Frau Hasselfeldt, Sie haben Anfang des Jahres geklagt, die Politik habe nichts aus der Jahrhundertflut im Ahrtal 2021 gelernt. Dann kam im Sommer das verheerende Hochwasser in Bayern. Hat die Politik denn inzwischen gelernt?
Hasselfeldt: Leider nicht. Wir hören zwar in vielen Reden, wie wichtig der Bevölkerungsschutz ist, aber sobald es um konkrete Maßnahmen geht, herrscht ein großes Schweigen im Wald. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben wir den Bevölkerungsschutz stark zurückgefahren und viele Vorratslager mit Decken, Zelten und Medikamenten aufgelöst. Jetzt zeigen uns die Flutkatastrophen, die Pandemie und die Zunahme der Migrationsbewegungen, dass das ein Fehler war. Der Handlungsbedarf ist nicht geringer, sondern deutlich größer geworden. Im Bevölkerungsschutz brauchen wir genauso eine Zeitenwende wie in der Verteidigungspolitik.
Woran fehlt es konkret? An Personal, an Material oder ganz allgemein am Geld?
Hasselfeldt: Zunächst einmal muss die Politik die Realitäten wahrnehmen. Bevölkerungsschutz ist kein Luxus, sondern eine staatliche Pflicht. Das heißt, er muss finanziell und materiell entsprechend ausgestattet sein. Im Moment sind im Bundeshaushalt dafür nicht einmal 600 Millionen Euro vorgesehen. Tatsächlich brauchen wir etwa 0,5 Prozent des Bundeshaushalts - das wären 2,4 Milliarden Euro im Jahr.
Unter anderem hat der Bund den Hilfsorganisationen mehrere mobile Zeltstädte zugesagt, die bis zu 5000 Menschen im Katastrophenfall Schutz und Obdach bieten könnten. Wie viele sind denn schon einsatzfähig?
Hasselfeldt: Diese Module sollten bis zum Jahr 2027 an zehn Standorten in Deutschland bereitstehen. Bisher sind aber erst eineinhalb dieser Zeltstädte finanziert, zu denen auch eine eigene Stromversorgung und mobile Arztpraxen gehören. Dass diese zehn Einheiten notwendig sind, ist unbestritten. Ihre Finanzierung aber rückt in immer weitere Ferne. Das Gleiche gilt für die Aus- und Weiterbildung von Pflegeunterstützungskräften, die den Hilfsorganisationen in Notfällen zur Seite stehen könnten.
Heißt das, das Rote Kreuz hat nicht mehr genug ehrenamtliche Helfer?
Hasselfeldt: Wir haben in allen unseren Organisationen von der Wasserwacht über die Bergwacht und den Bereitschaften bis zum Jugendrotkreuz mehr als 450.000 ehrenamtlich Tätige. Das ist eine stolze Zahl, aber auch wir haben noch Luft nach oben. Vor allem bei länger andauernden Einsätzen spüren wir, dass wir an Grenzen kommen. Dies liegt vor allem daran, dass es keine bundeseinheitlichen Regelungen zur rechtlichen Gleichstellung von Einsatzkräften der anerkannten Hilfsorganisationen gibt – unsere Helferinnen und Helfer werden also beispielsweise nicht überall für Einsätze oder Aus- und Fortbildungen von ihren Arbeitgebern freigestellt. Wir freuen uns auch deshalb über jede neue Unterstützung und brauchen diese.
Wie sehr ist das Deutsche Rote Kreuz eigentlich in der Ukraine oder im Nahen Osten eingespannt und welche humanitären Tragödien übersehen wir gerne?
Hasselfeldt: Im Fokus der Öffentlichkeit stehen natürlich die bewaffneten Konflikte, die wir täglich in den Nachrichten sehen und in denen wir in der Tat mit unserer humanitären Hilfe sehr präsent sind: die Ukraine und der Nahe Osten. Wir sind allerdings nicht nur dort aktiv, sondern in etwa 50 Ländern weltweit, wo es häufig sogenannte vergessene Krisen gibt: so auch im Sudan, wo die Menschen sich in einer unbeschreiblich katastrophalen Notlage befinden. Welche Dimensionen gerade bewaffnete Konflikte angenommen haben, zeigen zwei Zahlen: Um die Jahrtausendwende haben wir etwa 20 solcher Konflikte weltweit gezählt, heute sind es 120.
Angeblich sind im vergangenen Jahr so viele Helfer ums Leben gekommen wie noch nie. Stimmt das denn?
Hasselfeldt: Ja. Die Sicherheit unserer Helfer wird zu einer immer größer werdenden Herausforderung - und ihr Zugang zu den Hilfsbedürftigen übrigens auch. In diesem Jahr sind bereits mehr als 280 humanitäre Helferinnen und Helfer – überwiegend lokale - im Einsatz ums Leben gekommen, darunter leider auch viele Kolleginnen und Kollegen unserer Schwestergesellschaften. Anders als internationale Helfer sagen sie nicht, wir gehen da raus, weil es uns zu gefährlich wird. Im Gegenteil: Sie bleiben, weil sie vor Ort verankert sind und in den Krisengebieten leben.
Ein anderes Thema. Nach einer Zeitenwende ruft auch die Pflege. Müssen auch die Heime und Kliniken des Roten Kreuzes Pflegebedürftigen absagen oder Stationen schließen, weil das Personal knapp ist?
Hasselfeldt: Ja, teilweise müssen wir sogar ganze Häuser schließen. In der Pflege tickt eine Zeitbombe, die man nur entschärfen kann, wenn man beherzt gegensteuert. Wir haben vor allem zwei Probleme: Das eine ist der Arbeitskräftemangel, das zweite die Unterfinanzierung der Pflege - mit dem Ergebnis, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen gerade im stationären Bereich immer weiter steigen. Im Moment liegen wir bundesweit bei einem durchschnittlichen Eigenanteil von rund 3000 Euro monatlich. Mit kosmetischen Operationen ist es da nicht getan. Wir brauchen eine große Reform, wenn nicht immer weniger Pflegekräfte für immer mehr Pflegebedürftige zuständig sein sollen.
Für viele ist die Pflege kaum noch bezahlbar. Brauchen wir womöglich eine Vollversicherung anstelle des gegenwärtigen Teilkasko-Modells?
Hasselfeldt: Heute ist es so, dass alle zusätzlichen Kosten von den Tariferhöhungen bis zu den steigenden Energiekosten von den Pflegebedürftigen finanziert werden müssen. Wir schlagen daher einen so genannten Sockel-Spitzen-Tausch vor.
…das klingt kompliziert.
Hasselfeldt: … ist es aber nicht. Im Moment überweist die Pflegeversicherung je nach Pflegebedürftigkeit einen bestimmten Satz. Was darüber hinaus geht, bezahlen der Pflegebedürftige, seine Angehörigen oder das Sozialamt. Unser Ansatz ist ein umgekehrter: Danach würde der Pflegebedürftige jeden Monat einen fixen Betrag bezahlen, der politisch festgelegt werden müsste. Was darüber hinaus geht, müsste die Pflegekasse und der Staat übernehmen. So würde Pflege für alle Betroffenen kalkulierbar. Eine Vollversicherung, fürchte ich, ist nicht finanzierbar.
Heute zahlen die Bewohner eines Heimes über eine spezielle Umlage sogar dessen Investitionskosten mit. Wäre das nicht Aufgabe der Träger oder der Pflegekassen?
Hasselfeldt: Die Länder sind gesetzlich verpflichtet, Investitionen in den Heimen zu bezuschussen. Die entsprechende Regelung aber ist so schwammig formuliert, dass einige Bundesländer kaum etwas bezahlen. Wir schlagen vor, dass die Länder verpflichtend einen festen Betrag für jeden Pflegebedürftigen für Investitionen in den Heimen beisteuern. Außerdem sollten die Krankenkassen die Finanzierung der medizinischen Behandlung in den Pflegeeinrichtungen übernehmen - bisher ist das Sache der Pflegeversicherung. Zudem kann weiter entlastet werden, wenn die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige als „systemfremde Ausgaben“ nicht mehr von der Pflegeversicherung übernommen werden müssen.
Das Materielle ist das eine - aber warum ist der Beruf der Pflegerin oder des Pflegers so unattraktiv? Liegt es nur an der schlechten Bezahlung?
Hasselfeldt: Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, was uns die Pflege wert ist. Die Bezahlung ist nicht mehr das größte Problem, hier hat sich in den vergangenen Jahren vieles verbessert. Wichtiger wäre, dass wir das Pflegepersonal im Alltag entlasten - zum Beispiel bei den Dokumentationspflichten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir reden immer nur über die tatsächlich bestehenden Belastungen, denen Pflegekräfte ausgesetzt sind, und viel zu wenig über die schönen Seiten dieses Berufes - ein Beruf, der mit Menschen zu tun hat und bei dem man viel an Dankbarkeit und Zuwendung zurückbekommt.
Zur Person
Gerda Hasselfeldt war unter Helmut Kohl Bau- und Gesundheitsministerin, später Vizepräsidentin des Bundestages und Vorsitzende der CSU-Landesgruppe. Seit 2017 ist die 74-jährige Niederbayerin Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes. Außerdem sitzt sie dem ZDF-Fernsehrat vor.
Für ihre Position sind die Forderungen von Frau Hasselfeld sind nachvollziehbar. Aber warum muss das deutsche Rote Kreuz bei Kriesenherden in aller Welt dabei sein? Außerdem - Frau Hasselfeld war auch in führenden Positionen bei der regierenden Partei die für die kaputt gesparte Infrastruktur verantwortlich ist. Warum werden Politiker immer erst im Ruhestand weise?
Weil vorher immer andere, vorrangig monetäre, Interessen "bedient" werden müssen?
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