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Interview: "Es wird so viel über die Spaltung der Gesellschaft gesprochen – aber ich kann das nicht erkennen"

Interview

"Es wird so viel über die Spaltung der Gesellschaft gesprochen – aber ich kann das nicht erkennen"

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    Die Querdenker-Bewegung tritt lautstark auf - vertritt aber nur eine Minderheit der Deutschen.
    Die Querdenker-Bewegung tritt lautstark auf - vertritt aber nur eine Minderheit der Deutschen. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Herr Petersen, vielfach wird derzeit eine Spaltung der Gesellschaft durch die Pandemie beklagt. Das Institut für Demoskopie in Allensbach misst regelmäßig den Puls der Deutschen – schlägt der im Moment besonders unruhig?

    Thomas Petersen: Ich bin nicht der Ansicht, dass die Gesellschaft gespalten ist. Man neigt ja dazu, schnell zu vergessen, was früher los war. So groß die gegenwärtigen Probleme sein mögen – es ist nicht so, als sei das noch nie da gewesen. Gesellschaftliche Konflikte hat es immer gegeben. Was wir jetzt haben, ist eine kleine, aggressive Minderheit, die sich geriert, als wäre sie die Mehrheit. Diese Minderheit ist von überschaubarer Größe und die ist in den vergangenen Monaten auch nicht gewachsen. Was man vielleicht als Spaltung bezeichnen kann: Diese Minderheit ist gesellschaftlich isoliert.

    Das heißt, es ist normal, dass es in großen gesellschaftlichen Debatten eine Mehrheitsmeinung gibt und eine Minderheit, die dagegen kämpft?

    Petersen: Es gibt immer unterschiedliche Auffassungen in einer Gesellschaft – die einen regieren, die anderen opponieren. Das führt immer zu Konflikten. Die Frage ist: Wie scharf werden die ausgetragen? Ich habe eher den Eindruck, dass die Gesellschaft nicht genug gespalten ist. Wir haben über die politischen Lager hinweg einen wirklich breiten Konsens. Das erleben wir ja gerade in dieser Woche: Die Regierung wechselt, aber eigentlich ja auch wieder nicht. Es gibt von den Linken über die Grünen bis hin zur CDU ziemlich viel Einigkeit. Diejenigen, die eine andere Meinung vertreten, fühlen sich an den Rand gedrängt. Aktuell würde ich den Anteil Mehrheit-Minderheit auf zirka 85 zu 15 Prozent beziffern. In den 70er, 80er Jahren hatten wir zwei ungefähr gleichgroße Blöcke, die sich gegenseitig bekämpft haben. Insofern haben wir sogar weniger Konflikte als früher.

    Impfpflicht ist ein Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung

    Sind wir zu sehr an politischen Konsens gewöhnt, fällt uns der Konflikt deshalb so auf?

    Petersen: Ja, das ist eine Möglichkeit. Das sieht man auch, wenn man sich Wahlen anschaut. Wir haben die Frage gestellt: „Glauben Sie, dass die kommende Wahl eine Schicksalswahl ist, bei der sich die Zukunft des Landes entscheidet?“ In den 90er Jahren haben das viel mehr Menschen bejaht als heute. Es wird so viel über die Spaltung der Gesellschaft gesprochen – aber ich kann das nicht erkennen. Das ist ein Klischee.

    Richtet die Politik ihr Handeln zu stark an der Annahme aus, dass die Gesellschaft gespalten ist? Eine Mehrheit befürwortet etwa die Impfpflicht. Dennoch tut sich die Regierung damit schwer.

    Petersen: Nur, weil die Mehrheit etwas will, muss es noch lange nicht gut und verfassungsgemäß sein. Medizinisch wäre eine Impfpflicht sicherlich geboten, aber die Politik weiß, dass es eine Minderheit geben wird, die sich überrollt fühlen wird. Und ohne Not einen Konflikt in eine Gesellschaft zu tragen, ist eine schwierige Sache. Eine Impfpflicht ist ein Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung. Dass Politiker davor zurückzucken, ist nicht nur verständlich, sondern auch geboten. Wenn die Politik dann allerdings zum Schluss kommt, dass es aus übergeordneten Gründen doch eine Impfpflicht braucht, muss sie das durchsetzen. Es wäre aber erschreckend, wenn die Politik sich damit nicht schwertun würde.

    Echte Fanatiker wird man nicht überzeugen können

    Muss die Politik immer versuchen, ihre Kritiker mitzunehmen?

    Petersen: Die Politik wird nicht immer jede Minderheit mitnehmen können. Aber zur Demokratie gehört immer auch der Respekt vor abweichenden Meinungen. Sonst haben wir das, was wir eine „Tyrannei der Mehrheit“ nennen. Stellen Sie sich das Amerika des 19. Jahrhunderts vor – es war die freieste Gesellschaft der Welt, aber 10 Prozent der Bevölkerung waren Sklaven. Die Mehrheit fand das ganz prima, trotzdem ist es nicht das, was wir uns unter einer Demokratie vorstellen. Der Schutz von Minderheitenrechten gehört eben zur Demokratie dazu. Das Bemühen, im Dialog zu bleiben, das Bemühen, den anderen zu verstehen, ist redlich und auch notwendig – sei es auch noch so schwer. Aber es gibt natürlich Grenzen. Echte Fanatiker wird man nicht überzeugen können und in dem Augenblick, wo die glauben, Regeln gelten nicht für sie, müssen sie die rechtstaatlichen Folgen tragen.

    Hat es Auswirkungen auf die Mitte der Gesellschaft, wenn die Ränder glauben, sie müssten die Regeln des Zusammenlebens nicht einhalten?

    Petersen: Man muss da schon aufpassen. Vor einigen Jahren hatten wir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder politische Morde durch Rechtsradikale. Jahrzehnte vorher hatten wir politische Morde durch Linksradikale. Es gibt so etwas also immer wieder – deshalb gibt es Grenzen der Toleranz. Die müssen verteidigt werden.

    Unter den gut 30 Prozent, die noch nicht geimpft sind, sind sicher nicht lauter Querdenker

    In vielen unserer Nachbarstaaten eskaliert die Gewalt bei Corona-Protesten deutlich stärker. Ist so etwas auch in Deutschland denkbar?

    Petersen: Denkbar ist das natürlich. Doch man sollte sich nicht in die Irre führen lassen: Wenn 10.000 Leute auf die Straße gehen und Krawall machen, ist das erschreckend. Aber es sind eben 10.000 von 80 Millionen – es ist und bleibt eine kleine Minderheit. Nun ist es ja schwierig, in die Glaskugel zu schauen, aber gerade beim Thema Impfpflicht würde ich annehmen, dass der Aufruhr sogar geringer wäre als oft angenommen wird. Unter den gut 30 Prozent, die noch nicht geimpft sind, sind sicher nicht lauter Querdenker. Die meisten lassen sich nicht impfen aus einer Mischung aus Trägheit, vager Unsicherheit oder schlichtem Vergessen. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass eine Impfpflicht für viele Menschen sogar eine Hilfestellung wäre.

    Würde dann nicht auch eine weitere Überzeugungsarbeit helfen?

    Petersen: Überzeugungsarbeit ist immer wichtig. Man muss sich allerdings klar sein, dass es Ränder gibt, die sich nicht überzeugen lassen. Das wissen wir aus unseren Untersuchungen zum Rechtsextremismus. Ich würde ungefähr jeden Zehnten als links- oder rechtsradikal einstufen – das heißt: neun von zehn Menschen sind eben nicht links- oder rechtsradikal. Und neun von zehn Menschen sind auch keine fanatischen Impfgegner. Das ist eine Minderheit, die natürlich einen großen Schaden anrichten kann und die sehr laut ist.

    Aus welchen Milieus kommt der Widerstand – eher von rechts oder von links?

    Petersen: Nach allem, was man bisher weiß, kommen die Impfgegner aus unterschiedlichen Milieus. In Ostdeutschland gibt es eine Verbindung zum rechtsradikalen Milieu, in Baden-Württemberg ist es eher die esoterisch-linke Szene. Vor einem Jahr haben wir eine Untersuchung zum Thema Verschwörungstheorien gemacht. Da hat sich gezeigt: So etwas zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten.

    Dr. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach.
    Dr. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach. Foto: Ursula Katharina Balken, Archiv

    Zur Person: Thomas Petersen, 53, ist Meinungsforscher am renommierten Institut für Demoskopie in Allensbach.

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