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Interview : „Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Gefahrenlage schnell entspannt“

Interview

„Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Gefahrenlage schnell entspannt“

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    Der FDP-Innenexperte und parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae.
    Der FDP-Innenexperte und parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae. Foto: Bernhard Weizenegger

    Herr Thomae, der Nahe Osten gleicht einem Pulverfass. Werden durch die Konflikte neue Fluchtbewegungen nach Europa, nach Deutschland entstehen?
    STEPHAN THOMAE: Kriege, Terror und Gewalt lösen praktisch immer Fluchtwellen aus. Die allermeisten Flüchtlinge bleiben zwar in den Nachbarländern, erhebliche Ausläufer der Flüchtlingsströme kommen aber nach einer gewissen Zeit auch bei uns in Europa und in Deutschland an. Sollte der Nahostkonflikt weiter andauern und sogar weiter eskalieren, ist damit zu rechnen, dass viele Menschen, beispielsweise aus dem Libanon, ihre Heimat verlassen müssen, und dass spürbare Auswirkungen auch Europa erreichen.

    Ist mit Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland durch eine Zunahme antisemitischer Kundgebungen und Straftaten zu rechnen?
    THOMAE: Der Angriff der Hamas auf Israel und der darauffolgende Konflikt haben dazu geführt, dass das Gefahrenpotenzial für Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland drastisch angestiegen ist. Das ist absolut inakzeptabel. Jegliche antisemitisch motivierten Straftaten müssen konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Wir müssen die islamistische Szene auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln genau im Blick behalten. Zudem ist es wichtig, schon beim so genannten legalistischen Islamismus anzusetzen, der zunächst mit legalen Mitteln versucht, islamistische Ziele durchzusehen. Der legalistische Islamismus fungiert oft als Wegbereiter für gewaltbereite Islamisten.

    Der Kanzler will Abschiebungen nach Syrien wieder ermöglichen. Sind solche Abschiebungen ruhigen Gewissens möglich?
    THOMAE: Jede Abschiebung ist ohnehin eine Individualentscheidung. Aber Abschiebungen insbesondere von schweren Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan und Syrien dürfen kein Tabu mehr sein. Wer sich mit vollem Vorsatz gegen unsere freiheitliche Grundordnung stellt und zur Gefahr für unsere innere Sicherheit wird, der muss damit rechnen, dass unser Staat nicht nur mit strafrechtlichen, sondern auch mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen reagiert. Deswegen müssen jetzt zügig Lösungen gefunden werden, wie Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien rechtssicher und praktikabel umgesetzt werden können. Die Grünen müssen ihre bisherige Blockadehaltung aufgeben.

    Es gibt innerhalb der Bundesregierung Überlegungen, Abkommen mit Nachbarländern von Syrien und Afghanistan, wie Pakistan und Usbekistan, zu schließen und Schwerstkriminelle zunächst dorthin und später dann in ihre Heimatländer zu bringen. Ein auch für Sie gangbarer Weg?
    THOMAE: Eine enge Zusammenarbeit mit den Nachbarländern ist eine realistische Option. Pakistan führt Abschiebungen nach Afghanistan durch, meist über den Landweg. Auch Usbekistan hat eine gemeinsame Grenze mit Afghanistan. Wenn für eine Person kein Abschiebeverbot besteht, wenn keine Gefahr für Leib und Leben und keine Folter droht, dann ist auch nicht einzusehen, was einer Abschiebung entgegenstehen sollte. Beispielsweise, wenn die abzuschiebende Person selbst der Taliban-Bewegung zuzurechnen ist.

    Das klingt ein wenig so wie der Ruanda-Deal der britischen Regierung. Die neue Regierung in London hat das Vorhaben wieder einkassiert. Wäre es trotzdem ein Modell für die deutsche Regierung in Berlin?
    THOMAE: Die Diskussion wird bei uns oft geführt, als könnte man das jetzt gestoppte Ruanda-Modell der vorherigen britischen Regierung einfach als Muster nehmen und auf andere Länder übertragen. Tatsächlich sind Drittstaatenlösungen komplizierte Unterfangen. Mit jedem Land müsste ein individueller Vertrag ausgehandelt werden, weil in jedem Land andere Umstände, Interessen, Regierungen und Widerstände herrschen. Die gründlichen Prüfungen des Bundesinnenministeriums sind daher notwendig, müssen aber auch absehbar zu Ergebnissen kommen. Ziel muss es sein, faire, rechtssichere und verlässliche Abkommen zu schließen, die auch für die Partnerländer einen Vorteil bringen. Denn nur dann haben Drittstaatenverträge eine Chance, langfristig erfolgreich zu sein und so den Migrationsdruck auf Deutschland wirklich zu reduzieren.

    In Wien mussten gerade Taylor-Swift-Konzerte wegen Terrorgefahr abgesetzt werden. Die Hintergründe sind noch nicht vollständig geklärt, deshalb mit aller Vorsicht: Rückt der Terror näher an Europa heran?
    THOMAE: Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus in Europa ist schon lange real, das zeigen schreckliche Ereignisse wie etwa der Anschlag 2015 auf den Club Bataclan in Paris oder der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016. Der aktuelle Nahost-Konflikt hat die Lage noch verschärft. Deswegen ist es wichtig, dass vor jedem Großereignis, sei es ein Konzert oder ein Sportwettkampf, auch die nötigen Vorkehrungen getroffen werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die aktuelle Gefahrenlage schnell entspannt. Darauf müssen wir reagieren und unsere Sicherheitsbehörden entsprechend aufstellen. Gleichzeitig müssen wir aber unserer freiheitlichen Lebensweise bewahren. Schließlich wollen wir genau die ja verteidigen.

    Zur Person

    Stephan Thomae ist parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. Er trat 1999 in die FDP ein und war zwischen 2009 und 2013 bereits Abgeordneter. Seit 2017 ist er es wieder. Thomae, Jahrgang 1968, wurde in Kempten geboren. Der FDP-Innenexperte studierte Geschichte und Jura, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt. Thomae ist verheiratet und hat drei Kinder.

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