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Interview: Ex-SPD-Chef Scharping: "Die deutsche Energie-Politik ist untauglich"

Interview

Ex-SPD-Chef Scharping: "Die deutsche Energie-Politik ist untauglich"

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    Der frühere SPD-Chef Rudolf Scharping geht mit der aktuellen Energiepolitik hart ins Gericht.
    Der frühere SPD-Chef Rudolf Scharping geht mit der aktuellen Energiepolitik hart ins Gericht. Foto: Andreas Gora, dpa

    Herr Scharping, Deutschland steckt in einem Energie-Dilemma. Windstrom aus dem Norden kann wegen fehlender Leitungen nicht ausreichend in den Süden transportiert werden, die meisten Atomkraftwerke wurden abgeschaltet und Gas ist viel zu teuer. Wie kommen wir da wieder raus?

    Rudolf Scharping: Wir sind ab 2011 aus der Atomkraft ausgestiegen, danach aus der Kohle. Diese Energieträger sollten durch erneuerbaren Strom ersetzt werden. Einen klaren Plan dafür gab es nicht, und das war ein Riesenfehler. Nun stehen wir angesichts der enorm gestiegenen Gas- und Strompreise vor einer immensen Herausforderung, wirtschaftlich und sozial. Scharf formuliert: Die deutsche Energiepolitik ist untauglich, international isoliert und ein Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit und für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland.

    Das ist ein harter Befund. Doch noch einmal: Wie kommen wir raus aus dem Energie-Dilemma?

    Scharping: Indem wir, was die Energiequellen betrifft, auf mehreren Standbeinen stehen. Wir können jetzt auf keine Energiequelle verzichten.

    Demnach müssten wir weiter auf Atomkraft und langfristiger auch auf Kohlekraft oder Gas setzen.

    Scharping: Ja, wir können es uns noch für viele Jahre nicht leisten, auf eine Energiequelle zu verzichten. Das gilt für Erdöl, Gas, Kohle, aber auch Atomkraft. Dafür bedarf es rasch eines langfristigen und verlässlichen Rahmens. Italien hat sich auf mehr als zwei Jahrzehnte mit Katar geeinigt. Wenn Deutschland nur kurzfristige Übergänge sucht, treibt das die Preise. Die Bundesregierung muss jetzt einen Rahmen setzen, auf den sich Bürger wie Wirtschaft verlassen können.

    Sollen wir also die verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen lassen?

    Scharping: Ich bin wahrlich kein Atomkraft-Fan. Ich habe in Rheinland-Pfalz dafür gesorgt, dass das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich wegen eines fehlerhaften Baugenehmigungsverfahrens vom Netz gehen musste und letztlich abgebaut wurde.

    Da müssten Sie eigentlich gegen den Weiterbetrieb der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke sein.

    Scharping: Bin ich aber nicht. Denn nach Abwägung aller Risiken sollten wir mit der Kernkraft jetzt nicht auf etwas verzichten, das uns bei der Bewältigung der großen Herausforderung der Energie-Krise hilft, auch wenn diese Technologie nicht ungefährlich ist. Wir müssen also mindestens die verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen lassen. Das muss auch für das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg gelten, das modernste seiner Art in der Welt. Es wurde bekanntlich stillgelegt. Und CO kann man bei Kraftwerken, Stahlwerken und anderswo abscheiden und sogar nutzen. Wir haben enorm viele Möglichkeiten, Innovationen und Technik zur Verfügung – die sollten wir nutzen, um den Übergang zu schaffen in mehr erneuerbare Energien und die Nutzung von Wasserstoff.

    Können wir uns denn die Gas-Umlage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck leisten?

    Scharping: Diese Gas-Umlage ist wirtschaftlicher und sozialer Sprengstoff. Im Kern geht es um zwei Unternehmen, die für die sichere Versorgung gerettet werden sollen. Das kann man über den bestehenden Fonds zur Stabilisierung der Wirtschaft, mit Beteiligungen oder Staatsgarantien, notfalls Steuermitteln machen. Es wäre ein Akt der Vernunft und der politischen Souveränität, diese Umlage sofort außer Kraft zu setzen. Sie treibt die Preise – und die sind schon förmlich explodiert. Viele Menschen mit normalem Einkommen können das nicht mehr stemmen – und die Preise für Energie und Rohstoffe sind auch gefährlich hoch für viele Unternehmen. Was besonders fatal ist: Die hohen Gaspreise treiben auch die Strompreise nach oben.

    Verantwortlich dafür ist das Merit-Order-Prinzip, das beide Preise aneinanderkoppelt. Fatal ist dabei auch, dass sich der Preis an Strombörsen an dem jeweils teuersten Anbieter orientiert.

    Scharping: In der gegenwärtigen Situation in Deutschland und Europa ist dieses Merit-Order-Prinzip äußerst gefährlich und muss rasch außer Kraft gesetzt werden, damit die Strompreise nicht weiter explodieren. Die Bundesregierung sollte hier zügig handeln. Denn durch diese Methode erzielen bestimmte Energie-Erzeuger enorme Gewinne. Das ist völlig inakzeptabel. Dieser Autopilot zur Gewinnmaximierung muss möglichst schnell abgeschaltet werden.

    Doch selbst wenn das alles geschieht und Kohle- wie Atomkraftwerke mehr Strom liefern, brauchen wir reichlich Gas.

    Scharping: Richtig, wir dürfen nicht weiter um die Welt reisen, um kurzfristig Gas einzukaufen. Damit treibt Deutschland die Preise nur noch weiter in die Höhe. Und weil Deutschland für die Lieferung von Gas Ländern wie Katar, Norwegen und Kanada keine langfristige Abnahme garantiert, will auch niemand in ausreichendem Maße liefern. Daran scheitert im Moment eine verlässlichere Versorgung unseres Landes mit Gas. Machen wir uns nichts vor: Deutschland hat immer Rohstoffe und Energie importiert. Das wird sich nicht ändern. Wir brauchen verlässliche internationale Arbeitsteilung, um wirtschaftlich erfolgreich und sozial stabil zu sein.

    Doch Deutschland deckt sich weiter kurzfristig mit Gas ein. Die Speicher füllen sich immer mehr.

    Scharping: Und weil sich Unternehmen auf den Spotmärkten kurzfristig eindecken müssen, treibt Deutschland weltweit für alle die Preise nach oben. Dies nutzen Unternehmen in anderen Ländern, darunter in den USA, in Indien und in China aus, um so enorme Gewinne einzufahren. Der eigentliche Stresstest wird noch kommen, wenn Putin seine zynische Kriegsführung mit Getreide, Rohstoffen und Energie fortsetzt. Dafür müssen wir uns heute wappnen, wegen der Menschen mit normalem Einkommen, wegen der Wirtschaft und der Arbeitsplätze.

    Was befürchten Sie?

    Scharping: Man kann nicht ausschließen, dass im Winter die Arbeitsplätze die größere Herausforderung sein werden als die Preissteigerungen.

    Kommen wir dennoch ohne massive soziale Verwerfungen und wirtschaftliche Einbrüche durch den Winter?

    Scharping: Ich traue Deutschland sehr viel zu. Es wird aber harte Arbeit. Alle Verantwortlichen sollten die Interessen der Menschen und der Wirtschaft in diesem Land im Auge haben und nicht in ihre jeweiligen Partei-Spiegel schauen. Dann schaffen wir das. Streitereien wie zuletzt innerhalb der Koalition kosten aber Ansehen und wertvolle Zeit.

    Rudolf Scharping, 74, war von 1991 bis 1994 Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und von 1998 bis 2002 Bundesverteidigungsminister. Von 1993 bis 1995 war der Politiker zudem Vorsitzender der SPD. Seit 2005 ist er Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer. Scharping hat nach seiner Politik-Zeit als geschäftsführender Gesellschafter das Beratungsunternehmen RSBK in Frankfurt und Peking aufgebaut. Er gilt als China-Experte.

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