Frau Brantner, Sie möchten Mitte November zusammen mit Ihrem jungen Duisburger Bundestagskollegen Felix Banaszak die Nachfolge von Ricarda Lang und Omid Nouripour als Grünen-Bundesvorsitzende antreten. Was wollen Sie anders, vielleicht sogar besser machen als Ihre Vorgänger?
FRANZISKA BRANTNER: Felix Banaszak und ich kandidieren zusammen mit einem eigenen Angebot für die Partei. Wir wollen nach den Rücktritten von Ricarda Lang und Omid Nouripour Verantwortung übernehmen, um mit den Bündnisgrünen wieder nach oben zu kämpfen. Wir sind die Partei der Menschen, die vorangehen wollen, die nicht bereit sind, den Kopf in den Sand zu stecken, und wissen, dass gestern nicht besser war, als was wir morgen schaffen können. Es gibt weiterhin viel zu tun – bei der Energiewende, bei der Digitalisierung, bei der Reform unseres Staates. Wir sind die Partei, die für Anpacken und Probleme nachhaltig und gerecht zu lösen steht. Das ist mein Anspruch.
Woran liegt es, dass die Grünen so massiv in der Wählergunst abgeschmiert sind – bei der Europawahl dieses Jahr genauso wie bei den Landtagswahlen im Osten.
BRANTNER: Das waren schlechte Ergebnisse für uns. Wir müssen uns fragen, wie wir auch diejenigen, die angefangen haben, an uns zu zweifeln, von uns überzeugen können. Ich bin überzeugt, dass ein Teil der Gesellschaft sich danach sehnt, der Polarisierung, der Zersplitterung der Gesellschaft entgegenzutreten.
Welche Fehler haben die Grünen da zuletzt gemacht?
BRANTNER: Es gibt nicht die eine Sache, aber wir haben zu wenig deutlich gemacht, wofür wir Bündnisgrüne stehen. Im Europawahlkampf haben wir den Fokus darauf gelegt, dass wir die Partei sind, die gegen die AfD und die antidemokratischen Kräfte steht. Das ist wichtig. Aber wir müssen auch unsere eigene Agenda einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft deutlicher machen.
Viele klagen, die Grünen seien nicht nah genug bei den Leuten, die Sprache sei zu abgehoben.
BRANTNER: Ich bin direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für ganz Heidelberg und meine Region und schon immer gerne mit den Menschen zusammen. Wenn ich mich mit Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis unterhalte, sagen sie genau, wo der Schuh drückt, dass die Mieten nicht mehr leistbar sind oder das Internet nicht schnell genug ist. Ich bin in die Politik gegangen, um die Dinge besser zu machen und Probleme zu lösen.
Braucht es einen grünen Kanzlerkandidaten? Bei zehn, zwölf Prozent Zustimmung ist eine Nominierung anders als noch vor vier Jahren nicht sehr glaubwürdig
BRANTNER: Das werden wir in den zuständigen Gremien zum richtigen Zeitpunkt entscheiden.
Wollen Sie eigentlich wieder in die Regierung? Opposition wäre vermutlich bequemer. Und der CSU-Vorsitzende Markus Söder wäre auch zufrieden.
BRANTNER: Wie gesagt, ich mache seit jeher Politik, um Dinge ganz konkret zu verbessern. Natürlich treten wir an, um in Regierungsverantwortung dieses Land gemeinsam mit den Menschen voranzubringen.
Ein Dilemma für die Grünen, das hat die Debatte beim jüngsten Landesparteitag in Bayern gezeigt, ist die Migrationspolitik. Auf der einen Seite bekommen sie Druck auch von grünen Kommunalpolitikern, von den Regierenden in Bund und Land, Zuwanderung zu begrenzen. Auf der anderen Seite fordern viele an der Basis mehr Menschlichkeit und weniger Restriktion im Umgang mit Geflüchteten.
BRANTNER: Kommunalpolitiker sind Basis. Unsere Aufgabe ist es, beides zusammenzubringen. Unsere Kommunalos wissen, wo die Schwierigkeiten vor Ort sind, dass beispielsweise Kita-Plätze und Wohnungen fehlen. Gleichzeitig sind wir die Partei, die sagt, Deutschland ist gerade auch stark, weil wir weltoffen sind, weil viele Menschen aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und sich hier einbringen und ihren Beitrag leisten. Ich weiß, dass unser Auftrag das „Sowohl-als-auch“ ist, und in keinem Fall werde ich einfach in die eine oder andere Richtung kippen.
Beim Klimaschutz ist es ähnlich: Die Einen halten schon die jetzigen Beschlüsse der Bundesregierung in der Energiepolitik für übergriffig. Die anderen, vor allem viele Junge, verlieren Sie, weil es ihnen beim Klimaschutz nicht konsequent genug vorangeht.
BRANTNER: Es geht nicht um mehr oder weniger Klimaschutz, dann hätten wir Bündnisgrüne schon verloren. Es geht um besseren Klimaschutz. Um Klimaschutz, der für die Menschen im Hier und Jetzt Verbesserungen bringt und so ermöglicht, dass wir auch künftig gut auf der Erde leben können. Klimaschutz geht nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und mit der innovativen Kraft der Wissenschaft und Wirtschaft. Wenn ich sehe, was in den USA oder in China an neuen klimafreundlichen Technologien vorangetrieben wird, müssen wir aufpassen, dass wir den Anschluss nicht verlieren.
Trotzdem: Bei Wahlen haben Sie zuletzt die Jungen verloren, denen das alles nicht schnell genug vorangeht.
BRANTNER: Es liegt an uns, die Klimaschutzpolitik so auszugestalten, dass wir unseren Wohlstand sichern, es sozial gerecht ist und dass sich alle daran beteiligen können. Letztlich ist das auch der schnellste und sicherste Weg, um voranzukommen.
Zur Person Franziska Brantner, 45, ist promovierte Politikwissenschaftlerin war vier Jahre lang Europaabgeordnete, ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie gilt als enge Vertraute von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und ist seit 2021 dessen parlamentarische Staatssekretärin. Die gebürtige Lörracherin zählt zum Realo-Flügel und hat mit dem Tübinger Bürgermeister Boris Palmer eine gemeinsame Tochter..
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