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Interview: Der frühere Stanford-Präsident sagt: "Wir sind ein sehr robustes Land"

Interview

Der frühere Stanford-Präsident sagt: "Wir sind ein sehr robustes Land"

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    Amerikanische Flaggen auf der National Mall vor dem Kapitol: Am Mittwoch wird Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Trump ist weg.
    Amerikanische Flaggen auf der National Mall vor dem Kapitol: Am Mittwoch wird Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Trump ist weg. Foto: Alex Brandon, AP, dpa

    Am Mittwoch um 12 Uhr mittags endet Trumps Amtszeit. Washington gleicht inzwischen einer Festung. Vor der US-Wahl haben Sie voll Sorge vor dem Kommenden gesagt, Sie würden noch Monate danach vermutlich schlecht schlafen. Wird es nun besser?

    Prof. Gerhard Casper: Sehr viel besser. Ich glaube, Joe Biden wird das Land wieder zusammenbringen. Zumindest einigermaßen. Er wird die vielen Probleme, die Trump geschaffen hat – zum Teil – lösen können. Das Problem der amerikanischen Präsidentschaft ist, dass die Verfassung sich sehr auf eine Person konzentriert. Die Arbeit kann aber natürlich nicht von einer Person gemacht werden. Ich habe daher die Regierungsbildung genau verfolgt. Biden hat ein exzellentes Kabinett zusammengestellt und sich vorzügliche Berater geholt.

    Gerhard Casper ist US-Verfassungsjurist. Von 1992 bis 2000 war der 83-Jährige Präsident der Stanford University. Geboren wurde er in Hamburg.
    Gerhard Casper ist US-Verfassungsjurist. Von 1992 bis 2000 war der 83-Jährige Präsident der Stanford University. Geboren wurde er in Hamburg. Foto: Annette Hornischer/American Academy, Berlin

    Die amerikanischen Präsidenten schwören feierlich, dass sie ihr Amt „getreulich ausführen und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften wahren, schützen und verteidigen.“ Wie groß ist der Schaden, den Trump hinterlässt?

    Casper: Ich würde unterscheiden zwischen dem Schaden, den er an der Verfassung angerichtet hat und dem, den er der Rechtskultur beigefügt hat. Trump hat zwar einige Verfassungswidrigkeiten begangen und hat sich so verhalten, als ob er der Staat sei. Er ist ja nicht der Erste, der dieser Versuchung erlegen ist. Sie erinnern sich an Watergate, Richard Nixon. Auch Trump sah die Macht, die er hielt und die er in Anspruch nehmen konnte für absolut. Dafür zahlen wir einen hohen Preis. Aber schlimmer ist, dass er die rechtsstaatliche Kultur untergraben hat.

    Trump und das Verhältnis zu seinem Justizminister...

    Casper: Die Verfassung sagt in Artikel 2, dass die exekutive Macht dem Präsidenten zusteht. Exekutive Macht heißt: Er hat vor allem die Verantwortung für die Exekution des Rechts, für die Gesetzgebung. Und so hat Trump das auch gesehen. Aber wir haben über Jahrzehnte eine Rechtskultur entwickelt, in der angenommen wurde, dass das Justizministerium vom Weißen Haus scharf getrennt ist und dass der Justizminister grundsätzlich den Weisungen des Weißen Hauses nicht unterliegt. Nicht juristisch, nicht verfassungsmäßig, aber als eine Antwort der Rechtskultur, die sich auf die Machtansprüche verschiedener Präsidenten entwickelt hat, vor allen Dingen Nixon. Nixons Nachfolger...

    ...war Gerald Ford.

    Casper: Der wiederum ernannte Edward Levi, einen engen Freund von mir, zum Justizminister. Und ich erinnere mich, dass Levi mir immer gesagt hat, dass in den Jahren, in denen er unter Ford Justizminister war, das Weiße Haus kein einziges Mal versucht hat, ihn zu beeinflussen. Geschweige denn, seine Macht zu übernehmen. Trump dagegen hat regelmäßig versucht, Justizminister William Barr Anordnungen zu geben, die der befolgen sollte. Biden hat nun mit dem Bundesrichter Merrick Garland einen ausgezeichneten Minister ausgewählt. Er hat sich einen nicht politisch orientierten Juristen gesucht. Die Aufgabe von Biden und Garland ist allerdings riesig. Man kann schnell etwas zerstören, aber nur langsam wieder aufbauen.

    Sehen Sie die Gefahr, dass selbst ein Präsident Biden, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung steht, der Versuchung erliegen könnte, den exekutiven Spielraum zu nutzen, den sein Vorgänger so ausgereizt hat?

    Casper: Max Weber hat 1917 einen Aufsatz über Cäsarismus und amerikanische Präsidenten geschrieben, in dem er beschreibt, dass Präsidenten die Neigung hätten, sich cäsaristisch zu verhalten. Diese Gefahr besteht grundsätzlich immer. Aber im Fall Bidens ist sie kleiner als bei anderen. Biden hat nicht nur als Vizepräsident sehr viel Erfahrung gesammelt, sondern die größte Zeit seines politischen Lebens im Senat verbracht, wo er den Justizausschuss geleitet hat. So etwas wie mit Trump werden wir mit Biden nicht wiedererleben.

    Tiefpunkt von Trumps Amtszeit war der Sturm auf das Kapitol vor zwei Wochen. Angenommen es wäre in dieser Nacht noch schlimmer gekommen, Polizei und Nationalgarde hätten noch später eingegriffen, das Parlament wäre komplett handlungsunfähig, die Wahl Bidens wäre nicht zertifiziert und der Notstand ausgerufen worden… Waren die USA in dieser Nacht am Abgrund?

    Casper: Nein. Die Reaktion auf diesen Mob, der das Kapitol besetzt hatte, sind übertrieben. Ich habe die Ereignisse genau verfolgt, aber ich habe keinen Moment gezweifelt, dass die Amtseinführung stattfinden würde, wie die Verfassung sie plant.

    Woher haben Sie dieses Vertrauen genommen? Als Beobachter konnte einem von ferne schon ein bisschen bange werden.

    Casper: Bange geworden ist mir nicht. Aber auch mein Vertrauen in die Verfassung und ihr Funktionieren ist nicht unbegrenzt. Und ja, es gab einen vom Präsidenten unterstützen Mob. Der aber hatte kein wirkliches politisches Programm, war ziemlich unorganisiert. Nicht jeder Mob bedeutet eine Gefährdung des Staates. Mir machen andere Sachen Sorgen.

    Welche?

    Casper: Dass wegen Trump viele Millionen von Wählern glauben, er, Trump, habe die Wahl gewonnen. Das ist auf lange Sicht beunruhigender als der Mob vom Kapitol.

    Ist die Amtszeit von Trump, so schlimm sie war, nicht am Ende ein Triumph der amerikanischen Verfassung und der Staatsorgane?

    Casper: Man muss zum einen berücksichtigen, dass die amerikanische Verfassung seit über 200 Jahren in Kraft ist. Sie hat durchaus immer wieder ihre Schwächen gezeigt. Sie ist, was das Wahlsystem angeht, veraltet und von den Vorstellungen des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts getrieben, es hat den Bürgerkrieg gegeben. Aber am Ende hat immer die Verfassung überlebt. Ob sie das in der Zukunft auch tun wird, weiß ich natürlich nicht. Ich komme auf Max Weber zurück. Es könnte sein, dass wir einen Präsidenten bekommen werden, der ein effektiver und wirksamer Cäsar ist. Eines der Trump-Probleme war, dass er – abgesehen von seinen politischen Verworrenheiten und Zielen – einfach kein sehr kluger Mann ist und ihn das Amt wahrscheinlich weit überfordert hat. Wenn wir mal einen Präsidenten haben, der ähnliche Einstellungen wie Trump hat, aber nicht überfordert ist, könnte es gefährlich werden.

    Wie macht man die US-Verfassung robuster gegen Nicht-Demokraten im Weißen Haus?

    Casper: Idealerweise sollte man die Zeit zwischen Wahltag und Amtseinführung verkürzen. Dazu müsste man allerdings die Verfassung ändern, was in den USA immer sehr schwierig ist. Noch wichtiger wäre es, das Wahlrecht zu ändern, das von den für heute absolut falschen Voraussetzungen ausgeht. Die Verfassung der USA ist sehr von der Gewaltenteilung geprägt. Ein weiteres Problem, das wir in der Ära Trump gehabt haben, war, dass die Republikaner in dieser Hinsicht versagt haben. Wir haben nur die zwei Parteien, die den Kongress kontrollieren, und die Republikaner haben ihre Verantwortung unter den Grundsätzen der Gewaltenteilung nicht wahrgenommen.

    Die Wähler aber haben reagiert.

    Casper: Die Wähler haben richtig reagiert. Sie haben die erste Gelegenheit vor zwei Jahren im Abgeordnetenhaus genutzt, danach haben sie Trump abgewählt. Die Wähler haben die Gewaltenteilung grundsätzlich wieder gestärkt. Und das ist sehr, sehr wichtig. In der Zukunft wird nun sehr viel davon abhängen, ob die republikanische Partei die richtigen Lehren aus den vergangenen vier Jahren zieht. Da bin ich immer noch sehr skeptisch. Die Gerichte dagegen haben sich im Großen und Ganzen bewährt. Die meisten der Maßnahmen von Trump wurden von der Gerichtsbarkeit, soweit sie etwas dazu zu sagen hatte, mit großer Skepsis betrachtet.

    Hat Trump zum Aufruhr aufgerufen?

    Casper: Das ist nicht leicht zu beantworten. Ohne Frage hat er einen Aufruhr unterstützt. Einmal dadurch, dass er erklärt hat, er habe die Wahl gewonnen und nicht Herr Biden. Zum anderen hat er seinen Unterstützern immer wieder gesagt: Tut was. Aber zugleich ist es komplizierter: Trump hat Sachen gesagt, die technisch, wenn Sie oder ich sie sagten, ohne Frage durch die Redefreiheit geschützt wären. Die amerikanische Vorstellung der Redefreiheit ist viel ausgeprägter als in Europa. Das Stichwort lautet „Brandenburg versus Ohio“...

    ...eine wegweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes...

    Casper: ...die es möglich macht, zum Regierungssturz aufzurufen. Allerdings darf man diesen nicht selbst befördern. Ob Trump diese Grenze überschritten hat, das ist die Frage. Ich würde meinen, er hat. Aber darüber können wir endlos diskutieren. Aber was ist mit seiner Verantwortung als Präsident? Nehmen wir an, was er gesagt hat, wäre durch Brandenburg v. Ohio geschützt. Schön, aber darf er als Präsident dergleichen sagen? Nein. Natürlich nicht. Er darf als Präsident nichts tun, was angesehen werden könnte, dass er zum Aufruhr aufforderte. Sie haben auch auf seinen Verfassungseid verwiesen. Es gäbe noch weitere Argumente.

    Ein zweites Amtsenthebungsverfahren bewerten Sie folglich als richtig?

    Casper: Wenn man ihn jetzt durch eine Präsidentenanklage zur Verantwortung zöge, wäre das aus meiner Sicht völlig berechtigt. Zunächst hatte ich Zweifel, aber inzwischen bin ich grundsätzlich zu der Überzeugung gekommen, dass es notwendig ist, um für die Zukunft dem Präsidenten Grenzen aufzuzeigen.

    Aber was macht das zweite Impeachment mit dem von Biden angekündigten Versöhnungswerk?

    Casper: Eine Präsidentenanklage würde die Spannungen weiter erhöhen, weil Trump es geschafft hat, so viele davon zu überzeugen, dass ihm Unrecht geschehen ist.

    Trump geht, der Trumpismus bleibt. Was muss Biden tun, um dieses gespaltene Land wieder zu einen?

    Casper: Dieses Versöhnungswerk, wie Sie sagen, ist die schwierigste aller Aufgaben. In kurzer Zeit wird Biden das nicht gelingen. Ich hoffe, dass es ihm über vier Jahre oder eine weitere Amtszeit gelingt. Beide, Biden und Kamala Harris, müssen versuchen, die Mäßigung in das System zurückzubringen. Sie müssen auf beiden Seiten – bei Republikanern und Demokraten – zu Mäßigung raten. Auch Herr Biden wird sich gegenüber Zielen, die in seiner Partei populär sind, mäßigen müssen. Es wird viele Tests geben. Auch er wird die Zuwanderung begrenzen müssen, auch wenn er sicher andere Ansichten über das Asylverfahren hat als Trump. Sehr viel wird davon abhängen, dass Biden den richtigen Ton finden wird. Aber da habe ich Vertrauen.

    Wann ist das Klima in den Vereinigten Staaten so toxisch geworden?

    Casper: Das liegt Jahrzehnte zurück. Solche Phasen hat es in der langen Geschichte der USA immer wieder gegeben. Vor allem am Anfang. Der Ton zwischen John Adams und Thomas Jefferson beispielsweise war absolut toxisch. Dann gab es den Bürgerkrieg. Mir ist beim Lesen der deutschen Presse aufgefallen, wie viel Gewicht auf Trump gelegt wurde. Das ist zum Teil einfach falsch. Viele der heutigen Probleme gehen weit in der US-Geschichte zurück. Sie versinken, tauchen wieder auf. Aber: Wir sind ein sehr robustes Land. Das muss man immer berücksichtigen. Trump hat nur ausgenutzt, was bereits angelegt war.

    Was war angelegt?

    Casper: Wir haben die Ermordung von Präsident Kennedy gesehen, die Ermordung von Martin Luther King, die Ermordung von Robert Kennedy. Wir haben traumatische Erlebnisse gehabt. Eins nach dem anderen. Das war alles furchtbar. Aber es war nicht so, dass dieses Land hinterher vereinigter gewesen wäre. Die deutsche Sicht auf die USA ist zum Teil außerordentlich kurzfristig. Zugleich zeigt sich – auch jetzt wieder – was das Verfassungssystem alles aushält.

    Sie sind 1987, als Präsident Ronald Reagan den konservativen Robert Bork für den Supreme Court nominiert hatte, mit Joe Biden, dem damaligen Vorsitzenden im Justizausschuss, aneinandergeraten.

    Casper: Ich bin nicht nur da, sondern viele Male auf Herrn Biden getroffen. Ich habe ihn damals sehr dafür kritisiert, wie er diese Anhörung abgehalten hat.

    Wie haben Sie Biden wahrgenommen?

    Casper: Wir haben damals gegeneinander einen ziemlich scharfen Ton angeschlagen. Einige Monate später war ich wieder vor dem Justizausschuss des Senats zu einer Anhörung. Und Herr Biden hatte alles vergessen. Er hätte nicht liebenswürdiger sein können. Ich glaube, Biden hat eine Eigenschaft, die sowohl eine Schwäche aber auch eine Stärke sein könnte. Er konzentriert sich sehr auf den Augenblick.

    Sie sind in Hamburg geboren, längst US-Bürger, kennen beide Länder aber sehr gut. Wie ist es um Ihr Geburtsland im Vergleich bestellt?

    Casper: Ich habe kürzlich einen Brief wiedergefunden, denn ich 1954 an meine Eltern schrieb, als ich in den USA bei einem internationalen Jugendforum war. Wir hatten Diskussionen mit führenden Vertretern der Republikaner und Demokraten. Und deren Umgang war außerordentlich freundschaftlich. Ich habe damals geschrieben, wie anders das in den USA sei als in Deutschland. Damals gab es die scharfen Auseinandersetzungen zwischen Konrad Adenauer und Kurt Schumacher. Inzwischen hat sich das völlig gedreht. Heute gehen in Deutschland – abgesehen von der AfD – Opposition und Regierung sehr zivil miteinander um. Der Ton ist demokratisch. Und das ist, was wir hier in den USA in den Jahren, in denen ich hier bin, verloren haben.

    Zur Person: Gerhard Casper ist US-Verfassungsjurist. Von 1992 bis 2000 war der 83-Jährige Präsident der Stanford University, später Präsident der American Academy in Berlin.

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