Die EU-Kommission arbeitet an einem neuen Gesetz, laut dem bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen künftig von den strengen EU-Regeln ausgenommen sein sollen. Grüne Gentechnik als Antwort auf Erderhitzung, Bevölkerungswachstum und zu große Abhängigkeit von Importen. Was sagen Sie zu dem vorläufigen Vorschlag?
MARTIN HÄUSLING: Das größte Problem ist, dass die Produkte nicht mehr gekennzeichnet wären, wenn sie auf den Markt kommen. Der Verbraucher wüsste nicht, wenn Gentechnik drin ist. Davon wird jetzt keiner sterben. Aber bislang haben Konsumenten eine Wahlfreiheit, was die Industrie immer so geärgert hat. Der Vorschlag widerspricht außerdem europäischen Grundsätzen, nämlich dem Vorsorgeprinzip und der Transparenz. Beides wäre nicht mehr gewährleistet. Wir würden uns vielmehr dem amerikanischen System annähern, wo man etwas auf den Markt bringt, und wenn es schlecht ist, zieht man es zurück oder muss Schadenersatz zahlen. In Europa galt bisher der gute Grundsatz, ein Produkt erst zu prüfen, bevor es auf den Markt kommt. Das hebelt die Kommission jetzt einfach aus.
Was hieße das Gesetz konkret für die ökologische Landwirtschaft?
MARTIN HÄUSLING: Bis jetzt haben wir eine Gleichwertigkeit zwischen Biobetrieben und den konventionellen. Wenn wir eine neue Branche dazubekommen, die Gentechnik verwendet, stellt sich das Problem der Koexistenz. Nur wären allein Ökolandwirte durch mehr Kontrollen und mehr Aufwand betroffen. Nehmen wir den Fall an, ein Biobauer greift in einen Sack Saatgut und darin ist auch gentechnisch verändertes Saatgut. Wenn das festgestellt wird, kann er es nicht mehr benutzen, denn er trägt allein die Haftung für seine spätere Ernte. Das ist ein Riesenproblem. Das andere ist, dass der Ökolandwirt in Zukunft nicht mehr weiß, ob der Nachbar gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut. Es kann also Auskreuzungen geben. Das Risiko liegt allein bei den Biolandwirten.
Einige wissenschaftliche Organisationen sagen, dass von derartig veränderten Pflanzen kein erhöhtes Risiko für Mensch und Natur ausgeht. Warum also der Widerstand? Hat sich die Gentechnik nicht weiterentwickelt?
MARTIN HÄUSLING: Es gibt einen großen Unterschied zum Beispiel zu Impfstoffen. Wenn ich Pflanzen freisetze, kann ich die nicht morgen wieder zurückholen, wenn es nicht klappt. Unbeabsichtigte Nebeneffekte können nicht einkalkuliert werden. Jetzt erzählt man den Bauern, es gebe kein Risiko. Dieselben Argumente der alten Diskussion werden neu aufgelegt, und nun soll alles besser, einfacher und schöner werden? Mir fehlt der Glaube daran.
Ist es nicht richtig, angesichts des Klimawandels die Krankheitsresistenz von Pflanzen oder auch die effiziente Nutzung von Wasser oder Nährstoffen in den Fokus zu rücken?
MARTIN HÄUSLING: Das ist eine Wunschvorstellung. Schon in der ersten Gentechnikwelle wurde alles Mögliche versprochen. Heraus kamen Pflanzen, die gegen Pestizide resistent sind statt gegen Pilze. Nun heißt es, dass man mit dem Einsatz von Gentechnik weniger Pestizide braucht. Aber in Brasilien, wo man massiv Gensoja anbaut, ist der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln um 70 Prozent gestiegen. Die Natur ist nicht doof, sie entwickelt selbst Resistenzen. In den USA haben wir nach 25 Jahren kommerziellen Anbaus die „Superweeds“, Superunkräuter, die nicht mehr zu bekämpfen sind. Jetzt kommt die neue Generation und sagt, mit einem Schnitt mit der Genschere erhält man trocken- oder krankheitsresistente Pflanzen. Nach Jahren des Einsatzes von CRISPR Cas gibt es nirgendwo solche Pflanzen. Damit eine Pflanze weniger Wasser braucht, muss ich beim Weizen mindestens 100 Gene verändern. Das Hauptinteresse der großen Saatgutfirmen ist schlicht, dass die gentechnisch veränderten Pflanzen und die Züchtungsverfahren patentierbar sind. Der Nachbau wäre für Bauern kostenpflichtig.
Derzeit werden große Klimaschutzgesetze im EU-Parlament verhandelt. Die EU-Kommission will aus Pestizidreduktion und Gentechniköffnung ein Paket schnüren als Mittel des Interessenausgleichs. Die Grünen fordern das eine, die Industrie, einige Verbände und die Christdemokraten das andere. Bekommen so nicht alle Seiten, was sie wollen?
MARTIN HÄUSLING: Bei diesen Spielchen machen wir nicht mit. Die Kommission hat gesagt, es gibt die beiden Gesetze nur im Paket. Die Bauernverbände und die Industrie sollen der Pestizidreduktion zustimmen, und sie kriegen dann die Gentechnik. Das ist ein Kuhhandel. Er ist miserabel, weil er zulasten der Biobetriebe und des Verbrauchervertrauens geht. Und es ist längst nicht ausgemacht, ob die Kommission Erfolg damit hat. Am Ende könnte die Pestizidreduktion scheitern und die Gentechnik durchgehen, weil parallel verhandelt wird.
Wie ist eigentlich gerade die Stimmung im EU-Parlament?
MARTIN HÄUSLING: Nicht gut, weil die Landwirtschaft wieder zum Hauptkampffeld wird. Dass die Europäische Volkspartei zusammen mit den extremen Rechten versucht, alle Umweltgesetze zu kippen, hat mit ihrer Angst zu tun, dass die Basis auf dem Land wegbricht. Damit kündigt sie ein Stück weit den demokratischen Konsens im Parlament auf. Bislang galt es als Tabu, mit den Rechten einen Deal zu machen. Jetzt werden sie als Mehrheitsbeschaffer einfach mit eingepreist. Das ist äußerst gefährlich.
Wie kann die Zukunft der Landwirtschaft in der derzeitigen politischen Gemengelage in Europa überhaupt aussehen?
MARTIN HÄUSLING: Erst einmal muss man klarmachen, wie viele Fake News erzählt werden. Das Renaturierungsgesetz zum Beispiel ist kein Angriff auf die Landwirtschaft, sondern eine Folge der Montreal-Vereinbarung in Sachen Biodiversität. 140 Länder haben sich verpflichtet, 30 Prozent der Fläche unter Schutz und zehn Prozent unter strengeren Schutz zu stellen. Wiederherstellung heißt nicht Flächenstilllegung, sondern dass wieder mehr Natur einzieht. Trotzdem stellt sich die bayerische Agrarministerin in Brüssel hin und sagt, die Bauern müssten demnächst 30 Prozent der Fläche stilllegen. Das ist glatt gelogen. Damit treibt man die Bauern auf die Palme. Dabei sind sie das Hauptopfer des Klimawandels. Wenn man jetzt so tut, als könnte man das alles mit Gentechnik oder anderen technischen Lösungen in den Griff bekommen, wird das nicht funktionieren. Wir brauchen andere Anbaumethoden, vielfältige Fruchtfolgen und müssen wieder mehr Bäume in die Landschaft pflanzen.
Zur Person
Der Agrartechniker Martin Häusling, 62, aus Nordhessen sitzt seit 14 Jahren für die Grünen im Europaparlament und ist dort der agrarpolitische Sprecher der Fraktion. Seit 1988 betreibt er den Familienbetrieb „Kellerwaldhof“ nach Bioland-Richtlinien.