufen. Dass das falsch ist, weiß der aufmerksame Zeitungsleser mittlerweile. Zwar hat die öffentliche Hand zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses alles gekauft, was sie bekommen konnte. Offenbar egal, zu welchen Konditionen. Schon deshalb bedurfte es keines bestochenen Abgeordneten! Aber die FFP2-Masken, über die wir hier reden, haben zwischen 3,60 und 3,80 Euro gekostet. Damals mehr als günstig! Wenige Stunden nach Vertragsschluss hat das Bundesgesundheitsministerium einen Festpreis von 4,50 Euro ausgeschrieben, zu dem dann jeder liefern durfte. Das war das sogenannte „Open-House-Verfahren“. Wären dieselben Masken über das „Open-House-Verfahren“ zu teureren Konditionen geliefert worden, gäbe es die Vorwürfe heute nicht. Skurril, nicht? Die mit meiner Unterstützung beschafften Masken haben im Vergleich dazu mindestens 9,1 Millionen Euro Steuergeld gespart! Wenn Sie das ins Verhältnis zu den kurz zuvor – und angeblich sogar noch danach – gekauften Masken von der Züricher Firma Emix und Frau TandlerDer

    Es wurde berichtet, dass Sie 1,2 Millionen Euro als Provision bekommen sollten …Ex-Justizminister Sauter soll 1,2 Millionen Euro über Treuhandfirma bezogen habenMasken-Affäre
    NÜSSLEIN: Provision klingt, als hätte man etwas aufgeschlagen für den Herrn Abgeordneten. Der Preis für die Masken war vertraglich fixiert. Hätte ich auf mein Honorar für die Beratungsleistung verzichtet, hätten sich andere Beteiligte gefreut. Dass mein Honorar komplett entfallen könnte, war angesichts der damaligen Wild-West-Situation auf dem Markt auch nicht außer Reichweite. Passieren hätte das auch aus einem anderen Grund leicht können: Entgegen allen Erwartungen brachte das „Open-House-Verfahren“ wegen des zu hohen Preises am Ende riesige Über-Lieferungen. Daraufhin hat das Bundesgesundheitsministerium für Millionen ohne Ausschreibung das Beratungsunternehmen Ernst & Young damit beauftragt, die Lieferungen abzubügeln. Teils mit unsäglichen Mitteln bis hin zur unbegründeten Annahmeverweigerung. Das hat viele Lieferanten unverschuldet in größte Schwierigkeiten gebracht.

    Nach unseren Informationen hat die Staatsanwaltschaft nach der ersten Durchsuchung praktisch ihr komplettes Vermögen und ihre Karten gesperrt und Ihnen nur 50 Euro Bargeld gelassen. Stimmt das denn? Und hätten Sie nicht einfach sagen können, ich überweise Ihnen die 660.000 Euro, die sie einfrieren wollen, und warte den Ausgang des Verfahrens ab?
    NÜSSLEIN: Im April stand zum zweiten Mal ein komplettes Durchsuchungskommando vor meiner Tür. Es ging um einen Vermögensarrest des meiner GmbH zugeflossenen Geldes. Das waren 660.000 Euro.Wofür bekam CSU-Politiker Georg Nüßlein die hohe Provision?Korruptionsvorwürfe Tatsächlich waren alle meine Konten gesperrt. In dieser zweiten Haussuchung wurde alles Bargeld bis auf einen 50-Euro-Schein beschlagnahmt, der in der Mitte durchgerissen war. Da geh mal tanken … Inzwischen steht fest, dass dieser Eingriff rechtswidrig war. Vor allem war er unnötig, weil ich nach Aufforderung jederzeit den Betrag zur Verfügung gestellt hätte. Ich habe zu jeder Sekunde kooperiert. Den Vermögensarrest hatten wir als Gesetzgeber einstmals eingeführt, um bei organisierter Clankriminalität Vermögensverschiebungen zu verhindern. Inzwischen wird er gegen alle möglichen Beschuldigten eingesetzt, vom Abgeordneten bis zum Handwerksmeister, und sei es nur, um ihnen die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu nehmen, sich angemessen zu verteidigen. Da gäbe es gesetzgeberisch einiges zu justieren … Na ja, nicht mehr mein Thema.

    Ist es richtig, dass Sie auf der Rechnung für Ihre Beraterdienste keine Umsatzsteuer ausgewiesen und dem Finanzamt damit Geld vorenthalten haben?
    NÜSSLEIN: Leistungsempfänger und damit Rechnungsadressat war eine Firma in Liechtenstein,In der Maskenaffäre floss noch viel mehr Provision

    Informiert wurden die deutschen Behörden von der Finanzaufsicht aus Liechtenstein. Schwäbische Abgeordnete, die einen Masken-Deal via Liechtenstein abwickeln, und das Geld kommt aus der Karibik. Mal ehrlich: Sieht das nicht so aus, als habe da jemand etwas zu verheimlichen?
    NÜSSLEIN: Hallo? Ich habe kein Geld ins Ausland gebracht. Ich habe es von dort angefordert, um es hier ordentlich mit meinem Einkommen zu versteuern. Das ist doch wieder ein Beispiel, wie Klischees das Denken in eine Schablone pressen. Ob das den Journalisten tatsächlich nicht aufgefallen ist? Passte halt nicht ins Klischee. Im Übrigen wusste ich, dass die FIU (Geldwäschebehörde Financial Intelligence Unit, Anmerkung der Redaktion) da draufschauen und

    Wenn Sie sagen, Ihnen sei rechtlich nichts vorzuwerfen – war es dann trotzdem ein politischer Fehler, sich auf dieses Geschäft einzulassen?
    NÜSSLEIN: Erkennbar! Du darfst als Politiker einfach nichts tun, was in dieser Art angegriffen werden kann, wenn es in die Öffentlichkeit gelangt. Du darfst dich als Politiker heute auch nicht mehr unternehmerisch engagieren.Verborgene Geschäfte: Was Politiker nebenher verdienen, ist unklarMasken-Affäre Meine ehemalige Fraktion – und ich denke, die anderen auch – haben jedenfalls derartige Richtlinien eingeführt. Und jetzt kommt der Ruf, das Gesetz zu ändern. Die Konsequenzen sind klar: Wir verbannen Unternehmer und Selbstständige aus dem Parlament und ersetzen sie durch Studienabbrecher und Trampolinspringer. Wir bekämpfen die vermeintliche äußere Abhängigkeit und erhöhen dafür die innere.

    Wie meinen Sie das?
    NÜSSLEIN: Ein ehemaliger CSU-Landesgruppenchef hat einmal über einen Kollegen gesagt: „Der ist finanziell unabhängig und auch sonst nicht zu disziplinieren.“ Das ist Jahre her. Jetzt ist dafür gesorgt, dass alle noch mehr an den „Pöstchen“ in Fraktion und Regierung hängen. Das Lehenssystem, das Karl Martell im 8. Jahrhundert einst eingeführt hat, wird so im 21. perfektioniert. Die Regierungschefs freuen sich über das Kopfnicken der abhängigen Vasallen. Dass ich dafür mit den Anstoß geliefert habe, tut mir leid. Aber ich hoffe, es werden noch genug Kollegen bleiben, die quer im Stall stehen, wie ich es gern getan habe. Politisch passte ich sowieso schon eine Weile nicht mehr in die Zeit des „Pippi-Langstrumpf-wünsch-dir-was“.

    Georg Nüßlein: "Der Bundestag fehlt mir."
    Georg Nüßlein: "Der Bundestag fehlt mir." Foto: Soeren Stache, dpa

    Sie sind aus der CSU ausgetreten, Ihre politische Karriere liegt in Trümmern. War es das wert?
    NÜSSLEIN: Nein. Ich war CSU-Abgeordneter mit Leidenschaft – und vielleicht auch mit Tatkraft. Letzteres war mein Verhängnis. Der Bundestag fehlt mir. Momentan könnte man viel geraderücken. Dass ich mittlerweile den „Freund“ vom Freund unterscheiden kann, wiegt allerdings mehr als die verbundene Enttäuschung. Und es sind durchaus noch welche geblieben: Freunde ohne Anführungszeichen. Dabei übersehe ich nicht, dass leider viele von ihnen schlicht verunsichert waren. Ich verstehe das und es tut mir unendlich leid. Schließlich gehen Wählerinnen und Wähler, Medien, aber eben auch Freunde davon aus, dass schon was dran sein muss, wenn eine Generalstaatsanwaltschaft so etwas anstößt. Und der Beschuldigte muss schweigen … Dass sich meine ehemalige Partei – politisch opportun – von verdienten und fähigen Abgeordneten wie Alfred Sauter distanziert, halte ich für entlarvend.Nüßlein rechtfertigt Verhalten in CSU-Maskenaffäre und kritisiert Ex-Partei scharfMaskenaffäre Entlarvend für einen Politikstil, bei dem den Leuten, aber mehr noch den Medien nach dem Mund geredet wird und der genau deshalb in die aktuelle Krise geführt hat. Aber wie hat ein lieber, alterfahrener Landtagskollege aus Neu-Ulm gern gesagt: „Wir CSUler halten zusammen. Es sei denn, es kommt einer in Not.“

    Wie sieht das neue Leben des Georg Nüßlein denn aus?
    NÜSSLEIN: Die Ereignisse vom 25. Februar haben mich ins Mark getroffen. Nach fast 20 Jahren im Bundestag ist man zudem schwer resozialisierbar. Früher haben drei Sekretärinnen meinen Tagesablauf getaktet. Ich organisiere mich gerade neu, arbeite an den Beratungsmandaten meiner GmbH und werde mich wohl auch wieder wissenschaftlich betätigen. Ansonsten war ich in 30 Jahren Berufstätigkeit nie so frei wie heute. Und in dieser freien Zeit saniere ich gerade eine Kapelle und ein altes Haus.

    Zur Person

    Georg Nüßlein, 53, wurde in Krumbach geboren. Bis 2021 war er Mitglied der CSU. Zwischen 2002 und 2021 war er Bundestagsabgeordneter. Im März 2021 trat er in Folge der Maskenaffäre aus der CSU aus.

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