Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: FDP-Fraktionschef: "An der Grenze 'Asyl' zu sagen, geht schneller als 'Ich will arbeiten'"

Interview

FDP-Fraktionschef: "An der Grenze 'Asyl' zu sagen, geht schneller als 'Ich will arbeiten'"

    • |
    Nicht weniger als einen Neustart in der Migrationspolitik will FDP-Fraktionschef Christian Dürr.
    Nicht weniger als einen Neustart in der Migrationspolitik will FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Dürr, der Personalmangel ist mittlerweile überall in Deutschland zu spüren. In allen Branchen fehlen Leute. Arbeitsmarktforscher rechnen vor, dass 300.000 bis 400.000 Zuwanderer pro Jahr kommen müssten, um die Alterung der Gesellschaft aufzufangen. Wollen und können Sie als Ampel-Regierung so viele Leute nach Deutschland holen?

    Christian Dürr: Was wir brauchen, ist nicht weniger als ein Neustart in der Migrationspolitik. Unsere Haltung muss sich komplett drehen. In der Vergangenheit ist vieles falsch gelaufen. Wir hatten hohe Zuwanderung in die Sozialsysteme und wenig Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Das hat Akzeptanz gekostet. Wenn es uns gelingt, dieses Verhältnis umzukehren, dann begreifen wir Migration als Zugewinn und Chance. Ohne Zuwanderer wird es nicht gehen. Klar ist auch, dass wir natürlich weiter Menschen aufnehmen, die vor Verfolgung und Krieg fliehen.

    Nehmen wir an, es gibt auf der ganzen Welt so viele Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen. Dann stellt sich mir die Frage, wo und zu welchen Mieten sollen sie wohnen? Es gibt in den meisten Großstädten und den Speckgürteln schon heute viel zu wenig bezahlbare Wohnungen...

    Dürr: Es werden und sollen ja nicht nur Einwanderer in die urbanen Zentren kommen. Der deutsche Mittelstand sitzt oft in ländlichen Regionen. Das sollte man nicht aus dem Fokus verlieren. Aber Sie haben einen Punkt, wir müssen besser werden bei dem Neubau von Wohnungen. Das ist eine Frage der Bau-Auflagen, die viel zu hoch sind, und eine Frage des politischen Willens vor Ort. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich sehe, dass in Berlin am Rande des Tempelhofer Feldes keine Wohnungen stehen. Das war keine unberührte Natur, sondern die Landebahn eines Flughafens.

    Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht sich mehr Zuwanderung von indischen IT-Fachkräften nach Deutschland.
    Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht sich mehr Zuwanderung von indischen IT-Fachkräften nach Deutschland. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Nehmen wir an, Deutschland bekommt die Wohnungen in Größenordnungen gebaut, dann ist es für Leute aus dem Ausland dennoch nicht sonderlich attraktiv, hierzulande zu arbeiten, weil der Fiskus und die Sozialsysteme viel vom Lohn einkassieren. Viele Migranten wollen aber ihre Familie in der Heimat mit Geld unterstützen...

    Dürr: Wir müssen bei Steuern und Abgaben wettbewerbsfähiger werden. Und gerade wir als FDP kämpfen dafür, dass sich der Staat nicht immer mehr von den Einkommen nimmt. Bei uns rennen Sie damit offene Türen ein. Wir stehen mit klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada und Großbritannien im Wettbewerb um die besten Köpfe und Hände.

    Ihr Parteichef und Finanzminister Christian Lindner war neulich in Afrika und fragte bei einem Besuch in Mali Studenten, ob sie in Deutschland arbeiten wollen. Es regte sich keine Hand. Was sagt das über die Attraktivität Deutschlands aus?

    Dürr: Dahinter stecken zwei Dinge. Erstens haben wir international nicht ausreichend deutlich gemacht, dass wir Einwanderung in den Arbeitsmarkt wollen. Und zweitens sind die Hürden immer noch zu hoch. Es dauert immer noch viel zu lange, bis jemand in einem Konsulat oder einer Botschaft einen Termin für den Visums-Antrag bekommt. Das dauert Monate. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen ist auch viel zu schwerfällig. Das können wir uns nicht mehr leisten. Es ist absurderweise immer noch leichter, über Asyl und die sozialen Sicherungssysteme nach Deutschland zu kommen, als über einen Job. An der Grenze 'Asyl' zu sagen, geht viel schneller als 'Ich will arbeiten'. Das darf so nicht bleiben.

    Nun haben sich die zuständigen Ampel-Ministerinnen – Nancy Faeser für das Innenressort und Annalena Baerbock für das Auswärtige Amt – noch nicht mit besonderem Ehrgeiz hervorgetan, dass die Papiere zeitnah erteilt werden...

    Dürr: Es ist absolut entscheidend, dass das Außenministerium versteht, dass es gerade mit seinem großen Netzwerk an Auslandsvertretungen eben Teil dieses Einwanderungssystems in den Arbeitsmarkt werden muss. Gleiches gilt für das Innenministerium, das Bundesamt für Migration und die Ausländerbehörden vor Ort. Aus den Ausländerbehörden müssen Einwanderungsbehörden werden.

    Sie wollen als Ampel-Koalition die Probleme abstellen und Deutschland zum Magneten für Fachkräfte aus aller Welt machen. Wann wird das Regierungsbündnis das große Gesetzespaket dazu verabschieden?

    Dürr: Erste Eckpunkte sind vom Kabinett bereits im letzten Jahr beschlossen worden. Das ist eine komplizierte Rechtsmaterie, dessen bin ich mir bewusst. Das macht man nicht mit einem Fingerschnips, und da geht auch Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es muss am Ende wirklich funktionieren. Mein Ziel ist es dennoch, das Gesetz in diesem Jahr im Bundestag zu beschließen.

    Sie kritisieren seit langem, dass es eine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt. Deutschland hat beispielsweise 2015 und 2016 hunderttausende Syrer aufgenommen. Heute beziehen 60 Prozent derer Hartz IV, obwohl zwei Millionen Stellen unbesetzt sind. Warum kriegen wir diese Leute nicht in Arbeit, die bereits hier sind?

    Dürr: Das muss unser Ziel sein. Ich finde, wir müssen sehr deutlich sagen und auch rechtlich die Grundlagen schaffen dafür, dass Menschen, die hier sind und dauerhaft hier bleiben wollen, das nur dann können, wenn sie auch von eigener Hände Arbeit leben.

    Ein Flüchtlingsheim in einer früheren Kaserne. Viele Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, haben noch keine Arbeit gefunden, 60 Prozent leben von Hartz-IV.
    Ein Flüchtlingsheim in einer früheren Kaserne. Viele Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, haben noch keine Arbeit gefunden, 60 Prozent leben von Hartz-IV. Foto: Federico Gambarini/Archiv (dpa)

    Das Verfassungsgericht hat Ihnen deutliche Grenzen gesetzt. Flüchtlinge, die länger hier sind und keine Arbeit finden, müssen über die soziale Grundsicherung versorgt werden. Daran kommen Sie nicht vorbei …

    Dürr: Das ist ja auch richtig und entspricht dem Sozialstaatsgrundsatz des Grundgesetzes. Allerdings müssen wir erreichen, dass, wer nicht von eigener Arbeit lebt, nach einer bestimmten Zeit seinen Aufenthaltstitel verliert und Deutschland wieder verlassen muss, wenn der Asyl- oder Fluchtgrund nicht mehr gegeben ist. Es macht die Leute doch rasend, wenn Flüchtlinge über Jahre von Sozialleistungen leben. Das steht der Integration im Wege.

    Wenn ich Sie richtig verstehe, müssten die Betroffenen Deutschland freiwillig wieder verlassen oder abgeschoben werden. Mittlerweile sind 300.000 Ausländer ausreisepflichtig. Im vergangenen Jahr sind aber zwei von drei Abschiebungen geplatzt. Die Länder sind dafür zuständig und in der Ampel-Koalition sind die Grünen dagegen. Hand aufs Herz – das wird doch nichts, oder?

    Dürr: Und dann hat die Große Koalition auch noch Leute abgeschoben, die Arbeit hatten und gut integriert waren. Wir haben jetzt mit Joachim Stamp einen Beauftragten der Bundesregierung, der sich um dieses Thema kümmert. In seiner Zeit als FDP-Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen hat er mehr Ausreisepflichtige abgeschoben als Bayern. Dabei hat die CSU über Jahre viel getönt und wenig hinbekommen.

    Wenn die Heimatländer der Flüchtlinge diese nicht wieder aufnehmen oder die Herkunft unbekannt ist, kann Deutschland gar nichts machen…

    Dürr: Ich finde, wir müssen mit diesen Ländern auch sehr offen reden, beispielsweise was die Frage der Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungshilfe betrifft. Joachim Stamp ist der richtige für diese schwierige Aufgabe.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden