In der FDP gilt die Impfpflicht als besonders umstritten. Warum haben Sie als FDP-Politikerin mit sechs weiteren Abgeordneten aus der Ampel-Koalition jetzt den Antrag für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren vorgelegt?
Katrin Helling-Plahr: Nach zwei Jahren Pandemie müssen wir einen Weg aus der Endlosschleife finden. Mit Blick auf Herbst und Winter müssen wir vorbereitet sein, um eine Überlastung des Gesundheitssystems auch bei künftigen Wellen und möglichen Mutationen zu verhindern. Die Covid-19-Schutzimpfung ist das sicherste und effektivste Mittel, um vor schweren Folgen der Pandemie zu schützen, der Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen und so Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu vermeiden. Die allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ist das wirksamste Mittel gegen weitere Pandemie-Winter.
Viele in ihrer Partei wollen eine Impfpflicht erst für Menschen ab 50 oder 60 Jahren. Warum wollen Sie auch jüngere Erwachsene verpflichten?
Helling-Plahr: Um einer Überlastung des Gesundheitssystems effektiv zu begegnen, reicht es nicht aus, allein höhere Altersgruppen zu impfen. Wer sich auf bestimmte Jahrgänge beschränkt, läuft sehenden Auges in Abgrenzungsprobleme und Widersprüche. Was ist mit dem 40-jährigen Typ-2-Diabetiker? Was mit der 20-jährigen Schwangeren? Ihre Risiken sind genauso hoch oder gar höher als bei vielen rüstigen Rentnern.
Geht es Ihnen nur um eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems oder darum, die Pandemie-Krise zu überwinden?
Helling-Plahr: Beides hängt zusammen. Die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems ist durch die Pandemie an Grenzen geraten. Wichtige Operationen und Behandlungen mussten verschoben werden, um Intensivbetten für Corona-Patienten zur Verfügung zu haben. Auch daher kam es immer wieder zu den einschränkenden Maßnahmen. Eltern und Kinder bangen jeden Winter, ob Schule und Kita offenbleiben. Einzelhändler, Gastronomen und viele weitere Branchen kämpfen ums Überleben, weil ihnen Schutzmaßnahmen und Kundenschwund das Geschäft verhageln. Das muss endlich ein Ende haben.
Die Antragsgruppe aus der Union betont, dass man gar nicht wissen kann, wie die Lage im Herbst sein wird …
Helling-Plahr: Die Führung der Union sollte sich mit Ratschlägen zur Frage der Impfpflicht zurückhalten. Ein Schlingerkurs, wie er von Markus Söder und anderen Unionsgrößen bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht an den Tag gelegt wurde, zerstört letztlich unglaublich viel Vertrauen. Unabhängig davon, wie man zur Frage von Impfpflichten steht, sollte man doch auch in der Opposition immer ein Mindestmaß an staatspolitischer Verantwortung an den Tag legen.
Warum reicht Ihnen der heutige Stand der Informationen aus, einen so umstrittenen Schritt als reine Vorsichtsmaßnahme zu beschließen?
Helling-Plahr: Eine Impfpflicht muss, wie auch von uns vorgeschlagen, immer zeitlich begrenzt und überprüft werden. Daher möchten wir laufend prüfen, ob die Impfpflicht noch erforderlich ist und sie bis Ende Dezember 2023 befristen. Angesichts der aktuell hohen Infektionszahlen, der Erfahrungen aus den letzten beiden Jahren und der Prognosen für kommenden Herbst und Winter halte ich es für richtig, jetzt aktiv zu werden. Man kann es den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zumuten, in Ungewissheit vor möglichen Einschränkungen in einen dritten Winter zu gehen.
Was macht Sie so sicher, dass nach Omikron wirklich wieder gefährliche Varianten zum Problem werden?Was macht Sie so sicher, dass nach Omikron wirklich wieder gefährliche Varianten zum Problem werden?
Helling-Plahr: Hier vertrauen wir auf den Rat der Wissenschaft. Die Erfahrung hat gezeigt: Das Virus kann sich verändern. Dass neue Varianten künftig zu weniger schweren Verläufen führen, ist kein Automatismus. Vielmehr warnen Wissenschaftler auch davor, dass wieder aggressivere Varianten auftreten können. Wir sollten uns für alle Eventualitäten wappnen.
Sie wollen die Krankenversicherungen für einen Teil der Kontrolle verpflichten. Von dort kommt schon Kritik, man wolle nicht Impfpolizei spielen. Droht damit nicht auch wieder ein Umsetzungsproblem?
Helling-Plahr: Die Krankenkassen sollen im Rahmen einer umfassenden Informationskampagne zunächst einmal über die Gefahren von Covid-19, die bestehenden Impfangebote sowie die kommende Impfpflicht aufklären. So werden bisher nicht geimpfte Bürger die Gelegenheit haben, bis Oktober drei Impfungen nachzuweisen. Dies läuft über die Krankenkassen. Erfolgt der Krankenkasse gegenüber eine Rückmeldung zum Impfstatus nicht oder nicht rechtzeitig, wird die Kasse nicht etwa Sanktionen verhängen. Sie gibt die Information in diesem Fall an die zuständige Behörde weiter, wo dann ein Bußgeldverfahren eröffnet werden kann. Konkrete Ermittlung sowie Sanktionierung bleiben natürlich in staatlicher Hand.
Glauben Sie wirklich, dass eine Bußgelddrohung die noch nicht geimpften Menschen in Deutschland überzeugen kann, sich jetzt impfen zu lassen?
Helling-Plahr: Ich bin froh, dass die Mehrheit der Deutschen sich selbst bereits für eine Impfung entschieden hat und die Mehrheit auch ohne Impfpflicht vollständig geimpft ist. Den anderen geben wir mit der Pflicht einen Anstoß, sich zu informieren, mit der Impfung zu befassen und sich schließlich impfen zu lassen. Eine Impfpflicht kann ein Stück weit auch Orientierung geben und den Menschen signalisieren: Das ist wirklich wichtig.
Die Argumente sind doch seit langem bekannt. Glauben Sie wirklich, dass noch mehr Druck etwas bewirkt, nachdem schon 2G-Regelungen nur unwesentlich zu mehr Impfungen führten?
Helling-Plahr: Diese Frage können Sie bei jeder Norm stellen: Verhindern Strafzettel das Falschparken? Sicher nicht. Tragen sie dazu bei, dass weniger falsch geparkt wird? Sicher ja. Es geht hier auch um die klare Botschaft: Impfen gegen Covid-19 ist keine reine Privatsache, sondern eine Frage, die uns als Gesellschaft als Ganzes betrifft. Bezüglich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht kamen zuletzt schon ermutigende Rückmeldungen, dass mancher Zweifler sich jetzt doch impfen ließe – das war freilich vor dem Hin und Her der bayrischen Staatsregierung.
Haben Sie Signale für die Unterstützung aus Ihrer Partei und auch vonseiten einzelner Unionsabgeordneter? Hoffen Sie, dass die Ampel-Koalition eine eigene Mehrheit bekommt?
Helling-Plahr: Ich denke, auch in der Union, deren Ministerpräsidenten sich ja in der Vergangenheit teils vehement für eine Impfpflicht ausgesprochen haben, wird nicht jeder mit der nun präsentierten Idee einer doch nicht so richtigen Impfpflicht glücklich sein. Bei der Abstimmung spielen Fraktionen letztlich keine Rolle. Jede Kollegin und jeder Kollege folgt seinem Gewissen. Ich hoffe, dass besonders die Union ihren Abgeordneten hier keine Linie vorgibt, sondern sie auch tatsächlich selbst entscheiden lässt. Ich bin optimistisch, dass wir viele Abgeordnete von unserem Konzept überzeugen können.
Zur Person:Katrin Helling-Plahr, 35, stammt aus Hagen, studierte Jura und Medizinrecht. Die Rechtsanwältin zog 2017 erstmals für die FDP in den Bundestag an.