Frau Gurkmann, durch Putins Krieg in der Ukraine explodieren die Energiepreise. Tut die Bundesregierung genug, um die Bürger zu entlasten?
Jutta Gurkmann: Die Energiepreise steigen schon seit dem vergangenen Herbst, jetzt geht es weiter drastisch nach oben. Drei Viertel der Menschen in Deutschland machen sich Sorgen, in Zukunft finanziell durch die Energiepreiskrise belastet zu werden, Tendenz steigend. Wir sehen, dass die Bundesregierung sehr aktiv ist und das Entlastungspaket ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Es bringt jetzt aber nichts, mit der Gießkanne Geld auszuschütten, dass dann dahin fließt, wo es gar nicht benötigt wird und vielleicht sogar andere Probleme noch verschärft.
Heißt das, dass Sie den befristeten Tankrabatt ablehnen, mit dem die Bundesregierung den Menschen helfen will, die auf ihr Auto angewiesen sind?
Gurkmann: Ein Rabatt an der Tankstelle hilft zwar denen, die auf ihr Auto dringend angewiesen sind, er fördert aber auch Leute, die mit schwerem Geländewagen zum Spaß unterwegs sind und eher keine Unterstützung von der Allgemeinheit bräuchten. Die steigenden Preise betreffen alle. Aber die Gießkanne ist nicht das Mittel der Wahl. Die Politik sollte erstens gezielt jene unterstützen, die es wirklich brauchen und zweitens die Weichen Stellen für mehr Unabhängigkeit von fossilen Energie-Importen.
Teil des Paktes der Bundesregierung ist ja auch ein Ticket zu neun Euro für 90 Tage für den öffentlichen Nahverkehr. Ist das sinnvoll?
Gurkmann: Den öffentlichen Nahverkehr günstiger und attraktiver zu machen geht in jedem Falle in die richtige Richtung. Es erhöht für viele den Anreiz für den Einstieg in Busse und Bahnen. Aber dabei kann es nicht bleiben. Auch nach den 90 Tagen brauchen wir dauerhaft günstige und passgenaue Angebote. Wenn in manchen Regionen nur dreimal am Tag ein Bus fährt, ist das natürlich keine Alternative zum Auto. Da macht es nicht der Preis alleine.
Ist die Energiepreispauschale nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Gurkmann: Die Bundesregierung muss den Haushalten, die jetzt besonders unter den steigenden Kosten leiden, natürlich helfen. Wenn die beschlossenen Entlastungspakete nicht mehr ausreichen, müssen weitere auf den Weg gebracht werden. Die Lage zeigt uns aber auch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt beschleunigt werden muss. Damit es mit der Energiewende klappt, müssen zudem unsere Gebäude effizienter werden. Hier und beim Gasverbrauch gibt es ein riesiges Einsparpotenzial an CO2. Ein Problem: Viele Altbauten sind gar nicht geeignet dafür, Wärmepumpen einzubauen. Erst wenn Gebäude gut gedämmt sind, lohnt sich der Umstieg auf einen neuen Energieträger. Deshalb braucht es hier mehr staatliche Unterstützung.
Viele Menschen beschäftigen sich gerade intensiv mit dem Thema Heizen, doch das Thema ist kompliziert, die Kosten für Umbauten enorm und die Monteure knapp. Was empfehlen Sie?
Gurkmann: Die Verbraucherzentralen bieten eine Energieberatung an. Das ist im Moment ganz wichtig, denn das ist ein unabhängiges Angebot, übrigens das größte in Deutschland. Momentan rennen uns die Verbraucher und Verbraucherinnen geradezu die Türen ein, die Hotline-Drähte glühen. Die Zahl der Online-Energieberatungen der Verbraucherzentralen hat sich im März im Vergleich zum Vorjahresmonat fast verfünffacht. Vor Ort, per Telefon oder Video sind es 20 Prozent mehr. Die Zahl der Energiechecks, bei denen wir Verbraucherinnen und Verbraucher zu Hause beraten, hat um 50 Prozent zugenommen, vor allem zu den Themen erneuerbare Energien wie Solaranlagen, Fördermittel und Haustechnik mit dem Schwerpunkt Heizungssanierung. Wir überlegen, wie wir das Angebot ausbauen können und wie wir die Informationen auch auf anderen Wegen anbieten können. Wir sehen auch, dass ganz viele Menschen jetzt auf unseren Internetseiten nach Hinweisen suchen, wie sie ihr Energiekonsumverhalten umstellen können.
Nun droht auch noch eine Knappheit bei Lebensmitteln. Sollten sich die Menschen auf Engpässe vorbereiten, etwa Vorräte anlegen?
Gurkmann: Die Lebensmittelversorgung ist in Deutschland sicher. Sich sinnvoll zu bevorraten ist ja in Ordnung. Aber übermäßiges Horten ist kontraproduktiv, weil die Menschen die Lebensmittel oft gar nicht aufbrauchen können und sie am Ende wegwerfen müssen. Auf die Energieversorgung schauen natürlich viele mit großer Sorge und vielen Fragezeichen. Hier wird die Politik kurzfristig gefordert sein. Langfristig brauchen wir den nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft, der Mobilität und auch der Energieversorgung.
Gerade gibt es ja Forderungen, die heimische Landwirtschaft angesichts des Kriegs in der oft als Kornkammer bezeichneten Ukraine zu intensivieren …
Gurkmann: Falsch wäre es, auf intensivere Landwirtschaft mit mehr Mineraldünger und Pestiziden zu setzen. Die Klimakrise und der Verlust der Artenvielfalt machen keine Pause, bedrohen langfristig unser gesamtes Ernährungssystem. Wir müssen krisenfester werden und das geht nur mit einer nachhaltigeren Landwirtschaft, die mehr für den Teller und weniger für Tank und Trog produziert. Aktuell gehen 60 Prozent der Getreideernte in Deutschland ins Tierfutter. Das lässt sich ändern.
Wenn es nur noch um ganz elementare Dinge wie die Versorgungssicherheit geht: Droht da der klassische Verbraucherschutz im Sinne von Umweltstandards, Produktsicherheit, Schadstofffreiheit und so weiter unter die Räder zu kommen?
Gurkmann: Die Krise darf nicht genutzt werden, um beim Verbraucherschutz Abstriche zu machen. Wir schauen ganz genau hin, wer jetzt bei der Agrarwende und beim Klimaschutz auf die Bremse treten will. Es darf nicht zu einer Absenkung von Standards kommen. Gerade jetzt müssen wir unsere Zukunft im Blick behalten. Wir brauchen gute Verbraucherrechte und Instrumente, um diese durchzusetzen. Deshalb ist eine verbraucherfreundliche Ausgestaltung des Verbandsklagerechts so wichtig, sodass Menschen ihre Ansprüche gegenüber großen Firmen wirksam durchsetzen können. Wir wünschen uns in vielen Bereichen, dass eine verbraucherfreundliche Lösung praktisch schon voreingestellt ist.
Welche Bereiche meinen Sie?
Gurkmann: Etwa bei digitalen Anwendungen, wenn es um Datenschutz und Datensicherheit geht. Ein weiteres drängendes Thema ist die Reform der privaten Altersvorsorge. Riester hat die Taschen der Versicherungs- und Finanzwirtschaft gefüllt, den Verbraucher:innen aber wenig gebracht. Wir fordern einen öffentlich verwalteten Fonds, in den erst mal alle einzahlen, der viel Vorsorge für das Alter bringt, und möglichst wenig kostet. Schweden zeigt, dass das geht, dort hat der Fonds AP7 in den vergangenen 20 Jahren eine Durchschnittsrendite von elf Prozent eingebracht. Es wäre ein starkes Signal, wenn sich die Ampel um dieses Thema, das für die Menschen wirklich wichtig ist, endlich kümmert.
Zur Person: Jutta Gurkmann ist Juristin und leitet seit März den Verbraucherzentrale Bundesverband.