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Interview: Ex-US-Kommandeur Petraeus: "Kann mir keinen schwierigeren Feind vorstellen"

Interview

Ex-US-Kommandeur Petraeus: "Kann mir keinen schwierigeren Feind vorstellen"

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    David Petraeus zu seiner Zeit als VIer-Sterne-General der US-Streitkräfte: „Wenn man es kaputt macht, gehört es einem.“
    David Petraeus zu seiner Zeit als VIer-Sterne-General der US-Streitkräfte: „Wenn man es kaputt macht, gehört es einem.“ Foto: Jim Lo Scalzo, dpa (Archivbild)

    Herr Petraeus, Sie waren einst Kommandeur der US-Streitkräfte im Irak und der Koalitionstruppen in Afghanistan. In Ihrem Buch „Conflict“, zeigen Sie, wie Staatsmänner und Generäle sich seit 1945 immer wieder entscheidend irren. Haben die Israelis im Krieg gegen die Terrororganisation Hamas bisher große politische und militärische Fehler gemacht?

    David Petraeus: Israels Regierung hat die allgemeinen Ziele klar umrissen – die Zerstörung der Hamas und ihres Juniorpartners, des Islamischen Dschihad, sowie die Zerschlagung des politischen Flügels

    Wie muss Israels Armee ihre Bodenoperationen im Gazastreifen führen, um die Hamas auszuschalten und mehr als 200 israelische und internationale Geiseln zu befreien?

    Petraeus: Ich kann mir keine schwierigere Mission und keinen schwierigeren Feind vorstellen. Es handelt sich um einen Feind ohne Uniform, der unschuldige Zivilisten und Geiseln als menschliche Schutzschilde benutzt, der den dichtbesiedelten Gazastreifen sehr gut kennt und sich darin verschanzt. Es ist ein Feind, der sich seit Jahren auf die Verteidigung vorbereitet, der Hunderte von Kilometern an Tunneln gebaut hat, der alle möglichen Explosivwaffen einsetzt und der bereit ist, sich selbst in die Luft zu sprengen. Israels Streitkräfte müssen nacheinander jedes Gebäude, jeden Block und jedes Viertel einnehmen und dann mit vielen Soldaten halten und sichern. Die Streitkräfte des Iraks brauchten mit US-Unterstützung 2016 und 2017 etwa neun Monate, um Mosul von den Terroristen des Islamischen Staates zu befreien.

    Welche Erfahrungen haben Sie vor 15 Jahren im Irak als Befehlshaber der amerikanischen und multinationalen Streitkräfte im Kampf gegen Terrorgruppen gemacht?

    Petraeus: Wir haben eine Reihe von Operationen in großen städtischen Gebieten durchgeführt, um insbesondere die Al-Qaida im Irak, die Jahre später zum Islamischen Staat wurde, sowie die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen zu vernichten. Dies war insbesondere während des „Surge“ – der Aufstockung der US-Truppen – im Irak von Anfang 2007 bis Mitte 2008 der Fall. Jede der großen Städte, die wir damals eingenommen und gehalten haben, war eine Herausforderung. Aber die Herausforderung, die Hamas im Gazastreifen zu vernichten, ist noch größer, komplexer und problematischer.

    Muss Israel den Gazastreifen nach der Zerschlagung der Hamas erneut besetzen, um eine Wiedergeburt der Hamas oder einer anderen Terrorgruppe zu verhindern?

    Petraeus: Israel würde es gerne vermeiden, den Gazastreifen erneut zu besetzen und zu verwalten. In der israelischen Regierung gibt es Stellen, die an einem Post-Konflikt-Plan für Gaza arbeiten. Die USA und andere Länder, insbesondere die Golfstaaten, versuchen, diese Bemühungen zu unterstützen. Experten dieser Länder prüfen Optionen für humanitäre Hilfe, die Wiederherstellung der Grundversorgung, die Wiedereröffnung von Kliniken, Märkten und Schulen sowie die Errichtung von Regierungsstrukturen. Wer den Gazastreifen verwaltet, wird die Reste der Hamas sehr genau im Auge behalten müssen. Er muss gegen Aufständische vorgehen, während er wiederaufbaut.

    Bislang hat Israel allerdings noch kein konkretes Konzept für die Zeit nach dem Konflikt vorgelegt …

    Petraeus: Je eher die israelische Führung auch nur ein vages Konzept für die Zeit nach dem Konflikt in Gaza bekannt gibt und dafür sorgt, dass das Leben für die palästinensische Bevölkerung in Gaza und auch im Westjordanland besser wird, desto besser. Wenn in naher Zukunft keine fähige, kompetente palästinensische oder internationale Übergangsverwaltung eingesetzt werden kann, wird Israel diese Aufgabe übernehmen müssen. Wie der damalige US-Außenminister Powell vor dem Einmarsch in den Irak im Jahr 2003 bemerkte: „Wenn man es kaputt macht, gehört es einem.“ Die israelische Führung ist sich dieser Realität bewusst.

    Wie gefährlich ist ein Mangel an konkreten Plänen für die Zeit nach einem Konflikt, um nicht den Frieden aus den Augen zu verlieren?

    Petraeus: Die USA haben im Irak ab 2003 auf die harte Tour gelernt, dass detaillierte, realistische und gründliche Pläne für die Zeit nach dem Konflikt enorm wichtig sind. Nachdem die US-geführte Koalition die Regierung Saddam Husseins gestürzt hatte – ich war damals Zwei-Sterne-General und Kommandeur der 101st Airborne Division – erwiesen sich unsere Pläne als unzureichend, und wir verschlimmerten unsere Probleme. Wir lösten die irakische Armee auf, ohne den Leuten zu sagen, wie sie ihre Familien versorgen können. Dann wurden Zehntausende Staatsdiener freigestellt. Wir hätten diese Leute gebraucht, um ein Land zu regieren, das wir nicht vollständig verstanden. Auf diese Weise schufen wir Hunderttausende Menschen, die den neuen Irak bekämpfen wollten, anstatt ihn zu unterstützen.

    Die Vereinten Nationen, die USA und die EU befürworten langfristig eine Zweistaatenlösung zwischen Palästinensern und Israelie Zweistaaten. Ist dieses Konzept im Angesicht von Hass und Gewalt in Nahost überhaupt noch realistisch?

    Petraeus: Ja, es gibt keine Alternative.

    Zur Person: David Petraeus, war in den Jahren 2010 und 2011 Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf in Afghanistan. Der heute 70-Jährige wurde danach Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA. Im Jahr 2012 trat er von diesem Posten zurück. Sein Buch: "Conflict: The Evolution of Warfare from 1945 to Ukraine", erschien bislang nur auf Englisch.

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