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Interview: "Die Ideologie der Reichsbürger ist eine Spielart des Rechtsextremismus"

Interview

"Die Ideologie der Reichsbürger ist eine Spielart des Rechtsextremismus"

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    Adel verpflichtet? Fragt sich nur wozu. SEK-Beamte der Polizei eskortieren den Hauptangeklagten Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Beginn des Prozesses  gegen die mutmaßlich terroristische Reichsbürger-Gruppe.
    Adel verpflichtet? Fragt sich nur wozu. SEK-Beamte der Polizei eskortieren den Hauptangeklagten Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Beginn des Prozesses gegen die mutmaßlich terroristische Reichsbürger-Gruppe. Foto: Boris Roessler, dpa

    Medien haben sich über Prinz Heinrich XIII. und seine Mitverschwörer nach den Verhaftungen im Dezember 2022 fast schon lustig gemacht. Was haben Sie gedacht, als die Zusammensetzung der Gruppe öffentlich wurde?
    KATHARINA NOCUN: Das war nicht die erste Gruppe aus dem verschwörungsideologischen Milieu mit konkreten Terrorplänen, ich denke nur an das Mordkomplott gegen Gesundheitsminister Lauterbach. Es ist leider üblich, dass Gruppierung oder Akteure aus dem Reichsbürger-Umfeld in der Öffentlichkeit erst einmal fast verniedlicht und nicht ernst genommen werden. Ich halte für sicher, dass der Gruppe um Prinz Reuß ein Staatsstreich nicht gelingen konnte. Doch bei dem Versuch hätten Menschen ums Leben kommen können – ich finde, das wird oft vernachlässigt.

    Sie beobachten das Phänomen Reichsbürger schon lange. Wie informieren Sie sich über diese doch recht abgeschlossene Gruppe?
    NOCUN: Zum einen gibt es auf dem Massenger-Dienst Telegram Gruppen, in denen Narrative der Reichsbürger verbreitet werden. Auch auf Homepages von Influencern geschieht dies. Eine ganz große Rolle spielt der investigative Journalismus mit Recherchen vor Ort in diesem Milieu. Und es gibt wissenschaftliche Arbeiten, in denen die unterschiedlichen Strömungen der Reichsbürger-Bewegung analysiert werden.

    Katharina Nocun, Expertin für Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus.
    Katharina Nocun, Expertin für Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus. Foto: Gordon Welters

    Wurden Sie selbst schon bedroht?
    NOCUN: Ich bekomme seit Jahren Drohungen mit Gewalt, auch Morddrohungen. Begonnen hat das 2016, als ich auf meinem Blog angefangen habe, intensiver über die AfD zu schreiben. Auch während der Corona-Pandemie gab es Mails mit sehr hässlichen Anhängen, als Reaktion auf die Bücher über Verschwörungsideologien, die ich mit meiner Co-Autorin Pia Lamberty publiziert habe. Als Autorinnen wurden wir zu Feindbildern. Das ist nicht schön, das ändert natürlich das tägliche Leben. Ich bin auch schon auf der Straße angepöbelt worden. Man wird sehr viel vorsichtiger.

    Hat es Sie überrascht, wie konkret die terroristischen Pläne für einen Umsturz ausgearbeitet waren?
    NOCUN: Überraschung ist vielleicht das falsche Wort. Denn man muss ja wissen, dass insbesondere diese Gruppe Verbindungen zu staatlichen Strukturen hatte. Da gab es eine ehemalige Bundestagsabgeordnete, die laut Anklage Akteuren Zugang zu Räumlichkeiten im Bundestag verschafft hat. Es gab Leute mit militärischer Erfahrung bei der Bundeswehr. Ich halte auch die Zahl des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass 23.000 Frauen und Männer in Deutschland dem Reichsbürger-Milieu zuzuordnen sind, für extrem tiefgegriffen. Schon bei Telegram-Influencern, die Narrative der Reichsbürger verbreiten, lesen Hunderttausende mit.

    Glauben Sie, dass die große Aufmerksamkeit, die dem Mammutprozess gegen die Gruppe um Prinz Reuß an drei Standorten zuteil wird, den Reichsbürgern schaden oder zugutekommen wird?
    NOCUN: Das hängt vor allem davon ab, wie wir als Gesellschaft damit umgehen, wie aber auch die Medienlandschaft damit umgeht. Einzelne Akteure aus dieser Gruppierung werden wahrscheinlich versuchen, den Gerichtssaal als Bühne zu nutzen, um Verschwörungsideologien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und sich als Märtyrer zu stilisieren. Dann wird es darum gehen, wie darüber berichtet wird. Diesen Leuten darf kein unkritisches Forum geboten werden, weil es dafür Interesse und Klicks gibt. Schließlich sind das alles andere als Freiheitskämpfer, sondern Angeklagte unter Terrorverdacht. Der Prozess muss angemessen eingeordnet werden, auch ideologisch.

    Viele Überzeugungen von Mitgliedern der Gruppe klingen paranoid. Da geht es um gefangen gehaltene Kinder, denen für ein Elixier gegen das Altern Blut abgezapft wird, und ähnlich wirre Theorien. Wie kann man daran ernsthaft glauben?
    NOCUN: Da geht es tatsächlich um in Kellern gefangen gehaltene Kinder, die Unterstützung einer ominösen Allianz, die der Gruppe um den Grafen Reuß von außen zu Hilfe kommen sollte oder um Unterstützung durch Russland. Das ist natürlich Teil einer Fantasiewelt. Aber viele Attentäter, wie zum Beispiel der norwegische Rechtsterrorist und Massenmörder Anders Breivik, haben an wirklich absonderliche Dinge geglaubt.

    Wie eng sind nach Ihren Erkenntnissen die Querverbindungen von Reichsbürgern zu der rechtsextremen Szene oder der AfD?
    NOCUN: Die Ideologie der Reichsbürger ist eine Spielart des Rechtsextremismus – Antisemitismus hat dabei schon immer eine ziemlich große Rolle gespielt. Aus meiner Sicht grenzt sich die AfD nicht glaubwürdig in Gänze von Akteuren der extrem Rechten ab – darunter auch die Reichsbürger, die Gewalt als eine Option ansehen, um an die Macht zu gelangen. Gerade einige prominente Politiker der AfD spielen ein doppeltes Spiel Sie stellen sich als gutbürgerlich und dem Gesetz verpflichtet dar. Gleichzeitig versuchen sie, ihr Wählerpotenzial am extrem rechten Rand auszuweiten und nutzen immer wieder gängige Narrative der Szene.

    Was macht Reichsbürger für einen so kleinen wie radikalen Teil der Bevölkerung attraktiv?
    NOCUN: Für manche Menschen ist an der Reichsbürger-Ideologie attraktiv, dass sie ihnen erlaubt, sich unabhängig zu erklären vom Staat, der als etwas Bösartiges wahrgenommen wird. Die Reichsbürger sagen nun, dieser Staat hat gar keine Legitimität, dementsprechend auch keine Macht über dich. Du brauchst also keine Führerscheinprüfung mehr zu bestehen, wenn du Autofahren willst. Viele Reichsbürger weigern sich, Steuern zu bezahlen, sie vernichten ihre Personalausweise, schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Früher oder später platzt dieser Traum – spätestens, wenn der Gerichtsvollzieher oder auch die Polizei vor der Tür steht.

    Das kann mitunter zu kaum kontrollierbaren Situationen führen.
    NOCUN: Der Mord an einem Polizisten durch einen Reichsbürger im mittelfränkischen Georgensgmünd im Jahr 2016 zeigt das große Gefahrenpotenzial durch solche Leute. In einigen Bundesländern gibt es bereits Vorgaben für Mitarbeiter von Steuer- oder Meldebehörden, wie sie sich gegenüber Reichsbürgern verhalten sollen.

    Zeigen die Verhaftungen nicht, dass die Sicherheitsbehörden auf diese Bedrohung gut vorbereitet sind?
    NOCUN: Mir macht große Sorgen, dass es bei den Reichsbürgern wie auch bei anderen rechtsextremen Gruppen, Leute gibt, die bei der Bundeswehr oder der Polizei tätig sind oder waren. Da geht es dann auch um den Zugang zu Waffen. Aber nicht nur. Es gab beispielsweise Fälle, bei denen Experten davon ausgehen, dass aus Polizeibehörden Meldedaten von Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren, an rechtsextreme Gruppierungen weitergegeben wurden. Da frage ich mich, ob die Möglichkeiten ausreichend sind, solche Leute mit rassistischen Überzeugungen bei Bundeswehr oder Polizei zu enttarnen und schnell aus dem Verkehr zu ziehen. Noch besser wäre, sie könnten schon vor der Einstellung ausgesiebt werden – wobei einige sich wahrscheinlich erst danach radikalisiert haben.

    Wie kann man dazu beitragen, dass Gruppen wie die Reichsbürger an Zuspruch verlieren?
    NOCUN: Mich hat irritiert, wie zögerlich die Öffentlichkeit auf den Teil der Corona-Proteste reagiert hat, die klar verschwörungsideologisch motiviert waren. Mit einem Sprecher, Michael Ballweg, der Kontakte zur Reichsbürgerbewegung hatte und deren Chiffren übernommen hat. Wünschen würde ich mir, dass wir alle ein offenes Auge und ein offenes Ohr haben und vor allem auch Courage, wenn Verschwörungsmythen in unserem persönlichen Umfeld auftauchen. Anders als bei der Party auf Sylt, bei der einige Leute rassistische Parolen gegrölt haben – die Mehrheit der anderen Gäste, die da nicht mitmachte, aber völlig passiv blieb.

    Zur Person

    Katharina Nocun, Autorin und Politikwissenschaftlerin, wurde 1986 in der schlesischen Stadt Tychy geboren. Nach ihrer Zeit als politische Geschäftsführerin der Piratenpartei wurde sie einer breiteren Öffentlichkeit als Expertin für die Gefahren durch Verschwörungstheorien, Esoterik und Rechtsextremismus bekannt. Zusammen mit Pia Lamberty veröffentlichte sie unter anderem das viel beachtete Buch "Fake Facts".

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