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Interview: Buchautorin Ulrike Herrmann: "Das ist dann das Ende des Kapitalismus"

Interview

Buchautorin Ulrike Herrmann: "Das ist dann das Ende des Kapitalismus"

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    Protestaktion gegen den klimaschädlichen Abbau von Braunkohle. Ulrike Herrmann glaubt nicht, dass grünes Wachstum das Wirtschaftssystem retten kann.
    Protestaktion gegen den klimaschädlichen Abbau von Braunkohle. Ulrike Herrmann glaubt nicht, dass grünes Wachstum das Wirtschaftssystem retten kann. Foto: Thomas Banneyer, dpa

    Frau Herrmann, alle reden über Klimaneutralität. Sie haben durchgerechnet, wie sich unser Leben und Wirtschaften ändern müsste, und darüber ein Buch geschrieben. Ihr Ergebnis: Die Überflussgesellschaft funktioniert nicht mehr – was den meisten einleuchten dürfte. Aber warum muss gleich der Kapitalismus enden?

    Ulrike Herrmann: Das Kernproblem ist: Windkraft und Solarenergie werden nicht reichen, um unser gesamtes Wirtschaftssystem zu befeuern. Also wird es auf grünes Schrumpfen hinauslaufen. Das ist dann automatisch das Ende des Kapitalismus. Denn der Kapitalismus braucht Wachstum, um stabil zu sein. Nicht dass Sie denken, ich wäre eine Kapitalismuskritikerin. Ich finde ihn fantastisch, weil er Wohlstand und Wachstum ermöglicht hat. Aber ohne Wachstum kommt es sofort zu schweren Krisen. In einer endlichen Welt kann man jedoch nicht unendlich wachsen. Das ist eine Banalität. Momentan tun die Deutschen so, als könnten sie drei Planeten verbrauchen, aber es gibt nur eine Erde gibt nur eine Erde.

    Sie sagen: Wir können noch so viele Windkraft- und Photovoltaikanlagen bauen – die werden nicht reichen, um unseren Energiehunger zu stillen. Wieso nicht?

    Herrmann: Im Augenblick deckt die Windkraft erst 4,7 Prozent des deutschen Energieverbrauchs ab, die Solarenergie ist sogar nur bei zwei Prozent. Das heißt, wir müssen noch sehr viel Windkraft und Solarenergie installieren. Zudem scheint die Sonne nicht immer, und der Wind weht nicht immer. Also muss man enorme Mengen an Strom zwischenspeichern. Das ist extrem aufwendig und macht das ganze System so teuer.

    Damit bedienen Sie die Argumente derer, die schon immer gesagt haben: Die Klimawende funktioniert doch nicht. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

    Herrmann: Nein. Es ist nun einmal eine bedauerliche Tatsache, dass grünes Wachstum nicht funktioniert. Es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen, dass es auf grünes Schrumpfen hinaus laufen wird.

    Viele Menschen denken ja, dass sie schon vorne dabei sind, wenn sie ein E-Auto fahren. Stimmt aber nicht, sagen Sie.

    Herrmann: Nein, das E-Auto verschwendet zu viel Energie. Auch beim E-Auto wird deutlich mehr als eine Tonne Material bewegt, um im Schnitt 1,3 Insassen zu transportieren. Diese Art der Energieverschwendung kann man sich nicht leisten, wenn der Ökostrom knapp und teuer ist. Das ist nicht das Ende der Mobilität. Man kann ja auch Bus fahren. Die Frage ist eher: Was macht man mit den Menschen, die bisher in der Automobilindustrie arbeiten? Das sind direkt und indirekt etwa 1,75 Millionen Beschäftigte in Deutschland.

    Ulrike Herrmann ist ein häufiger Gast in Politik-Talkshows. Jetzt hat die Journalisten ein Buch über die Folgen einer konsequenten Klimapolitik geschrieben.
    Ulrike Herrmann ist ein häufiger Gast in Politik-Talkshows. Jetzt hat die Journalisten ein Buch über die Folgen einer konsequenten Klimapolitik geschrieben. Foto: Thomas Bartilla, imago

    Sehr viele davon leben in Baden-Württemberg.

    Herrmann: Ja, eben. Man kann das auch umformulieren: Was wird aus Baden-Württemberg?

    Und, was wird daraus?

    Herrmann: Viele Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn wir klimaneutral werden. Andererseits werden viele neue Arbeitsplätze entstehen – die Windanlagen müssen ja auch gebaut werden. Den Wald wird man wieder aufforsten müssen. In der ökologischen Landwirtschaft braucht man sehr viel mehr Menschen als heute, weil die schweren Maschinen, die man heute einsetzt, den Boden ruinieren. Die Arbeit geht nicht aus. Aber die Einkommen werden sinken. In einer schrumpfenden Wirtschaft werden weniger Güter hergestellt – da kann man nicht mehr so viel verdienen wie heute.

    Lassen Sie uns das mal der Reihe nach durchgehen, wie sich die Klimaneutralität auswirken würde auf unser Leben – also Mobilität, Reisen, Wohnen, Essen. Also das E-Auto ist es nicht, aber Zug und Bus sind drin?

    Herrmann: Klar. Aber beim Zugfahren kann nicht jeder permanent im ICE sitzen. Durch die hohe Geschwindigkeit verbraucht der

    Fernreisen sind passé?

    Herrmann: Nein, es spricht nichts dagegen, den Sommerurlaub in Italien zu verbringen. Aber man kann nicht permanent mit der Bahn in ganz Europa unterwegs sein. Es muss klar sein, dass Energie ein ganz wertvolles Gut ist.

    Was bedeutet die Klimaneutralität fürs Wohnen?

    Herrmann: Das ist ein heikler Punkt. Im Augenblick werden in Deutschland 60 Hektar pro Tag versiegelt, für Straßen, Industriebauten und Wohnungen. Das geht nicht. Wir brauchen den Boden, um Wasser und CO2 zu speichern. Zudem entstehen durch den Neubau große Mengen an zusätzlichem CO2, weil Zement dadurch entsteht, dass CO2 abgeschieden wird. Und man kann diesen ganzen Zement nicht durch Holz ersetzen. Also muss man Wohnraum rationieren. Im Moment leben die Deutschen im Durchschnitt auf 47 Quadratmetern. Das ist viel Platz, der allerdings sehr ungleich verteilt ist. Man wird umverteilen müssen.

    Ulrike Herrmann ist davon überzeugt, dass der Fleischkonsum drastisch gesenkt werden muss.
    Ulrike Herrmann ist davon überzeugt, dass der Fleischkonsum drastisch gesenkt werden muss. Foto: dpa

    Wie ist es beim Essen? Alles bio und kein Fleisch?

    Herrmann: Weniger Fleisch. Die Menschen müssen nicht Vegetarier werden, aber man muss den Fleischkonsum drastisch reduzieren. Im Moment werden 60 Prozent der europäischen Getreideernte an Tiere verfüttert. Das ist extrem ineffizient, weil man zum Teil zehn Getreidekalorien braucht, um eine Fleischkalorie herzustellen. Anders gesagt: Solange wir enorme Mengen Fleisch essen, kann man keine ökologische Landwirtschaft betreiben, weil die Flächen dann nicht reichen.

    Das sind keine angenehmen Aussichten. Trotzdem stehen Sie auf der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz drei. Wie erklären Sie sich das? Ist das die Lust am Untergangsszenario?

    Herrmann: Ich glaube, dass unterschwellig jeder ahnt, dass wir nicht drei Planeten verbrauchen können, wenn wir nur eine Erde haben. Außerdem beschreibe ich nicht den Untergang, sondern eine Lösung, die bisher noch nicht in der Diskussion war.

    Und wie sieht diese Lösung aus?

    Herrmann: In der Geschichte gab es bereits einmal den Fall, dass eine Wirtschaft geschrumpft werden musste. Das war in Großbritannien ab 1939. Die Fabriken mussten freigeräumt werden, um Waffen für den Krieg gegen Hitler zu produzieren. Die Konsumgüter wurden also knapp. Der Staat gab vor, was noch produziert wird – und hat die Waren dann gerecht verteilt. Es wurde also rationiert, was ungemein populär war, weil Arme und Reiche das Gleiche bekamen. Die Briten haben damals eine völlig neue Wirtschaftsform erfunden: eine demokratische private Planwirtschaft. Es war ein völlig anderes System als der Sozialismus, denn die Fabriken wurden nicht verstaatlicht.

    Mittlerweile streben fast alle Parteien außer der AfD Klimaneutralität an. Wie kommt es, dass man von keinen ähnlichen Szenarien hört?

    Herrmann: Jeder will Klimaneutralität, aber es ist unendlich unangenehm, dass dieses Ziel mit Verzicht verbunden sein könnte. Berühmt-berüchtigt ist der Veggie-Day im Wahlkampf 2013. Dies war der Vorschlag der Grünen, einmal in der Woche freiwillig einen vegetarischen Tag in den öffentlichen Kantinen einzuführen. Es war kein Gesetzesvorhaben. Trotzdem hat dies die Grünen Stimmen gekostet. Seither wissen alle Parteien, dass Verzicht kein Wahlkampfschlager ist. Man hängt lieber dem Wunschdenken vom grünen Waschtum an.

    Und Sie könnten nicht falsch liegen?

    Herrmann: Doch. Die Möglichkeit besteht immer. Aber bisher ist noch niemand mit einem Argument gekommen, das nachweisen würde, dass ich falsch liege.

    Die Ampel-Koalition hat sich gerade zu einer leichten Ausweitung der Atomlaufzeiten durchgerungen. Wie ist das in Zukunft: Brauchen wir die Kernenergie, um klimaneutral werden zu können?

    Herrmann: Nein, die Kernenergie bringt nichts. Was in der hitzigen Diskussion übersehen wird: Die Kernenergie ist weltweit gesehen eine Nischentechnologie, die im Moment etwa fünf Prozent des globalen Endenergieverbrauchs abdeckt. Würde man allein auf Akws setzen, würden die Uranvorräte nur etwa 13 Jahre reichen.

    Dass die Rohstoffe ausgehen, hat der Club of Rome schon vor 50 Jahren behauptet. Bis jetzt ist es nicht so gekommen.

    Herrmann: Stimmt. Aber man bräuchte ganz neue Technologien, zum Beispiel schnelle Brüter, damit das Uran länger reicht. Ich will nicht ausschließen, dass die schnellen Brüter irgendwann funktionieren. Aber der Punkt ist: Wir müssen bis 2045 klimaneutral sein. Das sind etwas mehr als 22 Jahre. Bis dahin wird in Deutschland nirgends ein schneller Brüter stehen, da kann man ganz sicher sein. Die Hoffnung auf technische Lösungen kann ich absolut nachvollziehen, aber die Zeit reicht nicht. Das zeigt die Rückschau: Der Computer wurde 1945 erfunden, aber die Digitalisierung haben wir erst jetzt erreicht. Weil die Zeit so knapp ist, müssen wir die Klimakrise mit der Technik bewältigen, die wir jetzt haben. Sonst wird das nichts.

    Ihr Buch hat mich schon ein bisschen deprimiert. Weil einem klar wird, wie schwer das wird. Das ist doch nicht durchsetzbar. Jede Partei, die diesen Kurs verfolgt, würde sofort abgewählt.

    Herrmann: Es stimmt, dass die Wähler meinen Vorschlag momentan nicht unterstützen würden. Aber man muss einen Unterschied machen zwischen Analyse und politischer Durchsetzbarkeit. Wenn man nur denkt, wofür es Mehrheiten gibt, muss man gar nicht neu nachdenken – weil es die Mehrheit ja schon denkt. Fortschritt ist nur möglich, wenn man gängige Annahmen hinterfragt. Und ich habe mich eben mit der Frage beschäftigt, ob grünes Wachstum möglich ist. Leider ist es eine Illusion.

    Machen Sie uns doch mal ein bisschen Mut. Sie sagen ja, wir würden immerhin nicht in der Steinzeit landen.

    Herrmann: Genau. Falls wir auf 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verzichten müssten, wären wir so reich wie im Jahr 1978. Alle, die dabei waren, wissen: Wir waren so glücklich wie heute. Damals wurde Argentinien Fußball-Weltmeister und der erste Teil von „Star Wars“ kam in die Kinos. Das Leben war nicht wirklich anders. Es gab nur keine Erdbeeren im Winter, und man ist auch nicht für zwei Tage nach Mallorca gejettet, sondern mit dem Auto drei Wochen nach Italien an den Strand gefahren. Ich glaube, dass viele sagen würden: So schlecht war es gar nicht in Italien am Strand.

    Ulrike Herrmann: „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden“, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24 Euro.

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