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FDP-Fraktionschef Dürr kündigt große Zuwanderungs-Reform an

Interview

"Wer hier nicht erfolgreich ist, muss das Land sofort wieder verlassen"

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    FDP-Fraktionschef Dürr sagt, Deutschland brauche viel mehr Einwanderer. Bisher kämen aber zu wenige Arbeitskräfte.
    FDP-Fraktionschef Dürr sagt, Deutschland brauche viel mehr Einwanderer. Bisher kämen aber zu wenige Arbeitskräfte. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Dürr, die Ampel ist nach Ihren Worten eine Geschwindigkeits-Koalition. Der Bundesrat hat sich allerdings gerade beschwert, dass die Regierung bei neuen Gesetzen viel zu oft um Fristverkürzung bittet. Bei der Strom- und Gaspreisbremse haben Sie in der Nacht vorher um 00:30 Uhr noch mal 400 Seiten Änderungsanträge verschickt, da war eine ordentliche Prüfung auch nicht mehr möglich. Sind Sie manchmal zu schnell und riskieren Ungenauigkeiten?

    Christian Dürr: Wir sind sehr schnell, das stimmt. Das ist natürlich der Kriegssituation in der Ukraine geschuldet, in der man schnell Entscheidungen treffen muss. Selten zuvor hat eine Bundesregierung so viel gearbeitet wie diese. Ich weiß aber auch, dass wir der Opposition und dem Bundesrat viel zumuten. Deshalb darf das nicht der Normalzustand sein.

    Wenn Sie bei der Strom- und Gaspreisbremse 400 Seiten mit Änderungsanträgen brauchen, untermauert das doch die Einschätzung vieler Bürger und Unternehmen, dass die Bremsen kompliziert sind. Eigentlich wollte die Regierung eine unkomplizierte Lösung. Und nun?

    Dürr: Eines der Leitmotive der FDP ist: Wir wollen keinen komplizierten Staat, der den ganzen Tag nervt, sondern einen Staat, der es einem leicht macht. Das ist auch unser Ziel bei der Strom- und Gaspreisbremse. Für die Bürger soll es einfach werden: Energieversorger und Staat wickeln für sie die Preisbremsen ab, sie müssen sich um nichts kümmern. Plug and Play sozusagen. Ich hoffe deshalb, dass der Bundeswirtschaftsminister das jetzt gemeinsam mit den Versorgern umsetzt.

    Beim Bürgergeld soll die erste Stufe zum Jahreswechsel zünden. Viele Städte und Gemeinden sagen, das sei zu schnell, weil sie noch ihre Computer umstellen und die Leute schulen müssten. Was sagen Sie dazu?

    Dürr: Da bitte ich bei den Kommunen um Verständnis. Bei so einer wichtigen Sozialstaatsreform wollen wir nicht drei Jahre lang diskutieren und sechs Jahre lang umsetzen. Diese Langsamkeit hat die Menschen an der Großen Koalition kolossal genervt. Es muss schnell gehen, das ist die Erwartungshaltung. Der Aufwand ist groß, das ist mir bewusst. Aber gleichzeitig hätte kein Mensch Verständnis dafür, wenn es ewig dauert.

    Also kommt das Bürgergeld zum 1. Januar?

    Dürr: Das ist unser Ziel. Ich gehe davon aus, dass die Auszahlung funktioniert. Aber ich will dazu sagen, dass aus Sicht der FDP nicht die Anpassung der Regelsätze an die Inflation das Entscheidende ist.

    Sondern?

    Dürr: Entscheidend ist, dass wir die Arbeitsanreize stärken. Wer als junger Mensch aus einer Hartz-IV-Familie kommt, für den hat es sich bisher nicht gelohnt, eine Ausbildung anzufangen. Denn ein Großteil des Einkommens wurde bei den Eltern auf die Sozialleistungen angerechnet und damit weggenommen. Das wird jetzt anders.

    Das ist der eine Teil der Geschichte. Der andere Teil ist, dass man in Hartz-IV-Familien auch lernen kann, dass sich die Aufnahme einer regulären Arbeit nicht lohnt. Und mit dem Bürgergeld in der Tasche lohnt es sich erst recht nicht.

    Dürr: Das Gegenteil ist der Fall. Bei Hartz IV lohnte es sich in der Tat nicht, eine Arbeit aufzunehmen oder eine Ausbildung anzufangen. Das ist der Grund, warum wir mittlerweile Hartz-IV-Familien haben, die das von der einen an die nächste Generation weitergeben. Das wollten wir ändern und erhöhen deshalb die Arbeitsanreize. Der Sozialstaat muss denjenigen helfen, die es schwer haben, aber er darf sie nicht im Sozialsystem einschließen.

    Wir haben zwei Millionen offene Stellen. Warum gibt der Staat eigentlich vielen Leuten eine Garantie, dass er sie auch dann komplett durchfinanziert, wenn sie ohne Not lieber zu Hause bleiben wollen?

    Dürr: Es darf nicht darum gehen, durch Sozialleistungen des Staates gut auszukommen. Das muss man so offen aussprechen. Gleichzeitig ist das Existenzminimum durch Urteile des Verfassungsgerichts ziemlich genau definiert. Der Staat kann da nicht einfach so entscheiden. Aber gerade, weil es Verfassungsgrenzen gibt, was die Zahlungen nach unten betrifft, muss man umso mehr den Arbeitsanreiz nach oben erhöhen.

    Flüchtlinge vor einer Aufnahmeeinrichtung.  Die FDP will erreichen, dass viel mehr Migranten zum Arbeiten nach Deutschland kommen und weniger im Sozialstaat Schutz suchen.
    Flüchtlinge vor einer Aufnahmeeinrichtung. Die FDP will erreichen, dass viel mehr Migranten zum Arbeiten nach Deutschland kommen und weniger im Sozialstaat Schutz suchen. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Herr Dürr, Ihr großes Projekt im neuen Jahr ist die Zuwanderung. Es gibt in der Gesellschaft Vorbehalte gegen zu viel Zuwanderung, vor allem Zuwanderung in die Sozialsysteme. Ist es für die FDP klug, dieses Thema so weit nach vorne zu stellen? Sie haben ja teilweise auch eine konservative Wählerschaft.

    Dürr: Ich will es in aller Deutlichkeit sagen: Deutschland hat seit Jahren eine handfeste demografische Krise, die unseren Wohlstand bedroht, das gilt für alle Generationen. Und die Wahrheit ist: Ja, wir brauchen Migration nach Deutschland. Wir brauchen aber keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme, sondern wir brauchen die Einladung in den deutschen Arbeitsmarkt. Und da hat insbesondere die unionsgeführte Vorgängerregierung kolossal versagt.

    Das machen Sie woran fest?

    Dürr: Eine Zahl nur: Von zehn Menschen, die bisher nach Deutschland kommen, kommen neun über das Asyl- und Flüchtlingssystem und einer nur über reguläre Arbeitsmigration. Dieses Verhältnis müsste man eigentlich komplett umdrehen.

    Man hat allerdings den Eindruck, dass Menschen, die einmal hier in Deutschland sind, auch bleiben. Auch die, die nicht arbeiten und sich nicht an die Regeln halten.

    Dürr: Das ist der Grund, warum wir einen Migrationsbeauftragten in die Regierung holen werden. Ich bin froh, dass die Bundesinnenministerin mit Joachim Stamp einen erfahrenen Migrationspolitiker für dieses Amt benannt hat. Er hat einerseits die Aufgabe, Arbeitskräfte ins Land zu bringen. Andererseits soll er für konsequente Abschiebung sorgen. Wer hier nicht erfolgreich ist, wer nicht von eigener Hände Arbeit leben kann oder wer sogar straffällig wird, der muss das Land sofort wieder verlassen. Ich bin zuversichtlich, dass eine so rationale und moderne Einwanderungspolitik in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt. Was die Menschen in der Vergangenheit rasend gemacht hat, ist, dass wir in den Sozialstaat eingeladen haben, aber nicht in den Arbeitsmarkt. Und das müssen wir umkehren.

    Zurück zum Thema Geschwindigkeit. Gerade ist das erste Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven fertiggestellt worden. Sie loben die schnelle Fertigstellung als Beispiel dafür, dass Planungsbeschleunigung in Deutschland möglich sei. Zur Wahrheit gehört aber doch auch, dass Genehmigungsverfahren einfach außer Kraft gesetzt wurden. Das kann doch auch nicht in Ihrem Sinne sein?

    Dürr: Wird durch mehr komplizierte Verfahren die Akzeptanz größer? Ich bezweifle das. Es muss eine klare Phase der Beteiligung von Bürgern geben. Aber es kann nicht sein, dass wir Entscheidungen ewig vor uns herschieben. Das macht die Menschen wütend und vermindert die Akzeptanz.

    Blicken wir geschwind nach vorne. Es gab einen Durchbruch bei der Kernfusion. Muss die Ampel vor diesem Hintergrund ihre Energiepolitik neu überdenken?

    Dürr: Die deutsche Energiepolitik der letzten Jahrzehnte war geprägt von Verboten und Einschränkungen. Die Strategie war: Erneuerbare plus russisches Erdgas. Und das ist in sich zusammengebrochen. Wir wollen Erneuerbare, klar. Aber auf der anderen Seite sollten wir technologieoffen sein, und die CO2-neutrale Kernfusion wird ein Teil dessen sein.

    Was heißt das konkret?

    Dürr: Ich schlage vor, dass wir als Ampel die gesetzgeberischen Möglichkeiten für die Entwicklung der Kernfusion schaffen. Das muss nicht im Atomrecht sein, es fällt ja beispielsweise gar kein Atommüll an. Das Gesetz müsste schlank und unkompliziert sein. Es gibt Startups aus Deutschland, die sich mit Kernfusion beschäftigen. Wir haben ja so viele tolle Köpfe, die das können und dieses Potenzial müssen wir dringend nutzen. Es wäre doch toll, wenn der erste Kernfusionsreaktor, der Strom für Unternehmen und Haushalte produziert, in Deutschland gebaut wird. Das muss unser Ziel sein.

    Mindestens mit einem Koalitionspartner wird es schwierig. Der Kampf gegen die Atomkraft ist ein Gründungsmythos der Grünen.

    Dürr: Die Grünen kommen aus einer Anti-Atomkraftbewegung, klar. Aber man kann ja nicht nur sagen, wogegen man ist. Die Frage der Kernspaltung ist in Deutschland politisch entschieden, auch wenn wir jetzt vorübergehend wegen der Notsituation noch Kernkraftwerke nutzen. Aber bei der Frage, wie wir in Zukunft unsere Energieversorgung gestalten, müssen wir technologieoffen sein. Und da hoffe ich, dass die Grünen nicht nur zurückschauen, sondern auch nach vorne blicken.

    Eine letzte Geschwindigkeitsfrage noch. Wie feiern Sie den Jahreswechsel: Fastfood oder Karpfen, Böller oder Wunderkerze?

    Dürr: Fastfood. Und Wunderkerzen.

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