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Interview: "Müssen uns schützen, wenn andere uns über den Tisch ziehen wollen"

Interview

"Müssen uns schützen, wenn andere uns über den Tisch ziehen wollen"

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    Der Europaabgeordnete und Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, war zu Gast bei einer Veranstaltung unserer Redaktion.
    Der Europaabgeordnete und Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, war zu Gast bei einer Veranstaltung unserer Redaktion. Foto: Bernhard Weizenegger

    Herr Weber, am 9. Juni ist Europawahl, doch die EU hat bei vielen Menschen keinen guten Ruf. Brüssel, das steht oft für Gängelungen und Bürokratie. Was halten Sie dagegen?
    MANFRED WEBER: Ich bekomme ganz andere Reaktionen zu hören. Als ich kürzlich eine Schulklasse besuchte, haben sich die Schülerinnen und Schüler für unseren europäischen Rechtsrahmen zur Künstlichen Intelligenz interessiert – die konnten mich auf einzelne Paragrafen ansprechen. Und auch die Bauern muss ich heute nicht mehr davon überzeugen, wie wichtig die EU ist. Im Bayerischen Wald gibt es eine Molkerei, die eine der größten Mozzarella-Produzenten für Italien ist. Wenn wir diese Märkte nicht hätten, müsste ein guter Teil unserer Milchbauern morgen schließen. Das wissen die Bauern, bei allem Frust, den es im Einzelfall geben mag.

    Dennoch ist es um die wirtschaftliche Stärke der EU nicht gut bestellt. Das Wachstum in den USA war in den vergangenen Jahren deutlich größer. Warum spielen wir unsere Stärken nicht besser aus?
    WEBER: Die Lage in Europa ist sehr unterschiedlich. In Deutschland befinden wir uns in einer Rezession, Griechenland dagegen hat ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent. Das hat nichts damit zu tun, ob man Deutscher ist oder Grieche, sondern vor allem damit, welche Regierung man hat – eine linke, wirtschaftsferne Regierung wie in Berlin oder eine bürgerliche wie in Athen. Was wir für Europa insgesamt machen können, ist den Binnenmarkt zu stärken. Für Güter haben wir den, für Dienstleistungen noch nicht. Ein deutscher Skilehrer beispielsweise dürfte in Österreich nicht ohne Weiteres arbeiten. Das ist doch Irrsinn! Das Zweite, was wir anpacken müssen, ist das Megathema Bürokratie. 

    Ein sperriges Thema. Wie wollen Sie da zu konkreten Erfolgen kommen?
    WEBER: Gerade in dieser Woche wurde in Straßburg beschlossen, dass alle landwirtschaftlichen Betriebe unter zehn Hektar – das sind in Bayern 35.000 Höfe – von EU-Prüfungen ausgenommen werden sollen. Wir vertrauen auf Eigenverantwortung. So einen Entbürokratisierungsschritt würde ich mir in Berlin einmal wünschen! Das muss der Schwerpunkt der nächsten fünf Jahre sein: Durchforsten, wo Unternehmen und Mittelständler an ihre Schmerzgrenze geraten und überflüssige Bürokratie entfernen. Und dann gibt es noch ein drittes großes Thema: Mit wem treiben wir Handel? Und: wie?

    Deutschland lebt vom Export … 
    WEBER: Hier geht es um fundamentalste Fragen. Im vergangenen Jahr stammten gut 20 Prozent aller Elektroautos, die in Europa verkauft worden sind, aus chinesischer Produktion, staatlich subventioniert. Die drücken unsere Hersteller an die Wand. Für Volkswagen oder Fiat ist das ein Problem, für das Hochpreissegment weniger. Die USA wiederum schützen ihre Industrie durch Zölle. Auch wir werden uns diese Frage stellen müssen. Wir müssen uns schützen, wenn andere uns über den Tisch ziehen wollen – gegenüber Autokraten und gegenüber befreundeten Wettbewerbern wie den USA. 

    In den USA läuft einiges anders. Klimaschutz wird in Europa durch Verordnungen durchgesetzt, in Amerika verspricht man den Firmen Profit – sie bekommen massive Steuererleichterungen. Ist das vielleicht der erfolgversprechendere Ansatz?
    WEBER: Erst einmal Geld verdienen, und wenn es schiefgeht, schauen wir weiter – das ist der Ansatz der USA. Unser Ansatz ist anders. Nehmen Sie das Beispiel Künstliche Intelligenz: Wir sind der erste Kontinent, der der KI einen rechtlichen Rahmen gibt. Wir Europäer haben eine Vorstellung davon, dass Wirtschaft Regeln braucht, dass sie nur als soziale Marktwirtschaft funktioniert. Der Markt muss auf der Grundlage unserer Werte entstehen. 

    Das Problem ist doch nur, dass diese Regeln auch erdrückend sein können …
    WEBER: Natürlich gibt es gerade beim Klimaschutz parteipolitischen Streit in Europa. Konsens ist, dass wir bis 2050 klimaneutral werden wollen. Das geschieht zum einen, indem wir CO₂ einen Preis geben, also teuer machen. Leider hat die Ampel-Regierung darüber hinaus versucht, den Leuten vorzuschreiben, welche Technik sie einsetzen müssen. Das ist falsch. Die Politik definiert das Ziel, aber sie regelt nicht, wie es erreicht wird. Für mich heißt das auch: Wir müssen den Verbrenner weiter zulassen. Ich möchte, dass die Arbeitsplätze bei uns bleiben und nicht nach China oder Südamerika abwandern. 

    Bei der Europawahl geht es auch darum, wer die nächste Kommissionspräsidentin, der nächste Kommissionspräsident wird. Sie wurden 2019 als Spitzenkandidat gewählt, letztendlich wurde es Ursula von der Leyen. Wie gehen Sie heute mit dieser Niederlage um?
    WEBER: Damals ist schwerer Schaden an der Demokratie entstanden. Ich war Wahlgewinner in Bayern – und in Europa. Aber Liberale und Sozialdemokraten haben mich nicht unterstützt. Dazu kamen parteipolitische Taktikspielchen, angeführt von Emmanuel Macron und Viktor Orbán. Am Ende stand für mich die Frage, wie ich mit der Niederlage umgehe. Stehe ich auf und kämpfe für das, wovon ich überzeugt bin, oder bleibe ich liegen? Ich bin von diesem demokratischen Europa zutiefst überzeugt. 

    Das demokratische Europa wird gerade stark von rechts bedroht. Wie gehen Sie damit um?
    WEBER: Wir müssen uns klarmachen, dass wir nach dem 9. Juni in einem anderen Europa aufwachen könnten. In Frankreich steht die Partei von Marine LePen bei mehr als 30 Prozent in den Umfragen, in Österreich liegt die rechtspopulistische FPÖ vorn, in Polen ist die PiS-Partei ebenfalls noch stark, in den Niederlanden ist Geert Wilders gerade dabei, eine Regierung zu bilden. Es könnte also sein, dass wir am 10. Juni ein Europa haben, in dem das Parlament dysfunktional ist, in dem es nicht einmal gelingt, eine Kommissionspräsidentin zu wählen. 

    Wenn Sie das so beschreiben: Ist es richtig, mit der italienischen Post-Faschistin Giorgia Meloni zusammenzuarbeiten, so wie Sie das tun?
    WEBER: Giorgia Meloni ist demokratische Regierungschefin Italiens, sie steht derzeit in Umfragen bei 30 Prozent, Emmanuel Macron steht bei 17 Prozent, Olaf Scholz bei 16 Prozent. Es gibt in Italien keine Angst, dass der Rechtsstaat kollabieren könnte. Auch wenn ich bestimmt nicht alles teile, Giorgia Meloni macht bürgerliche Politik. Warum also sollte ich mich dafür rechtfertigen, dass ich Gespräche mit ihr führe? Das lasse ich mir nicht verbieten. 

    Ein wichtiger Grund, warum Sie mit Giorgia Meloni und Italien reden, ist die Asylfrage. Sie plädieren dafür, nach britischem Vorbild Asylzentren außerhalb der EU einzurichten, etwa in Albanien. Wie ist das mit dem christlichen Menschenbild vereinbar?
    WEBER: Ein Mensch, der vor Krieg oder politischer Verfolgung flieht, hat das Recht auf Schutz. Aber er hat nicht das Recht, sich das Land auszusuchen, in dem er leben will. Deshalb bin ich dafür, dass wir Asylzentren außerhalb der EU einrichten. So zerstören wir auch das Geschäftsmodell der Schlepper – und wir schützen Leben. Denn wir wollen nicht, dass die Menschen in Boote steigen und ihr Leben auf dem Weg übers Mittelmeer nach Italien riskieren. Kein Kontinent leistet mehr für Flüchtlinge als Europa. Aber der Staat muss unterscheiden zwischen einem Kriegsflüchtling aus der Ukraine und jemandem, der illegal einreist. 

    Nicht nur die Europawahl steht in diesem Jahr an, sondern auch die US-Wahl. Was machen wir, wenn Donald Trump wieder amerikanischer Präsident wird?
    WEBER: Der Krieg in Europa gibt uns ein Gefühl dafür, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben. Deshalb stehen wir auch bei Wahlen vor historischen Fragen. Die Wohlfühlzeit ist vorbei. Ich vertraue auf die transatlantische Partnerschaft. Aber egal, wer US-Präsident wird, 330 Millionen US-Amerikaner werden nicht dauerhaft 440 Millionen Europäer verteidigen. Damit ist irgendwann Schluss. Die Soldaten, die in Bayern stationiert sind, werden vom amerikanischen Steuerzahler bezahlt. Trump sagt: Wir haben im Schnitt 17 Tage Urlaub, die Deutschen im Schnitt über 27 Tage – warum sorgen sie nicht selbst für ihre Sicherheit? Er hat in der Sache recht, nicht im Stil. Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir das größte Versprechen Europas halten können: Frieden. Das schaffen wir nur, wenn wir so stark werden, dass keiner auf die Idee kommt, uns herauszufordern. Natürlich würden wir das Geld viel lieber in Klimaschutz oder Digitalisierung ausgeben. Aber die Basis von allem ist Frieden und Freiheit.

    Europa kann sich seit Jahrzehnten nicht auf eine gemeinsame Verteidigung einigen…
    WEBER: Was wir jetzt brauchen, ist politische Führung. Vor fast 30 Jahren haben Helmut Kohl und Theo Waigel den Euro eingeführt. Sie hatten Mut und Kraft. Heute ist der Euro die zweitgrößte Währung der Welt. Aber meine größte Sorge ist, dass die heutige Politiker-Generation nicht die historische Größe hat, die Aufgaben unserer Zeit zu beantworten. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat jetzt erst wieder eine Rede an der Sorbonne-Universität gehalten – wie viele Reden brauchen wir denn noch? Er soll sich lieber mit Olaf Scholz hinsetzen und eine europäische Armee aufbauen. Machen, nicht reden. Aber sie sind beide mehr damit beschäftigt, wie sie ihre eigene Regierung einigermaßen stabilisieren und selbst politisch überleben können. Mut zeigen, Führung zeigen, Orientierung geben. 

    Was wäre ein erster wichtiger Schritt?
    WEBER: Wenn es um Verteidigung geht, müssen wir mit dem Markt beginnen. Wir Europäer haben bis zu 17 verschiedene Panzer-Modelle – die Amerikaner haben eines. Wir haben 180 verschiedene Waffensysteme – die Amerikaner haben 30. Das ist nicht effizient. Wenn wir in Europa besser zusammenarbeiten würden, würden wir verdammt viel Steuergeld sparen und stärker sein.

    In der Ukraine droht Putin, die Oberhand zu gewinnen. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein? 
    WEBER: Wir haben aktuell nur die militärischen Optionen, Wladimir Putin eröffnet keine Gesprächsmöglichkeiten. Er hat sich für diesen Krieg entschieden und will ihn auch gewinnen. Er braucht den Propaganda-Erfolg. Wir müssen die Ukraine unterstützen. Kiew hat händeringend um ganz banale Artillerie-Munition gebettelt, aber wir Europäer waren nicht in der Lage, innerhalb eines Jahres eine Million Schuss zu liefern. Nordkorea war dazu in der Lage. Es kann doch nicht sein, dass ein Rüstungsbetrieb bei uns drei Jahre auf Genehmigungen wartet. Bei Corona hat die EU gezeigt, dass sie dazu fähig ist, in Krisen schnell zu reagieren. Ich habe das Gefühl, dass wir die Ukraine gerade so unterstützen, dass das Land nicht untergeht – aber eben auch nicht gewinnt. Das ist zu wenig.

    Was droht uns, wenn Putin gewinnt?
    WEBER: Ich reise in wenigen Tagen nach Finnland. Der dortige Premier musste vor Weihnachten alle Grenzen schließen, weil Putin versucht hat, Flüchtlinge über die Grenze zu schicken. Der russische Präsident weiß: Wenn jetzt wieder Tausende Flüchtlinge an den Grenzen ankommen, gehen nicht nur die Umfragewerte der AfD nach oben, sondern die aller Rechtsradikalen in Europa. Den hybriden Krieg gibt es also bereits. In Irland wurden die Gesundheitssysteme durch einen Hacker-Angriff aus Russland lahmgelegt, in der Slowakei wurde die öffentliche Meinung beeinflusst, um den prorussischen Ministerpräsidenten Robert Fico ins Amt zu verhelfen. Putin hasst die Art, wie wir leben, er hasst Freiheit und Demokratie. Deshalb wird er nicht aufhören, sollte er die Ukraine besiegen. 

    Lassen Sie uns noch auf die CSU schauen. Ihre Partei liegt in Umfragen bei rund 40 Prozent. Zieht Parteichef Markus Söder nicht mehr bei den Wählern?
    WEBER: Die CSU hat mit Markus Söder an der Spitze einen klaren Regierungsauftrag bekommen. Bayern ist in guten Händen. Aber wir müssen auch deutlich machen, was CSU pur ausmacht – und da sind die Europawahlen eine Chance. Die CSU hatte immer den Anspruch, nicht nur Bayern gut zu gestalten, sondern auch in Deutschland und Europa durchsetzungsfähig zu sein. 

    Sehen Sie Markus Söder noch einmal im Wettrennen um die Kanzlerkandidatur?
    WEBER: Es ist immer gut, wenn ein CSU-Chef für das Kanzleramt infrage kommt. Aber Markus Söder hat es mehrfach klargestellt: Sein Platz ist in Bayern. Wir haben mit Friedrich Merz eine starke Führungsfigur in der Bundestagsfraktion und CDU. Was mir wichtig ist, ist, dass wir mit eigenen Konzepten überzeugen. Nur mit Ampel-Bashing werden wir die Wähler nicht gewinnen. Ich will auch nicht, dass wir gewählt werden, weil die anderen schlecht sind, sondern weil wir gut sind. 

    Zur Person

    Manfred Weber ist Spitzenkandidat der CSU für die Europawahl. Der 51-jährige Niederbayer ist Fraktionschef der Christdemokraten im Europaparlament sowie Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Bevor er hauptberuflicher Politiker wurde, studierte der Hobby-Gitarrist physikalische Technik mit Schwerpunkt technischer Umweltschutz an der Fachhochschule München. 

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