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Israels Botschafter Ron Prosor im Interview

Interview

Israels Botschafter über Antisemitismus: „Diese Ideologie ist tödlich“

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    Hat deutsche Vorfahren: Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, bei seinem Besuch in Ichenhausen.
    Hat deutsche Vorfahren: Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, bei seinem Besuch in Ichenhausen. Foto: Alexander Kaya

    Herr Botschafter, wir sitzen hier in der ehemaligen Synagoge in Ichenhausen, einer Stadt, die bis 1943 die größte jüdische Gemeinde Schwabens beheimatet hat. Wie erleben Sie diesen Ort?

    Prosor: Als Erstes bin ich mit meinem Freund Rafael Seligmann zum Friedhof gegangen. Dort habe ich gesehen, was das einst für eine große Gemeinde war. Viel wichtiger aber ist mir, dass die Juden, die heute in Deutschland leben, das sicher und ohne Angst tun können. Es ist doch nicht normal, dass Synagogen oder jüdische Schulen bis heute von der Polizei geschützt werden müssen. Diese Abnormalität dürfen wir nicht als Normalität abtun.

    Auch ihr Besuch in Ichenhausen wird von Dutzenden von Polizisten gesichert. Können Sie überhaupt noch ohne Personenschutz aus dem Haus gehen?

    Prosor: Nein. Ich kann meine Nase nicht aus der Botschaft oder der Residenz stecken, ohne dass mich Personenschützer begleiten. Aber auch für Juden ohne Personenschutz hat sich der Alltag verändert: Sie können in jüdischer Kleidung oder mit einer Kippa auf dem Kopf nicht sorglos in eine Berliner U-Bahn steigen, sie sprechen aus Vorsicht nicht Hebräisch in ihr Handy und sie sind, wenn sie an deutschen Universitäten studieren, auch dort nicht vor Übergriffen sicher. Das ist tragisch, sind Universitäten doch die Orte des offenen Austauschs und des Wissens!

    An diesem Donnerstag hat der Bundestag eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet. Mal ehrlich: Was nutzt eine solche Erklärung? Nur weil die Politik sich demonstrativ an die Seite der Juden stellt, verschwindet der Antisemitismus ja nicht.

    Prosor: Es ist gut, dass die Resolution mit einer breiten Mehrheit angenommen wurde. Das stärkt den Juden und Israelis in Deutschland den Rücken. Ein wichtiger erster Schritt ist getan! Jetzt kommt es aber auch darauf an, die Resolution mit Leben zu füllen. Sie legt die Grundlage für ein rechtlich verbindliches Regelwerk. Natürlich regen sich Antisemiten jetzt am lautesten auf - die Resolution wird ihnen schließlich den Weg zu Steuergeld versperren. So soll es sein!

    Sie haben selbst deutsche Vorfahren. Und ausgerechnet in Deutschland ist der Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 wieder deutlich sichtbarer und aggressiver geworden. Steckt er mehr in uns als wir es wahrhaben wollen? Oder ist es der über Migration importierte Judenhass das größere Problem?

    Prosor: Das kann man kaum voneinander trennen. Wir erleben Antisemitismus von rechts, aus dem arabisch geprägten Milieu und nicht zuletzt auch von links. Denken Sie an die Documenta in Kassel, ein Paradebeispiel: Da wurden Bilder von einem Juden mit einer Hakennase über einem Beutel Geld gezeigt und ein Schwein mit einem Davidstern – und dann muss man erst einmal sechs Professoren aussuchen, die drei Monate brauchen, um festzustellen, dass diese Kunst antisemitisch ist. Die Kuratoren aber werden nicht bestraft, sondern sogar noch belohnt, indem sie Stipendien in Deutschland erhalten. Da ich ein großer Fußballfan bin, versuche ich es einmal mit einem Vergleich aus dem Sport: Die meisten Fouls im Fußball werden im Mittelfeld begangen, die wenigsten im eigenen Strafraum. Die Documenta aber war ein Foul im 16-Meter-Raum. Dennoch wurde es weder mit einem Elfmeter noch mit einer roten Karte geahndet.

    Das heißt, Politik und Gesellschaft bekämpfen den Antisemitismus nicht entschieden genug?

    Prosor: Dass der Antisemitismus wieder so offen und so stark ausgebrochen ist, macht mir große Sorgen. Diese Ideologie ist tödlich. Wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt, dass wir die Ideologie der Hamas unterschätzt haben. Wenn in Deutschland jetzt Menschen auf die Straße gehen, die nach der Scharia rufen oder für ein Kalifat demonstrieren, kann ich nur mahnen: Unterschätzen Sie das nicht! Diese Leute meinen es ernst.

    Angela Merkel hat Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson erklärt. Was folgt denn aus diesem Satz? Bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen, die Israel verurteilen, enthält Deutschland sich häufig, und auch bei den Waffenlieferungen hat es sich zuletzt eher zögerlich verhalten.

    Prosor: Nach den USA ist Deutschland unser wichtigster strategischer Partner. Sich zu enthalten ist aber keine Haltung. Ich kenne die Vereinten Nationen sehr gut, da ich fünf Jahre Botschafter dort war. In dieser Organisation wird Israel ständig dämonisiert und delegitimiert.  Das ist wie im Hochsprung: da liegt die Latte für einen neuen Weltrekord irgendwo bei 2,40 Meter. Für Israel aber wird die Latte auf 2,50 Meter gelegt. Es gibt also einen Maßstab für demokratische und diktatorische Staaten – und einen eigenen Maßstab für Israel, den es nie erreichen kann. So entstehen diese Resolutionen. Die Vereinten Nationen sind eine zutiefst antiisraelische Organisation. Deutsche Staatsräson heißt für mich, dass wir nicht nur politisch und militärisch eng zusammenarbeiten, sondern dass Deutschland uns auch stärker als bisher auf dem Schlachtfeld der internationalen Gremien unterstützt.

    Deutschland finanziert auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser mit, die UNRWA. Israel hat ihr inzwischen ein Betätigungsverbot auf seinem Boden erteilt. Wie eng sind die Verstrickungen zwischen dem Hilfswerk und der Hamas?

    Prosor: Dieses Hilfswerk wurde 1949 für 700.000 palästinensische Flüchtlinge gegründet. Im gleichen Jahr haben die Vereinten Nationen auch ein Hilfswerk für zwei Millionen koreanische Flüchtlinge gegründet. Die waren innerhalb von nur vier Jahren in Südkorea integriert. Mit den Palästinensern ist das nie gelungen, daher existiert das Hilfswerk bis heute. Wir haben 2135 Namen von Mitarbeitern der UNRWA, die auch auf der Gehaltsliste der Hamas stehen. Dieses Hilfswerk ist Teil einer Terrororganisation geworden. Es ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Und es wird auch nicht mehr gebraucht.

    Dass die Menschen in Gaza humanitäre Hilfe benötigen, ist ja unbestritten. Wie soll diese ohne die UNRWA aussehen?

    Prosor: Es gibt das Welternährungsprogramm, die Weltgesundheitsorganisation und jede Menge andere internationaler Organisationen, die hier helfen können und es teilweise bereits tun. Das Welternährungsprogramm bringt etwa 50 Prozent der humanitären Hilfe nach Gaza- UNRWA nur etwa 13 Prozent. Aber noch ein Wort zur UNRWA, die über ihre Schulen auch großen Einfluss auf die Kinder der Palästinenser hat. In den Büchern des Hilfswerks für die 5. Klasse zum Beispiel wird eine Frau namens Dalal Muhgrabi als Vorbild beschrieben. Wer ist diese Dame? Eine palästinensische Terroristin, die 35 Israelis ermordet hat, darunter fünf Kinder! Marie Curie, Albert Einstein oder Beethoven finden Sie in diesen Büchern nicht. Dafür aber Dalal Muhgrabi.

    Wenn schon die nächste und die übernächste Generation so infiltriert werden: Wie sollen Israelis und Palästinenser dann je friedlich nebeneinander leben?

    Prosor: Wir werden dazu viel Zeit benötigen. Am 7. Oktober hat die Hamas einen Rubikon überschritten. Nun liegt es in der Verantwortung der Palästinenser, uns zu zeigen, dass sie auch anders können. Das beginnt nicht zuletzt bei der Erziehung ihrer Kinder. Ich vergleiche das mit Deutschland nach dem Krieg. Die Entnazifizierung hat damals Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedauert. Vor einem ähnlichen Prozess stehen die Palästinenser nun auch. Dazu aber muss als erstes die Hamas verschwinden.

    Trotzdem: Verspielt Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, nicht viele Sympathien, wenn es so hart in Gaza vorgeht? Immerhin gibt es zehntausende Tote…

    Prosor: Sie stellen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Was aber ist verhältnismäßig? Die Hamas hat Israel nicht einfach nur angegriffen, sie hat Frauen bestialisch vergewaltigt, Menschen die Köpfe abgehackt und Hunderte Geiseln genommen. Und sie hat diese Massaker auch noch gefeiert. Ja, es herrscht großes Leid in Gaza, Israel aber wird nie gezielt Zivilisten angreifen. Würden wir keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen, hätten wir die Hamas in einer Woche besiegt. Sie aber missbraucht die eigene Bevölkerung als menschlichen Schutzschild, in Schulen, in Krankenhäusern, in Moscheen. Und vergessen Sie nicht, dass Tausende von Palästinensern auch begeistert mitmachen. Fast 80 Prozent der Menschen in Gaza und der Westbank heißen die Angriffe vom 7. Oktober gut.

    Israels Botschafter Ron Prosor  im Gespräch mit unseren Redakteuren Peter Müller (links) und Rudi Wais (rechts)
    Israels Botschafter Ron Prosor im Gespräch mit unseren Redakteuren Peter Müller (links) und Rudi Wais (rechts) Foto: Alexander Kaya

    Israel aber ist auch nicht damit gedient, wenn sich weite Teile der Staatengemeinschaft von ihm abwenden. Wie kommen Sie aus diesem Dilemma heraus?

    Prosor: Ich verstehe die Frage, aber haben wir wirklich eine Wahl? Nein, haben wir nicht. Dieser Krieg wurde uns aufgezwungen und unsere erste Priorität ist es, am Leben zu bleiben. Unsere Feinde haben immer davon geträumt, Israel auslöschen zu können. Am 7. Oktober haben sie gesehen, dass dieser Traum vielleicht Realität werden kann, wenn sie einen Kreis des Feuers um uns legen. Israel wirkte wie ein verwundetes Tier im Dschungel auf sie, das blutet und über das man jetzt herfallen kann.

    Hinter dem Terror gegen Israel steckt nicht zuletzt der Iran. Wird Israel ihn noch ähnlich zur Rechenschaft ziehen wie jetzt Hisbollah und Hamas?

    Prosor: Wir haben nichts gegen das iranische Volk, wir haben nur etwas gegen die Mullahs und die Ajatollahs dort. Sie haben klipp und klar gesagt: Wir wollen Israel vernichten, und sei es mit nuklearen Waffen. Sie sagen es, sie schreiben es und sie sind auch bereit, einen Preis dafür zu bezahlen.

    So oder so wird sich die Tektonik der Macht im Nahen Osten verändern. Wie könnte ein neues, friedlicheres Nebeneinander aussehen und wo sieht Israel sich in diesem Prozess?

    Prosor: Ich sehe durchaus ermutigende Zeichen. Im Libanon zum Beispiel, den die Hisbollah lange im Würgegriff gehalten hat, bietet sich jetzt die Chance, einen unabhängigen Präsidenten zu wählen. Wenn die vom Iran angeführte Achse des Bösen geschwächt ist, öffnen sich auch für Staaten wie Saudi-Arabien oder die Emirate neue Möglichkeiten der Einflussnahme. Das kann den Nahen Osten nachhaltig verändern, aber wir können das nicht alleine leisten und im Moment schon gar nicht, weil wir an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen.

    Vor allem in Europa wird sie immer wieder neu beschworen: Aber hat Israel selbst sich nicht längst von der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet?

    Prosor: Jeder Politiker in Deutschland sagt wie ein Papagei: Zwei-Staaten-Lösung. Zwei-Staaten-Lösung. Zwei-Staaten-Lösung. Was aber ist damit gemeint? Ein jüdisch-demokratischer Staat neben einem palästinensisch-demokratischen Staat? Oder einfach zwei Staaten für zwei Völker? Versuchen Sie einmal, einem Palästinenser diese Fragen zu stellen. Da werden Sie keine vernünftige Antwort bekommen. Was Israel sicher nicht zulassen wird: Einen palästinensischen Terrorstaat als Nachbarn. Deshalb brauchen wir Länder wie Jordanien, Ägypten oder Saudi-Arabien, die vermitteln und Einfluss auf die Palästinenser nehmen. Ich persönlich schreibe die Zwei-Staaten-Lösung nicht ab. Aber es muss eine demokratische sein.

    In den Vereinigten Staaten, ihrem wichtigsten Verbündeten, hat Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen. Was heißt das für die künftige Zusammenarbeit?

    Prosor: Die Vereinigten Staaten sind unser wichtigster strategischer Partner und Verbündeter. Uns verbindet mit beiden Parteien eine tiefe und enge Freundschaft - das wird auch so bleiben. Wir hoffen, dass der Kampf gegen den Terror der Hisbollah und der Hamas die iranische Achse des Bösen schwächt. Wir hoffen auch, dass sich neue Möglichkeiten ergeben, mit der sunnitischen Welt eine neue geopolitische Struktur im Nahen Osten zu schaffen. Die Abraham Accords weisen den Weg!

    Als Sie als Botschafter nach Deutschland gekommen sind, haben Sie sich vorgenommen, den Jugendaustausch zwischen Israel und Deutschland auszubauen. Müssen Sie jetzt nicht wieder bei Null beginnen? Keine Familie schickt ihre Kinder in ein Land, das ständig von Raketen beschossen wird.

    Prosor: Nicht komplett bei Null, aber natürlich liegt gerade vieles auf Eis. Andererseits: wenn junge Menschen in ein anderes Land kommen, in Familien dort leben, mit Gleichaltrigen Fußball spielen oder in eine Tanzgruppe gehen, dann schafft das Verbindungen, die ein Leben lang halten. Im nächsten Jahr feiern wir 60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Zu diesem Jubiläum würde ich gerne mit 60 Jugendlichen auDeutschland nach Israel fahren. Ich bin mir sicher: wer einmal in Israel war, der kehrt immer wieder zurück.

    Zur Person

    Ron Prosor ist seit gut zwei Jahren Israels Botschafter in Berlin. Der 66-Jährige hat deutsche Vorfahren, er war Offizier in der Armee, studierte später Politik und war als junger Diplomat schon einmal in Deutschland: In der Wendezeit knüpfte er als einer der ersten israelischen Repräsentanten Kontakte zur DDR.

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