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Interview: Ernst Ulrich von Weizsäcker: "Die Letzte Generation will nichts anderes als Sichtbarkeit"

Interview

Ernst Ulrich von Weizsäcker: "Die Letzte Generation will nichts anderes als Sichtbarkeit"

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    Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Sohn des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
    Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Sohn des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Foto: Malte Ossowski, Imago

    Im dem inzwischen berühmt-berüchtigten 30-stündigen Koalitionsausschuss hat die Ampel das Klimaschutzgesetz aufgeweicht. Was halten Sie davon?

    Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich bin natürlich ein Stück weit traurig. Aber ich kann sehr gut verstehen, dass in einer Demokratie die Stimmung im Volk eine riesige Rolle spielt. Und ich würde sagen: Drei Viertel der Deutschen sind der Meinung, wir müssen dafür sorgen, dass Energie und Nahrungsmittel und vieles andere wieder günstiger werden. Und sie denken, die Ukraine ist eine Riesen-Tragödie, da müssen wir uns engagieren. Der Klimawandel aber, der ist erst mal ganz weit weg. So ist die Demokratie. Das ist nicht diese Regierung - es ist das Volk. Das will es so. 

    Sie haben mal gesagt, es ist nicht die Politik, sondern es ist das Volk, das den Wandel verhindert. Diese Meinung vertreten Sie, so verstehe ich Sie, nach wie vor?

    Von Weizsäcker: Nach wie vor. Und da muss man sich nicht dafür schämen. Denn eine Demokratie ist viel besser als eine Diktatur.

    Wie bewerten Sie die Klimaschutzbemühungen der Ampel?

    Von Weizsäcker: Im Großen und Ganzen ist das ein Fortschritt, der schon von der rot-grünen Koalition unter Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeleitet wurde. Nur ein Beispiel: Wir haben eine ökologische Steuerreform gemacht. In kleinen Schritten wurden Benzin und Strom teurer. Die Einkünfte wurden in die Senkung der Lohnnebenkosten gesteckt. Später hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet, dass die ökologische Steuerreform rund 300.000 Arbeitsplätze gerettet oder neu geschaffen hat. Es war großartig für Deutschland. Trotzdem hat die Bild geschimpft. 

    Union und FDP werben weiter für die Nutzung der Atomkraft und die gerade abgeschalteten letzten Meiler sollen nicht abgerissen werden. Was sagen Sie?

    Von Weizsäcker: Wenn ich ein unverschämter Terrorist wäre, würde ich eines dieser neuen Mini-Atomkraftwerke sofort klauen und damit die Leute erpressen. Also: Atomkraft ist nicht nur zivile Energiegewinnung, sondern gefährlich. 

    Eine Mehrheit der Bevölkerung ist wieder für längere Laufzeiten der AKWs. Zudem brauchen wir mehr Kohlestrom, um den Ausfall der Kernkraft zu kompensieren. Wäre es in der Gesamtabwägung, im Sinne des Klimaschutzes, nicht besser, die letzten Atomkraftwerke ein paar Jahre länger laufen zu lassen?

    Von Weizsäcker: Ich bin mir absolut sicher, dass - egal was 2023 beschlossen wird - 2040 keine Kohleenergie mehr da ist. Und zwar nicht, weil es keine Kohle mehr im Boden gibt, sondern weil wir aus ökonomischen Gründen beschlossen haben, dass wir diesen Quatsch nicht mehr wollen. Eine Kilowattstunde aus einer Photovoltaik-Anlage in Algerien kostet heute rund einen Cent. Heißt: Die Weltmärkte für Strom werden 2040 von der Solarenergie beherrscht. Aber nicht von Kohleenergie oder Kernkraft. 

    Ist es überhaupt möglich, den Kampf gegen den Klimawandel zu führen, solange Volkswirtschaften, die Industrieländer, immer weiter wachsen müssen?

    Von Weizsäcker: Wachsen war über Jahrhunderte hinweg fast identisch mit Ausräubern der Natur. Wenn man also irgendwo Eisen, Erz, Öl oder Kohle fand, war da Begeisterung. Wir hatten weniger Menschen, wir hatten großen Hunger, wir hatten großen Bedarf nach Metall und Energie. Alles verständlich, ich mache da niemand einem Vorwurf, aber in der heutigen vollen Welt ist das idiotisch. Da geht Fridays for Future zu Recht auf die Straße. Wir müssen einen vernünftigen Kompromiss finden. Ich finde es richtig, dass das deutsche Volk anständige Preise vorfindet für das, was man zum Leben braucht. Gleichzeitig aber müssen wir an künftige Generationen denken. Für die müssen wir die Dekarbonisierung hinkriegen. Dafür ist das Elektroauto wunderbar. Der Staat muss zudem dafür sorgen, dass der öffentliche Verkehr wieder stärker wird. Das ist nur mit dem jetzigen Verkehrsminister nicht zu machen, der scheint das nicht zu wollen. 

    Die rhetorische Linie ist oft die: Im Prinzip können wir unseren Lebensstil beibehalten, wenn wir nur bestimmte Dinge austauschen. Es reicht aber im Verkehrssektor nicht nur vom Verbrenner auf den Stromer zu wechseln. Insgesamt weniger Autos wären schon auch gut. Müssten verantwortliche Politiker das nicht viel deutlicher sagen?

    Von Weizsäcker: Das ist richtig. Ich zum Beispiel lebe in einem Drei-Generationen-Haus. Wir haben sechs Führerscheine aber ein Auto. Ich würde sagen: Das ist nicht Verzicht, sondern Vernunft. In den USA haben sie genauso viele Autos pro Haus wie Führerscheine. Oder noch mehr. 

    Jetzt beschäftigen Sie sich schon so lange mit Klimafragen. Haben Sie noch Geduld?

    Von Weizsäcker: Ach, Geduld muss man immer haben. Das Klima verändert sich in Jahrtausenden. 

    Sind Sie nie an dem Punkt, wo sie ungeduldig werden. Nie geworden?

    Von Weizsäcker: Ich bin manchmal auch ein bisschen ungeduldig. 

    Haben Sie denn Verständnis für die Ungeduld der sogenannte "Letzten Generation"?

    Von Weizsäcker: Also, Fridays For Future finde ich großartig. Ich kenne auch Greta Thunberg persönlich und finde sie wunderbar. Klug, bescheiden, anständig. Diese Leute von der "Letzten Generation", die wollen ja eigentlich nichts anderes als Sichtbarkeit, alles andere ist ihnen egal. Sich auf der Straße mit den Händen festkleben. Was ist da der Zweck? Sichtbarkeit, nichts anderes. Aber die Medien sind ja auch immer auf Sichtbarkeit.

    Klimaschutz geht nur global. Die Welt wird aber kriegerischer. Schaffen wir die Klimaziele?

    Von Weizsäcker: Der wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen hat 2009 einen genialen Vorschlag gemacht, den sogenannten Budget-Ansatz. Die Wissenschaft soll ausrechnen, wie groß ist das Rest-Budget für Kohlendioxid-Ausstöße aus fossilen Quellen global noch ist Und dieses dividiert man durch die Zahl der Menschen auf der Erde. Dann weiß man, was jedem einzelnen noch zusteht. Die alten Industrieländer, einschließlich Deutschland, haben aber einen großen Teil des ihnen zustehenden Budgets schon verbraucht. Die Entwicklungsländer haben aber noch ganz viel. Sie würden uns Lizenzen verkaufen und von Kohle auf den billigen Sonnenstrom umsteigen. Sie würden durch Klimaschutz reicher. Die Wünsche von Fridays for Future und von mir würden erfüllt. 

    Zur Person: Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Physiker und seit Jahrzehnten einer der großen Umweltvordenker. Er saß 1998 bis 2005 für die SPD im Bundestag und war Co-Vorsitzender des Club of Rome. Vergangene Woche hielt er an der Technischen Hochschule Augsburg einen Vortrag zum Thema: "Die Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen ist leider nicht nachhaltig!"

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