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Heike Heubach im Interview: "Wichtig, dass ich nicht nur als gehörlose Person wahrgenommen werde"

Interview

„Mir ist wichtig, dass ich nicht nur als gehörlose Person wahrgenommen werde“

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    "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren", sagt Heike Heubach. Sie ist als Nachrückerin in den Bundestag eingezogen und dort die erste gehörlose Parlamentarierin
    "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren", sagt Heike Heubach. Sie ist als Nachrückerin in den Bundestag eingezogen und dort die erste gehörlose Parlamentarierin Foto: Michael Kappeler, dpa

    Frau Heubach, der Bundestag hat mit Ihnen erstmals eine gehörlose Abgeordnete. Allein die Ankündigung hat enormes Aufsehen erregt. Haben Sie diesen Trubel erwartet?
    HEIKE HEUBACH: Ich hatte tatsächlich erwartet, dass es viel Aufmerksamkeit gibt. Aber dass es schon losgeht, bevor ich das Mandat offiziell übernehme, hat mich überrascht. Ich bin in den letzten Tagen und Wochen häufig darauf angesprochen worden und das war letztlich ein bisschen verfrüht, auch in der Berichterstattung.

    Wie haben Sie sich auf diesen ersten Tag als Abgeordnete vorbereitet? 
    HEUBACH: Es waren vor allem organisatorische Fragen zu klären. Ich habe viel mit der Verwaltung des Bundestages telefoniert und natürlich mit meiner Fraktion. Was erwartet mich, welche Termine stehen an, wie läuft das mit der Mandatsannahme? Das ist ja alles nichts, was einfach so vonstattengeht. Dann ging es darum, die Dolmetschenden zu organisieren. Wenn ich das alles allein hätte stemmen müssen, wäre ich wahrscheinlich schon vor der Mandatsübergabe ins Schwimmen gekommen.

    Textgalerie Heubach

    Die erste gehörlose Abgeordnete im Bundestag hat auch die Medien und die Fraktionspressestelle der SPD vor einige Herausforderungen gestellt, denn die üblichen Mechanismen funktionieren hier nicht.

    Das Interview mit Heike Heubach wurde zusammen mit zwei Dolmetscherinnen geführt, die sich im Laufe der 45-minütigen Gesprächsdauer immer wieder abwechselten.

    Die Aufgabe ist für Dolmetscher anstrengend und erfordert kurze Pausen. Heubach saß dem Interviewer gegenüber, dieser hatte die beiden Dolmetscherinnen links neben sich sitzen.

    Die Fragen richteten sich direkt an die Abgeordnete. Die wiederum blickte auf die Dolmetscherinnen, die zuerst die Frage in Gebärdensprache übersetzten – und anschließend die Antworten der SPD-Politikerin, die sich ebenfalls in Gebärdensprache ausdrückt.

    Das Verfahren dauert logischerweise etwas länger als ein Gespräch zwischen Hörenden, es geht aber verblüffend schnell.

    Die Bundestagsverwaltung hat betont, dass sie Ihnen die volle Ausübung Ihres Mandats ermöglichen will. Was braucht es für die Mandatsausübung noch außer den Einsatz von Gebärdendolmetschenden?
    HEUBACH: Erlauben Sie mir eine sprachliche Korrektur. Sie sprechen von Gebärdendolmetschenden. Damit entsteht ein Bild, als ginge es ums Gebären und die Geburt. Es sind aber Gebärdensprachdolmetschende, also Dolmetschende für die deutsche Gebärdensprache, die deutsche Lautsprache. Am einfachsten ist es sicherlich den Begriff Simultandolmetschende zu nutzen, denn genau das beschreibt die Tätigkeit. Die Dolmetschenden arbeiten genauso wie Dolmetschende für andere Sprachen auch.

    Wieder was gelernt. Ist notiert.
    HEUBACH: Und um auf Ihre Frage zurückzukommen – ich bekomme all das an Unterstützung, was andere Abgeordnete auch bekommen. Bei mir sind darüber hinaus Gebärdensprachdolmetschende im Einsatz. Das ist wohl der größte Unterschied. Wenn ich telefoniere, nutze ich über meinen Laptop einen Dolmetsch-Service. In ganz Deutschland verteilt sitzen 100 bis 150 Dolmetschende, die für diesen Service arbeiten. Wenn ich also mit Ihnen telefonieren will, dann gebe ich Ihre Telefonnummer an und, wenn nötig, zusätzliche Hintergrundinformationen, mit welchem Ziel ich dieses Telefonat führe. Die dolmetschende Person ruft Sie dann an und so stehen wir in Verbindung. Das Telefonat verläuft dann ganz normal und alles läuft über die Dolmetschenden. Das klappt reibungslos und ist ein wichtiges Mittel für die Gleichstellung. 

    Im Koalitionsvertrag der Ampel kommen die Worte Gehörlos und Handicap nicht vor. Dafür verspricht die Regierung, dass Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, unter anderem beim Wohnen, barrierefrei wird. Wie weit ist dieses Versprechen aus Ihrer Sicht bereits umgesetzt?
    HEUBACH: Barrierefreiheit hat sehr viel Facetten. Barrierefreies Wohnen ist nur ein Teil davon, hier geht es beispielsweise um rollstuhlgerechte Wohnungen. Für mich wäre eine Lichtklingel, als visuelles Signal der Klingel, wichtig. In Deutschland ist schon einiges erreicht worden, es gibt aber auch noch viel zu tun im Bereich Barrierefreiheit. Aber lassen Sie mich kurz anmerken: Viele Fragen haben sich bisher um meine Gehörlosigkeit gedreht. Für mich geht es in der Priorisierung in erster Linie um mich als Mensch, in zweiter Linie um meine Arbeit als Abgeordnete und dann erst um mich als taube oder gehörlose Person. Mir ist wichtig, dass ich nicht nur als gehörlose Person wahrgenommen werde.

    Das kommt selbstverständlich noch. Aber vorher sagen Sie uns bitte: Seit wann sind Sie gehörlos?
    HEUBACH: Das ist tatsächlich nicht ganz klar. Ich wurde vor allem von meiner Oma betreut, weil meine Eltern nach meiner Geburt schon früh wieder zur Arbeit gehen mussten. Als ich circa ein halbes Jahr alt war, hat meine Oma gemerkt, dass ich nicht drauf reagiert habe, wenn sie mich gerufen hat. Beim Arzt hieß es zunächst, dass in meiner Entwicklung alles unauffällig sei. Mit eineinhalb Jahren war ich dann in der Uniklinik Tübingen und dort wurde festgestellt, dass ich taub bin. Am wahrscheinlichsten ist, dass ich als Baby mit zwei Wochen eine Meningitis hatte, die womöglich die Taubheit ausgelöst hat. Es kann aber auch sein, dass ich schon taub geboren wurde.

    Die Parlamentsdebatte lebt von Zwischenrufen. Wie gehen Sie damit um? 
    HEUBACH: Es kommt drauf an, was das für Zwischenrufe sind. Die Dolmetschenden werden mir alle Zwischenrufe genau mitteilen, und dann werde ich inhaltlich darauf reagieren – oder sie ignorieren. 

    SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat am Dienstag erklärt, er sei gespannt, wie die AfD im Bundestag auf Sie reagiere. Er bezog sich auf Äußerungen des rechtsextremistischen Thüringer
    HEUBACH: Anfeindungen bleiben nicht aus, ich habe aber gelernt, damit umzugehen. Mein Ziel ist es, mich in meiner parlamentarischen Arbeit mit guter Politik zu befassen. Von Störfeuern lasse ich mich nicht beirren.

    Für welche Bereiche werden Sie in der Fraktion zuständig sein? 
    HEUBACH: Ich werde Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. 

    Ich habe es ja vorhin mit „Guten Tag“ in Gebärdensprache versucht und bin selbst da schon kläglich gescheitert. Aber warum gibt es diese Vakanz bei Dolmetschenden? Es gibt etwa 80.000 taube Menschen in Deutschland, das ist ja nicht wenig.
    HEUBACH: Es gibt über die Zahl von 80.000 hinaus tatsächlich mehr Personen, die Gebärdensprache nutzen, etwa schwerhörige Menschen. Dem stehen zu wenige Dolmetschende gegenüber. Wenn ich an meine Heimat Augsburg denke, dann gibt es im weiteren Umfeld nur 13 Dolmetschende. München ist größer und hat 69 Dolmetschende. Es gibt wesentlich mehr Anfragen und Bedarfe, als abgedeckt werden können. Das führt leider dazu, dass manche Menschen gar nicht mehr nach Dolmetschenden fragen, wenn sie kurzfristig jemanden benötigen. Ich kenne viele, die diese Strategie wählen. Das bedeutet, dass die tatsächlich gestellten Anfragen keinen Aufschluss über den tatsächlichen Bedarf geben. Die Dunkelziffer ist extrem hoch.

    Was für Sie aber offenbar Ansporn und nicht Entmutigung ist. 
    HEUBACH: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Dieses Zitat von Bertolt Brecht ist mein Lebensmotto und meine Handlungsmaxime. Ich versuche alle Mittel und Wege, um Barrieren aufzulösen. Für mich gibt es auch hier im Bundestag keine Barrieren, sondern Herausforderungen.

    Zur Person

    Heike Heubach wurde am 14. Dezember 1979 in Rottweil geboren und lebt mit ihrer Familie in Stadtbergen (Landkreis Augsburg). Die gelernte Industriekauffrau trat erst im November 2019 der SPD bei. Sie arbeitete bisher bei einem bayerischen Energieunternehmen und verwaltete dort das Installateurverzeichnis. Seit Mittwoch ist sie als Nachrückerin für den Oberpfälzer

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