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Interview: Berichten Medien zu viel über die AfD, Professor Schwab?

Interview

Berichten Medien zu viel über die AfD, Professor Schwab?

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    Die AfD zieht mit ihren Provokationen viel Aufmerksamkeit auf sich – auch in den Medien.
    Die AfD zieht mit ihren Provokationen viel Aufmerksamkeit auf sich – auch in den Medien. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Schwab, manche Menschen sind der Meinung, die Medien würden der AfD zu viel Aufmerksamkeit schenken. Haben sie Recht?

    Frank Schwab: Natürlich kann man sagen, dass ein Thema stärker auf die Agenda kommt, wenn es Medien aufgreifen. Aber was wäre die Alternative? Wenn ein Medium nicht berichtet, wird es schnell in die Ecke "Systemmedien" gestellt. Sie müssen also in angemessener Häufigkeit über die AfD berichten, sonst gelten Sie als unglaubwürdig. 

    Wenn Medien berichten, helfen sie der AfD unter Umständen dabei, Themen zu setzen. Nicht zu berichten ist aber keine Option, weil man eine wesentliche Diskussion verschweigen würde.

    Schwab: Die Diskussion käme dann irgendwo im Internet hoch. Spätestens, wenn sie dort eine gewisse Schwelle erreicht, müssen auch Qualitätsmedien das reflektieren.

    Gibt es eine Grenze, ab der die Berichterstattung der AfD eher hilft, als dass sie in der Öffentlichkeit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Partei führt?

    Schwab: Eine Grenze zu benennen, ist schwierig. Aber prinzipiell ist die Gefahr weniger, dass Medien zu viel berichten. Es geht eher um die Frage, wie berichtet wird. Eine differenzierte und hintergründige Berichterstattung kann gelingen, die Debatte kann auch gut ausgehen. Das sieht man jetzt an den Protesten gegen Rechtsextremismus: Die zunehmende Diskussion über die AfD sensibilisiert die Leute. Die schweigende Mehrheit wird plötzlich laut und vernehmbar, und das ist gut. Es schüchtert die AfD nach meinem Eindruck auch ein. Die Berichterstattung spielte bei dieser Entwicklung natürlich eine Rolle.

    Ein Leser schrieb uns zur Berichterstattung über den AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba: "Das Beste wäre, wenn dieses Bürschlein in der medialen und politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden würde."

    Schwab: Mediale Bedeutungslosigkeit würde tatsächlich zur politischen Bedeutungslosigkeit führen. Wer nicht in den Medien ist, findet nicht statt. Aber es gibt heute so viele Medien, dass du eben nicht mehr in den Qualitätsmedien auftauchen musst, um stattzufinden. Wenn Ihre Redaktion oder andere Qualitätsmedien nicht berichten würden, überließen sie die Debatte den sozialen Medien. Es ist der Job von Journalisten, den Erzählungen der AfD, die vor allem auf sozialen Medien verbreitet werden, etwas entgegenzuhalten. Übrigens wissen wir aus der Jim-Studie 2023, einer Langzeitstudie zum Medienumgang der 12- bis 19-Jährigen, dass auch junge Menschen zu Qualitätsmedien wechseln, sobald es inhaltlich um die Wurst geht. 

    Ist es den Menschen nicht zunehmend egal, von wem eine Nachricht kommt?

    Schwab: Nein, aber es gibt den sogenannten Sleeper-Effekt: Wenn man einen Text liest, in der die Quelle als unseriös benannt ist, dann hat die Nachricht in den ersten vier, fünf Wochen den Stempel "Vorsicht, nicht glaubwürdig". Aber nach sechs bis acht Wochen verschwimmt die Erinnerung an die Quelle und der möglicherweise falsche Inhalt kann verzögert doch wirken. Das ist gruselig.

    Medienpsychologe Prof. Dr. Frank Schwab von der Uni Würzburg  erläutert das Verhältnis der Medien zur AfD.
    Medienpsychologe Prof. Dr. Frank Schwab von der Uni Würzburg erläutert das Verhältnis der Medien zur AfD. Foto: Thomas Obermeier

    Der Satz "Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich immer weiter" ist seit Jahren mit einem Vorwurf gegen die AfD verbunden. Können Sie den Mechanismus dahinter erklären?

    Schwab: Der amerikanische Sozialpsychologe Solomon Asch hat Anfang der 50er-Jahre mehreren Leuten drei unterschiedlich lange Striche gezeigt. Bis auf die wirkliche Testperson waren die anderen instruiert, teilweise die Unwahrheit zu sagen. Die haben dann behauptet, der eine Strich sei kürzer als der andere, obwohl das ganz offensichtlich nicht stimmte. Das Experiment wurde mehrfach wiederholt. Teilweise stimmten bis zu 60 Prozent der Testpersonen dann der Mehrheitsmeinung zu, um mit ihrer Meinung nicht alleine zu sein. Und das, obwohl sie eindeutig gesehen haben, dass die Mehrheit falschlag. Menschen reden nicht gerne über Dinge, wenn sie denken, das werde von der Mehrheit nicht gerne gehört. Das ist das klassische "Das sagt man nicht, das ist daneben". Wenn man es nun schafft, Begriffe oder Erzählungen salonfähig zu machen, obwohl sie falsch oder gefährlich sind, dann verschieben sich Grenzen.

    Wie gelingt das der AfD?

    Schwab: Vor etwa zehn Jahren gab es die große Angst, dass sich die Menschen in ganz engen Filterblasen bewegen und nur das mitbekommen, was ihnen dort begegnet. Studien zeigen, dass es diese Effekte gibt, sie sind aber kleiner als gemeinhin angenommen. Wenn es allerdings eine Gruppe ist, die sich radikalisiert hat, dann beginnt eine aktive Abschottung gegen andere Meinungen und Nachrichten.

    Ein Muster der AfD ist es, scheinbar einfache Antworten auf hochkomplexe Fragen zu geben. Haben Sie eine Idee, wie man Menschen Lust macht auf eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung?

    Schwab: Es gab früher den Blick, dass Radio, Fernsehen und Zeitungen auch eine Art Bildungseinrichtung seien. Die Menschen lesen, lernen und verstehen alle Berichte und können dann eine vernünftige Wahlentscheidung treffen. Aber es ist längst nachgewiesen, dass das nicht stimmt. Die Leute merken sich wenig und lassen sich kaum tief ein. Die Fähigkeit, Nachrichten zu verstehen, ist erschreckend gering. Menschen suchen das, was für sie ganz persönlich von Bedeutung ist, deshalb ist das Wetter zum Beispiel so relevant. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Nachrichten funktioniert meist nur über persönliche Betroffenheit.

    Also die Frage "Was bedeutet das für mich?"

    Schwab: Genau. Beeinflusst die Nachricht meinen Lebensweg? Man ist da sofort auch bei den Emotionen der Menschen, aber da sollten Medien natürlich auch nicht übertreiben. Wenn man Nachrichten überemotionalisiert, wird die Auseinandersetzung mit den Inhalten wieder oberflächlicher. Auch die Sprache ist ein Hebel: Journalismus muss vor allem verständlich sein. Konstruktiver Journalismus fördert die Bereitschaft zur tieferen Auseinandersetzung ebenfalls, vermute ich. Wenn es viele schlechte Nachrichten gibt, sind Menschen dankbar für Lösungsansätze. Wenn es Medienschaffenden gelingt, damit das berichtete Elend etwas zu entschärfen, ist das ein hoffnungsvoller Ausblick im Sinne der Leserinnen und Leser.

    Zur Person: Professor Frank Schwab leitet den Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität in Würzburg. 

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