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Friedrich Merz im Interview: "Zur Zeitenwende gehört auch neuer Blick auf China"

Interview

"Zur Zeitenwende gehört auch ein neuer Blick auf China"

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    "Wir haben ein ausgesprochen gutes, sehr offenes Verhältnis zueinander", sagt Merz über Söder.
    "Wir haben ein ausgesprochen gutes, sehr offenes Verhältnis zueinander", sagt Merz über Söder. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Merz, haben Sie schon einmal einen Baum umarmt?

    Friedrich Merz: Nein.

    Als Markus Söder das vor einiger Zeit tat, wurde ihm das als neue Offenheit gegenüber den Grünen ausgelegt. Heute schließt er sie in Bayern als Koalitionspartner aus. Wie hält es denn die CDU mit den Grünen?

    Merz: Diese Frage stellt sich im Bund heute nicht. Wir sind dabei, die CDU und die gemeinsame Bundestagsfraktion mit der CSU neu auszurichten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Und dazu zählen selbstverständlich auch, aber bei Weitem nicht nur die umweltpolitischen Fragen.

    Wer ist denn in der Ampelkoalition das größere Problem? Der Kanzler – oder die Grünen?

    Merz: Die Ampel selbst ist das Problem: drei Parteien, die nicht wirklich zusammenpassen. Auch im Straßenverkehr funktioniert eine Ampel ja nicht, wenn alle Lichter zugleich leuchten oder alle ausgeschaltet sind. Dafür macht der Kanzler jetzt Basta-Politik, erst bei der Kernenergie, in dieser Woche im Hamburger Hafen dann gleich gegen sechs Kabinettsmitglieder. Das erinnert mich an den Spruch von ihm aus dem Frühjahr: „Diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt – deshalb führe ich.“ Ein merkwürdiges Verständnis von Führung.

    FDP-Chef Christian Lindner sagt, die Ampel sei keine Liebesheirat, sondern eine Zweckehe. Kann diese Zweckehe vier Jahre halten?

    Merz: Die Frage ist doch: Haben diese drei Parteien gemeinsame Antworten in der Krise? Und da stelle ich fest: Das ist offenkundig nicht der Fall. Andere Länder agieren schneller und besser als wir. Und was die Haltbarkeit einer politischen Zweckehe angeht: Unsere Verfassung ist aus den Erfahrungen der Weimarer Republik formuliert worden, mit einer starken Stellung des Bundeskanzlers. Insofern müssen wir wohl befürchten, dass diese Regierung länger im Amt bleibt, als es dem Land guttut.

    Immerhin nimmt diese Regierung viel Geld in die Hand. Was stört Sie daran?

    Merz: Wir haben uns angewöhnt, jedes Problem zunächst einmal mit Geld zuzuschütten. 2022 wird dabei als besonders krasses Jahr in die Geschichte eingehen. Allein in diesem Jahr nimmt die Bundesregierung rund 500 Milliarden Euro an neuen Schulden auf, das ist mehr als der gesamte Bundeshaushalt eines Jahres. So etwas hat es noch nie gegeben. Mit einer soliden Haushaltsführung hat das nichts mehr zu tun. Wir wollen zuerst wissen, was denn überhaupt finanziert werden soll. Um welche Entlastung soll es denn konkret gehen? Dann reden wir übers Geld.

    Dass besondere Zeiten besondere Maßnahmen erfordern, lassen Sie Lindner nicht durchgehen?

    Merz: Wir stellen der Regierung jedenfalls keinen Blankoscheck über 200 Milliarden Euro aus. Diese besonderen Zeiten erfordern eine besonders aktive, geschlossene Regierung, die die privaten Haushalte und die Unternehmen zügig entlastet, nicht erst im nächsten Jahr. Nur immer neue Ausgabenprogramme heizen die Inflation noch weiter an.

    Wo würde denn ein Kanzler oder ein Finanzminister Merz die Menschen jetzt entlasten?

    Merz: Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Vor allem: weniger Gießkanne. 1000 Euro Energiezuschuss für das untere Drittel statt 300 Euro für alle. Wir hätten längst eine Gaspreisbremse eingezogen. Und wir hätten die Menschen beim Strom entlastet. Allein der Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke hätte bis zu zwölf Prozent niedrigere Strompreise ermöglicht und zehn Millionen Haushalte sicher mit Strom versorgt. Die Gaskommission hat ebenfalls konkrete Vorschläge gemacht, seitdem sind drei Wochen vergangen, und die Bundesregierung hat immer noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt. So verstreicht Woche um Woche und Monat um Monat, während die Lage im Land immer kritischer wird.

    Kann Geld den Menschen ihre Ängste nehmen?

    Merz: Die Bundesregierung unterschätzt immer noch, wie kritisch die Stimmung im Land schon ist und was gerade in den Betrieben passiert, vor allem im Handwerk und im Mittelstand. Denen geht es zum Teil richtig schlecht, weil sie die hohen Energiekosten einfach nicht mehr stemmen können. Das Problembewusstsein für das, was im Land passiert, scheint mir in der Ampel vollkommen unterentwickelt zu sein.

    Gleichzeitig sind wir Deutschen ein sehr staatsgläubiges Volk. Wir erwarten von unserem Staat, dass er möglichst viel für uns regelt.

    Merz: Die 200 Milliarden sollen der Bevölkerung wohl signalisieren, dass Vater Staat schon alles richten wird. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Bürgergeld, das im Januar an die Stelle von Hartz IV treten soll – eine geniale Formulierung für eine Transferleistung, die beachtliche Teile der Menschen in der staatlichen Fürsorge hält, anstatt sie zur Aufnahme einer Arbeit zu motivieren.

    Die FDP wollte die Stimme der ökonomischen Vernunft in der Koalition sein. Hat Christian Lindner sich überschätzt?

    Merz: Die Antwort haben die Wähler in vier Bundesländern in diesem Jahr bereits gegeben: Die Liberalen sind aus zwei Regierungen und zusätzlich aus zwei Parlamenten herausgeflogen. Ich weiß nicht, wo die FDP in unserem Parteienspektrum noch einen Platz haben will, wenn sie die Politik der Ampel weiter so mitmacht.

    Reden Sie darüber auch mit Herrn Lindner?

    Merz: Ich kann seine Lage ganz gut einschätzen. Er konnte sich nicht ein zweites Mal der Regierungsverantwortung entziehen und ist jetzt ein Gefangener dieser Regierung. In einigen gesellschaftspolitischen Fragen ist die FDP ja sogar der Antreiber in der Koalition. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dem klassischen Wähler der FDP so richtig Freude macht.

    Sie sagen, die Ampel habe ein Führungsproblem. Aber beweist Scholz nicht gerade das Gegenteil? Erst das Machtwort im Atomstreit – und jetzt die von ihm erzwungene Beteiligung eines chinesischen Staatsfonds am Hamburger Hafen.

    Merz: Außer Herrn Scholz gibt es kaum jemanden, der diese Beteiligung eines chinesischen Staatsunternehmens an einer kritischen Infrastruktur unseres Landes gut findet. Im Gegenteil, alle damit befassten Ministerien, auch die SPD-geführten Häuser, haben eindringlich gewarnt, ebenso die EU, die Amerikaner und unsere Nachrichtendienste. Offenbar glaubt der Kanzler noch immer an die Theorie vom Wandel durch Handel. Ihm fehlt die Bereitschaft, die Risiken, denen wir ausgesetzt sind, neu zu bewerten. Und ausgerechnet jetzt fliegt er auch noch nach China, eine Woche nach diesem Parteitag der Kommunistischen Partei, wo offen mit militärischer Gewalt gegen Taiwan gedroht und der Vorgänger von Xi Jinping unter den Augen der Weltöffentlichkeit aus dem Saal abgeführt wurde. Zu einem schlechteren Zeitpunkt könnte er gar nicht fahren.

    Wiederholt sich da gerade die freundliche Chinapolitik von Angela Merkel?

    Merz: Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag eine neue China-Strategie verabredet, die im nächsten Frühjahr verabschiedet werden soll. Es wäre richtig gewesen, erst danach eine Reise nach China zu machen. Der Krieg gegen die Ukraine und die einseitige Parteinahme Chinas zugunsten von Russland machen die Überprüfung unseres Verhältnisses zu China noch einmal viel dringlicher. Zur Zeitenwende gehört eben auch ein neuer Blick auf China. Stattdessen bekommt die Kommunistische Partei Chinas jetzt über die Beteiligungen an europäischen Häfen einen kompletten Überblick über die Handelsströme in Europa. Wenn Cosco einmal Gesellschafter ist, hat das autoritäre Regime in Peking Zugang zu allen Unterlagen– da macht es keinen Unterschied, ob sie nun 24,9 oder 35 Prozent halten. Scholz’ einsame Entscheidung war ein schwerer strategischer Fehler. So aber wird die chinesische Staatsführung seinen Besuch zusammen mit der Morgengabe einer weiteren Hafenbeteiligung als Bestätigung ihres Kurses propagandistisch ausschlachten.

    Ein anderes Thema, Herr Merz. Ihr Verhältnis zu Markus Söder war lange Zeit, vorsichtig formuliert, kompliziert. Haben Sie Ihren Frieden miteinander gemacht?

    Merz: Wir haben ein ausgesprochen gutes, sehr offenes Verhältnis zueinander. So gut wie die Spitzen von CDU und CSU in den Parteien, aber auch Alexander Dobrindt und ich in der Bundestagsfraktion zusammenarbeiten, so ist es lange nicht gewesen. Ich wüsste nicht, worüber ich mich beschweren sollte.

    Das heißt, man wird Sie im Landtagswahlkampf in Bayern sehen.

    Merz: Wenn die CSU es will, bin ich dazu bereit, völlig klar.

    Die CDU arbeitet gerade an einem neuen Grundsatzprogramm. Darüber steht unausgesprochen die Frage, was es denn heute heißt, konservativ zu sein. Haben Sie darauf schon eine Antwort?

    Merz: Allein dass wir heute das Adjektiv konservativ wieder benutzen, um eine der drei Wurzeln unserer Partei zu beschreiben, ist schon einmal ein großer Fortschritt. Das war in den letzten Jahren ja nicht immer so. Die CDU ist liberal, sozial und konservativ, diese Kombination macht uns aus. Wir bewahren und schützen das Gute und geben neue Antworten auf neue Herausforderungen. Wir finden zum Beispiel, dass es neue Formen der Bürgerbeteiligung in unserer Demokratie braucht. Dennoch reden wir nicht Plebisziten das Wort. Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft, dennoch muss die Marktwirtschaft heute beweisen, dass sie in der Lage ist, auch die großen umweltpolitischen Herausforderungen zu meistern. Das ist konservativ: Neue Räume und ein neues Dach werden auf ein festes Fundament gebaut.

    Sie haben für Ihren Begriff vom „Sozialtourismus“ kräftig Prügel bezogen und mussten sich dafür auch entschuldigen. Mal unabhängig von der Terminologie: Wie viel Zuwanderung braucht Deutschland – und wie viel kann es verkraften?

    Merz: Wir müssen sorgfältig unterscheiden zwischen geordneter Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, humanitärem Asyl für Schutzbedürftige und der ungeregelten Zuwanderung in unsere Sozialsysteme. Die Scholz-Regierung sendet aber das fatale Signal aus: Jeder kann kommen, jeder wird gebraucht. Ja, wir brauchen dringend eine gezielte, gesteuerte Fachkräfte-Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Aber wir müssen mehr denn je darauf achten, dass unser Land in seiner Hilfsbereitschaft, in seiner Leistungskraft und in seiner Integrationsfähigkeit nicht überfordert wird.

    Gehört zu einer kontrollierten Migration auch das Abschieben abgelehnter Asylbewerber?

    Merz: Zurzeit leben rund 200.000 Menschen in Deutschland, die ausreisepflichtig sind. Die Bundesregierung garantiert aber praktisch allen einen unbegrenzten Aufenthalt. Die Ampel entwertet damit das Aufenthalts- und das Asylrecht und damit letztendlich unseren Rechtsstaat. Mit dem neuen Bürgergeld ist sie sogar bereit, die verschiedenen Einwanderergruppen auf einem Niveau zu unterstützen, das ein normaler Arbeitnehmer in unserem Land für seine eigene Familie oft gar nicht erreicht. Und darin liegt sozialer Sprengstoff erster Ordnung. Wer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt, muss nach Steuern und Abgaben mehr Geld übrig haben als derjenige, der soziale Transferleistungen bekommt. Das Lohnabstandsgebot muss wieder eingehalten werden. Wenn die Bundesregierung so weitermacht wie bisher, dann verliert unser Land noch mehr Substanz, und wir werden alle ärmer. Die Bundesregierung ist gerade dabei, nicht nur die Zukunft unserer Kinder zu verfrühstücken, sondern auch die unserer Enkelkinder.

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