Herr Weber, am Montag stellen CDU und CSU ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl vor. Was ist aus Ihrer Sicht die entscheidende Botschaft?
Weber: Dass wir eine Idee haben, wie Deutschland in zehn Jahren aussehen soll. Und dass wir ein breites Angebot an möglichst viele Menschen machen, ohne dabei unsere Stammwähler zu vergessen.
Diese Stammkundschaft könnte von der frisch ergrünten CSU allerdings etwas irritiert sein.
Weber: Umso mehr müssen wir den Landwirten, den Einzelhändlern, den Mittelständlern zeigen, dass wir weiterhin für sie da sind, dass wir ihre Sorgen nicht aus den Augen verlieren.
Welche Sorgen sind das?
Weber: Beispielsweise die 370 Milliarden Euro Schulden, die der Bund 2020 und 2021 aufnimmt, machen vielen Menschen Sorgen. Mich treibt eine solch gigantische Neuverschuldung auch um. Es war und ist richtig und notwendig, dass wir in der Krise dagegengehalten und stabilisiert haben, aber die Union muss die Kraft sein, die den Bürgern die Zusage gibt, zu stabilen Haushalten zurückzukehren und den Anstoß zu geben, dass andere europäische Länder das auch tun. Wir müssen jetzt auf die Bremse treten.
"Gehen wir Deutschen nicht voran, droht ein Dammbruch"
Viele Regierungen in Europa dürften momentan andere Sorgen haben. Wie wollen Sie es schaffen, dass die Schuldenmacherei wieder aufhört?
Weber: Wir müssen klar sagen, was auf dem Spiel steht. Wenn es die neue Bundesregierung nicht schafft, nach Überwindung der Krise das Ruder herumzureißen und die Stabilitätskriterien des Euro zu erfüllen, dann wäre das ein Signal an ganz Europa. Gehen wir Deutschen hier nicht voran, droht ein Dammbruch. Dann werden auch andere keine Veranlassung sehen, sich an die Regeln zu halten.
Das heißt, Sie wollen die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen?
Weber: Absolut, das ist eine der großen Fragen und elementar für die junge Generation. Unsere zentrale Aufgabe wird es sein, so schnell wie möglich zu ausgeglichenen Haushalten zurückzukehren. Es geht darum, das Grundgesetz einzuhalten. CDU und CSU werden hier drängeln. Die Union muss die Gralshüterin einer stabilen Haushaltspolitik sein.
Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Mehr einnehmen, etwa durch Steuererhöhungen, oder weniger ausgeben. Was ist Ihr Vorschlag?
Weber: Wir müssen aus den Schulden herauswachsen. Das heißt: Investieren, neue Märkte erschließen, neue Arbeitsplätze schaffen, aber eben auch die Staatsfinanzen in den Griff bekommen. Nehmen Sie die Sozialausgaben, da gab es seit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder keine substanziellen Reformen mehr.
"Die Zeit für Geld-Versprechungen ist vorbei"
Gleichzeitig kommt aus der CSU die Forderung, die Mütterrente zu erhöhen. Wie passt das zusammen?
Weber: Die Mütterrente ist eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn wir neue Ausgaben vorschlagen, müssen wir aber in anderen Bereichen weniger ausgeben.
Wo sehen Sie Sparpotenzial?
Weber: Wir sollten zum Beispiel feststellen, dass die von der SPD vorangetriebene Entscheidung, die Menschen schon mit 63 in Rente gehen zu lassen, weder ein Beitrag zur Stabilität des Systems noch zur Generationengerechtigkeit darstellt. Die Zeit für Geld-Versprechungen ist erst mal vorbei.
Staatliche Leistungen zu streichen, ist nicht gerade ein Wahlkampfschlager.
Weber: Aber Ehrlichkeit, was geht und was nicht. Ich bin in den Landtag gekommen, als Edmund Stoiber Ministerpräsident war und den Menschen in Bayern ganz offen gesagt hat, dass wir uns nicht mehr alles leisten können. Und wir haben damals den Grundstein für die positive Entwicklung Bayerns gelegt - und beste Wahlergebnisse erzielt.
"Die CSU ist immer schon auch eine grüne Partei"
Stoibers Nachfolger Markus Söder will die CSU auch für Leute interessant machen, die momentan eher die Grünen wählen. Wie erklären Sie das dem Stammpublikum?
Weber: Die CSU ist immer schon auch eine grüne Partei. Wenn es zum Beispiel um den Ausbau erneuerbarer Energien geht, brauchen wir uns nicht zu verstecken. Aber klar ist auch: Wir müssen jetzt erklären, wie wir uns Klimaschutz vorstellen. Anders als die Grünen gehen wir nicht ideologisch an das Thema heran, sondern ambitioniert, pragmatisch und inhaltlich. Ein Beispiel: Ich halte es für falsch, ein festes Datum für das Ende des Verbrennungsmotors zu setzen. Stattdessen sollten wir klare Klimaschutzziele vorgeben und es dann der Wirtschaft und dem Markt überlassen, wie wir sie erreichen.
Aber der Markt hat die Sache ja gerade nicht geregelt, oder?
Weber: Es braucht schon Druck. Aber es wäre falsch, im Kampf um die Umwelt alle anderen Faktoren auszublenden. Wenn wir keine Protestbewegung wie die „Gelbwesten“ in Frankreich erleben wollen, müssen wir auch eine soziale Balance finden, was wir den Leuten zumuten. Viele Menschen sorgen sich nicht nur ums Klima, sondern auch um ihren Arbeitsplatz, und wir dürfen nicht ganze Industriebranchen aus Europa heraustreiben, weil wir Energie zu teuer machen. Klimaschutz, Wirtschaft und Soziales gehören zusammen.
Im langsam anlaufenden Wahlkampf arbeitet sich die Union vor allem an den Grünen ab und warnt davor, was alles passieren könnte, wenn Annalena Baerbock Kanzlerin würde. Ist das nicht ein bisschen wenig?
Weber: Wir werden am Montag unser Programm vorlegen, und dann werden wir vor allem darüber reden, was wir wollen und weniger darüber, was wir nicht wollen.
"Wir haben viele Menschenleben gerettet"
Gaukelt die Union den Bürgern nicht etwas vor, wenn sie so tut, als könne man Klimaschutz auch ohne größere Einschnitte bekommen?
Weber: Nein, wir sind ambitioniert. Aber wir wollen keine einseitigen Maßnahmen, sondern den Ausgleich. Wir müssen die Leute mitnehmen, die Klimapolitik darf nicht zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft führen. Wir haben übrigens nicht nur Wähler an die Grünen verloren, sondern auch an die Freien Wähler oder die FDP.
Was ist der Grund dafür?
Weber: Wir mussten manchen Menschen wirklich viel zumuten. Markus Söder hat in der Pandemie richtige und klare Entscheidungen getroffen. Er ist nicht den einfachen Weg von Hubert Aiwanger gegangen, der ständig von Lockerungen gesprochen hat, sondern er hat mutig und verantwortungsvoll geführt. Das müssen wir den Leuten aber auch erklären, wir müssen ihnen sagen, dass das bayerische Krisenmanagement erfolgreich war. Wir haben viele Menschenleben gerettet.
Es ist nicht lange her, da wollte die CSU Wähler von der AfD zurückgewinnen und hat sich auf populistische Pfade begeben. War das ein Fehler?
Weber: Wir haben dazu eine klare Position. Es gibt einen Trennstrich zur AfD, die sich aufgrund ihrer Radikalität ja sogar im rechten Spektrum in Europa mittlerweile total isoliert hat. Teile der CSU haben da ihre Lektion gelernt. Die AfD hat ernsthaft den EU-Austritt Deutschlands als Ziel ins Wahlprogramm geschrieben. Jeder, der diese Partei wählt, zerstört Wohlstand in Deutschland und in Bayern. Dagegen werden wir uns mit aller Härte positionieren. Deutschland profitiert von diesem Europa, auch wenn wir es natürlich weiterentwickeln müssen.
"Ich will nicht nach chinesischen Spielregeln leben"
Dieses Europa steht aber auch unter Druck. US-Präsident Biden hat dafür plädiert, in China einen Gegner des Westens zu sehen. Müssen auch die Europäer ihre Haltung überdenken?
Weber: Zunächst einmal gilt, dass wir alle im Dialog bleiben müssen - selbstverständlich auch mit China oder Russland. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Naivität ablegen. Manche sehen nur die Wirtschaft, sehen nur die Umsätze, die deutsche Unternehmen in China machen. Wir sehen, dass wir die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise vor allem dem Geschäft in Asien zu verdanken haben. Aber hier geht es um die sehr grundsätzliche Frage, in welcher Welt wir in zehn Jahren leben wollen. Darüber müssen wir jetzt und heute reden. Ich will nicht nach chinesischen Spielregeln leben. Wir brauchen den Schulterschluss mit den Amerikanern, wir brauchen ein starkes Europa, um das westliche Lebens- und Wertemodell zu sichern.
Auch im Umgang mit Russland fehlt der EU eine klare Linie.
Weber: Die Ukraine darf sich frei entscheiden, mit wem sie Partnerschaften eingeht. Ob es sie eher zur Europäischen Union hinzieht oder eher zu Russland. Und genau dieses Recht stellt Kreml-Chef Wladimir Putin infrage. Dem müssen wir uns klar entgegenstellen und deutlich machen: Weitere russische Provokationen würden einen Preis kosten.
Genau wie bei China gilt aber auch hier: Den Preis zahlen auch deutsche Unternehmen.
Weber: Wir leben in einer Epochenwende, und wir als Union tun gut daran, den Menschen im Bundestagswahlkampf reinen Wein einzuschenken. Es gibt kein einfaches „Weiter so“. Wir werden Prioritäten setzen müssen. Und für mich hat oberste Priorität, dass wir unsere europäischen Werte, unser Lebensmodell verteidigen - und andere auf der Welt unterstützen, die dieses Modell auch wollen. Die Europäische Union kann sich nicht wie die Schweiz verhalten und sagen: Hauptsache ist, dass wir unser Geld verdienen und ansonsten kümmern wir uns um wenig. Wir haben eine Verantwortung, und der müssen wir uns stellen. Es darf nicht um die Frage gehen, ob sich das rechnet, sondern es muss darum gehen, wofür wir stehen. Die Europäische Union und die USA haben gemeinsam die Kraft, auch ohne China oder Russland Wohlstand zu erzielen.
Haben Sie Angst vor einem neuen Kalten Krieg?
Weber: Nicht im militärischen Sinne. Aber natürlich gibt es zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie eine Gesellschaft aussehen soll. Auf der einen Seite stehen autokratische, diktatorische Systeme und auf der anderen unsere demokratische und liberale Idee, für die wir viel selbstbewusster werben sollten.
"Angela Merkels Abgang ist eine Zäsur"
Das könnten Sie schon bald als Präsident des Europäischen Parlaments tun. Zur Mitte der Legislaturperiode sollen Sie David Sassoli ablösen. Doch es gibt Zweifel, ob sich die sozialdemokratische Fraktion an die Abmachung hält.
Weber: Europa kann nur funktionieren, wenn man sich auf Vereinbarungen verlassen kann. Wir als Christdemokraten haben einen Sozialdemokraten für den ersten Teil der Amtszeit gewählt und wir erwarten, dass die sozialdemokratische Fraktion die Vereinbarung einhält und für den zweiten Teil einen Vertreter der Europäischen Volkspartei unterstützt.
Wie groß ist die Lücke, die Angela Merkel in Europa hinterlässt?
Weber: Angela Merkel hat Europa über einen langen Zeitraum in einer machtvollen, aber ausgleichenden Position geprägt, ihr Abgang ist eine absolute Zäsur. Merkels Ansatz, andere Staaten mit Respekt zu behandeln und das Machbare pragmatisch anzugehen, wird zunächst einmal fehlen. Das hat Europa gutgetan.
Aber Europa wirkt am Ende der Ära Merkel gelähmt und zerstritten.
Weber: Momentan haben wir als Europäer zu vielen Themen gar keine Stimme, weil wir uns nicht einig sind, vor allem in der Außenpolitik. Deshalb müssen wir endlich das Prinzip abschaffen, dass wichtige EU-Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Das lähmt uns in so vielen Bereichen und verhindert, dass Europa ein angemessenes Gewicht auf der Weltbühne bekommt. Die Zeit läuft uns davon und ich bin nicht mehr bereit, immer auf den Langsamsten in Europa zu warten. Das sind wir künftigen Generationen schuldig.
Kleinere EU-Staaten fürchten, dass sie ohne ihr Vetorecht von den großen übergangen werden. Würde das die Union nicht erst recht zerreißen?
Weber: Deshalb müssen wir sie überzeugen, dass Europa nur dann stark ist, wenn es handlungsfähig ist. Die Blockaden durch einzelne Länder erzeugen ja auch Frust bei den Bürgern. Und natürlich muss auch Deutschland bereit sein, sein Vetorecht aufzugeben.