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Interview: CSU-Europapolitiker Ferber: "Deutschland belastet die EU"

Interview

CSU-Europapolitiker Ferber: "Deutschland belastet die EU"

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    Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber beklagt, dass heimischen Firmen aus Brüssel immer neue bürokratische Daumenschrauben angelegt werden.
    Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber beklagt, dass heimischen Firmen aus Brüssel immer neue bürokratische Daumenschrauben angelegt werden. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Ferber, Sie sitzen in Brüssel an der Quelle, schließlich soll rund 80 Prozent der Bürokratie in Deutschland die ursprüngliche Handschrift der EU tragen. Warum sprudelt die Quelle derart verlässlich?

    Markus Ferber: Noch nie wurden in der Geschichte des EU-Parlaments so viele Gesetze und Vorschriften auf den Weg gebracht wie in dieser Legislaturperiode, die mit der Europawahl im Juni zu Ende geht. Und das geschieht unter der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU hat durch den enormen Bürokratie-Output an Wettbewerbsfähigkeit verloren.

    Sie kritisieren die aktuelle Arbeit der einstigen CDU-Verteidigungsministerin von der Leyen offen.

    Ferber: Ich gebe zu, dass ich mich nicht zu den Freunden von Frau von der Leyen zähle – und das, seit sie Kommissionspräsidentin ist. Ich wollte unseren CSU-Mann Manfred Weber an der Spitze der Kommission sehen. Die Wahl von der Leyens war ein strategischer Fehler. 

    Warum produzieren EU-Verantwortliche unter Frau von der Leyen immer mehr Bürokratie, wo Brüssel doch gelobt, den Vorschriftendschungel lichten zu wollen.

    Ferber: Was immer neue Vorschriften betrifft, wird in Brüssel nicht nach links und rechts geschaut. Damit entwickelt dieses Thema eine Eigendynamik. Und die EU hat noch einige Bürokratie-Hämmer in der Pipeline. Das geplante europäische Lieferkettengesetz etwa würde unsere Unternehmen noch mehr als das deutsche Lieferkettengesetz belasten. Denn nach dem jetzigen Stand trifft das europäische Lieferkettengesetz auch kleinere Betriebe und erlegt Unternehmen insgesamt weitreichende Dokumentationspflichten auf, was die ökologischen und ethischen Standards ihrer Lieferanten betrifft. Die Firmen müssten mit höheren Strafen als nach deutschem Recht rechnen. Das alles würde Unternehmer in Angst und Schrecken versetzen. 

    Lässt sich der neue Bürokratie-Hammer noch stoppen?

    Ferber: Diese absurde Lieferkettenregelung war im EU-Parlament nicht gegen Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, also die europäische Ampel, vom Tisch zu bekommen. Die Bürokratie nimmt weiter zu. Um das Bewusstsein aufseiten der Bürokarten zu schärfen, habe ich zuletzt Vertreter von EU-Behörden und der schwäbischen Wirtschaft zu einem Workshop nach Brüssel eingeladen.

    Manche Unternehmerinnen und Unternehmer, die unter der Brüsseler Regelungswut leiden, dürften bei der Veranstaltung sicher den Bürokraten den Marsch geblasen haben.

    Ferber: Für die EU-Vertreter war die Veranstaltung lehrreich: Zunächst wirkten sie erstaunt, zu welch negativen Auswirkungen ihre Verordnungen an der deutschen Basis führen. Sie erklärten den Unternehmensabgesandten, dass sie all das nicht verstünden. Niemals hätten sie beabsichtigt, dass ihre Vorschriften Firmen schaden können. Die Bürokarten wissen nicht, was sie anrichten, obwohl klar ist, dass wir mit Bürokratie die Welt nicht grüner, klimafreundlicher, besser und gerechter machen. 

    Die Bürokraten wissen also nicht, was sie tun.

    Ferber: Sie bekommen nicht mit, was sie anrichten. Das war für alle Seiten eine verblüffende Erkenntnis und hat Behördenmitarbeitern und Unternehmern bei der Veranstaltung die Augen geöffnet, wobei der Erkenntnisgewinn für die EU-Verwaltungsleute sicher noch ein Stück größer als für die schwäbische Wirtschaftsdelegation war. 

    Inzwischen ist die Bürokratie laut Umfragen zum Hauptärgernis und Wachstumshemmnis für Unternehmer geworden. So soll die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr, wenn überhaupt, nur minimal zulegen. Wird der einstige europäische Ökonomie-Musterknabe zur Belastung für die EU?

    Ferber: Deutschland belastet die EU. Die Rezession in Deutschland zieht unsere Nachbarn wirtschaftlich mit nach unten. Die nach dem Verfassungsgerichtsurteil offenen Punkte über die weitere Finanzierung des deutschen Haushalts wirft die Frage auf, wie der EU-Haushalt weiter finanziert wird. Deutschland ist nicht mehr der stabile europäische Faktor, sondern eine Kraft, die weniger Stärke als Schwäche verbreitet. Wenn Deutschland seine Haushalts- und Wachstumsprobleme nicht in den Griff bekommt, wird das Land Europa weiter schwächen. Die EU-Länder schauen mit großer Sorge auf Deutschland. 

    Dabei hat sich Deutschland als europäischer Wirtschaftsmusterknabe aufgespielt und südeuropäischen Ländern Ratschläge erteilt.

    Ferber: Deshalb macht sich jetzt Häme gegenüber Deutschland breit. So hat der ehemalige griechische Energie- und Umweltminister, Panagiotis Lafazanis, Deutschland geraten, die eigenen Inseln zu verkaufen. 

    Was eine Retourkutsche ist, hatten doch 2010 deutsche CDU- und FDP-Politiker dem damals chronisch klammen Griechenland polemisch nahegelegt, die ein oder andere Insel zu versilbern.

    Ferber: Hinter solcher Häme aus Griechenland und anderen Staaten steckt die große Sorge, dass Deutschland als Wirtschaftslokomotive für die gesamte EU zu langsam fährt. Denn dann besteht die Gefahr, dass irgendwann ganz Europa zum Stillstand kommt. Oder um einen Vergleich aus der Welt der Medizin zu nehmen: Wenn Deutschland Husten hat, liegt eine ganze Reihe von EU-Staaten mit hohem Fieber im Bett. Und ganz Europa leidet unter den hohen Energiekosten. Inzwischen machen sich auch die USA Sorgen um Europa, wie ich bei meinem letzten Aufenthalt in Amerika bemerkt habe. 

    Wird Deutschland wie schon um die Jahrtausendwende zum kranken Mann Europas?

    Ferber: Deutschland ist bereits krank, gestehen unsere Wirtschaftsweisen dem Land nur noch das Potenzial zu, in den nächsten Jahren mit einer mickrigen Rate von 0,4 Prozent zu wachsen. Deutschland braucht dringend eine Kur. Wenn die Bundesregierung dem Land keine Kur verschreibt, muss nach Neuwahlen eine andere Regierung Deutschland in die Kur schicken. 

    Ein Land, das nach Ihrer Diagnose dringend auf Kur müsste, taugt nicht mehr als Ratgeber auf EU-Ebene.

    Ferber: Was fatal ist, verhandeln wir doch gerade in der EU, wie der Eurostabilitätspakt weiterentwickelt werden soll. Deutschland genießt hier angesichts des nationalen Haushaltschaos nicht mehr die Glaubwürdigkeit wie früher. Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal, denen wir in Deutschland in der Eurokrise Reformen abverlangt haben, sind heute die Wachstumsmotoren der EU. Selbst Italien hat unter Ex-Regierungschef Draghi hervorragende Reformen durchgesetzt, um EU-Fördergelder zu bekommen. Seine Nachfolgerin, Frau Meloni, hat die Reformen nicht zurückgedreht. Einstige Schuldenländer zeigen Deutschland heute, wie es geht. 

    Das wirkt peinlich.

    Ferber: Deutschland war einmal ein europäischer Streber. Jetzt bringt der Streber schlechte Noten nach Hause. Das ist wie in der Schule: Die EU-Klasse freut sich, dass der Streber nicht mehr liefert. Mit dieser Häme müssen wir leben. 

    Deutschland hat demnach ein Glaubwürdigkeitsproblem.

    Ferber: Und das vor allem in der Energiepolitik. Denn Deutschland ist aus der Kernenergie ausgestiegen, erzählt der ganzen Welt, wie man den Ausstoß von CO2 verringern kann, schaltet aber gleichzeitig immer mehr Kohlekraftwerke an. Das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit Deutschlands bei. Der Rest der Welt vollzieht den deutschen Weg der Energiepolitik nicht nach, ja glaubt, dass er scheitern wird. Deutschland sollte seinen Weg dringend überdenken.

    Zur Person: Markus Ferber, 58, ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und tritt auf Platz fünf der CSU-Liste im Juni 2024 bei den Europawahlen wieder an. Der gebürtige Augsburger arbeitet als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Steuerfragen im Europäischen Parlament. Ferber ist zudem wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europarlament, Ehrenvorsitzender der schwäbischen CSU und Vorsitzender der Hanns-Seidl-Stiftung. 

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