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Interview: "Beim Schutz vor der Klimakatastrophe darf nicht gespart werden"

Interview

"Beim Schutz vor der Klimakatastrophe darf nicht gespart werden"

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    "Wir fordern die Bundesregierung auf, Lösungen zu präsentieren – von denen wir wissen, dass es sie gibt", sagt Klima-Aktivistin Luisa Neubauer.
    "Wir fordern die Bundesregierung auf, Lösungen zu präsentieren – von denen wir wissen, dass es sie gibt", sagt Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Foto: Marcus Brandt, dpa (Archivbild)

    Das Bundesverfassungsgericht hat vergangene Woche die Klimapläne der Ampel gekippt. Gelder, die für die Bekämpfung der Coronapandemie gedacht waren, dürfen nicht für den Klimaschutz verwendet werden. Es geht um 60 Milliarden Euro. Wie schwer wiegt der Schock bei Ihnen?

    Luisa Neubauer: Es ist ja erst einmal gut, dass wir ein Verfassungsgericht haben, das interveniert, wenn verfassungswidrig vorgegangen wird. Ich möchte gerade nicht in Christian Lindners Schuhen stecken. An seiner Stelle, der er diesen Haushalt verantwortet, würde ich mir große Fragen stellen. Grundsätzlich kommt mit diesem Urteil ein Problem an die Oberfläche, das schon davor existiert hat: Nämlich die Tatsache, dass es die Bundesregierung im Jahr 2023 nicht schafft, die Klimakrise als außergewöhnlichen Notfall einzuordnen. Das würde die Bundesregierung dann ja auch ermächtigen, zusätzliche Finanzmittel zu mobilisieren.

    Das Urteil zieht dem Klimaschutz den Boden unter den Füßen weg. Eine Reihe von Projekten, die den Weg zu einer Klimaneutralität ebnen sollten, drohen wegzufallen. Was muss denn jetzt passieren?

    Neubauer: Unsere Forderung ist jetzt: Beim Schutz der Menschen vor der Klimakatastrophe darf nicht gespart werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, Lösungen zu präsentieren – von denen wir wissen, dass es sie gibt. Fridays for Future fordert ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Klima und Sicherheit. Das haben wir schon vor einem Jahr gemacht. Jetzt zeigt sich noch mal in aller Klarheit, warum das notwendig ist. Gleichzeitig ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, klimaschädliche Subventionen zu hinterfragen, für die wir offensichtlich kein Geld haben.

    Sollen oder müssen jetzt neue Schulden fürs Klima gemacht werden? Also: Muss Ihrer Ansicht nach die Schuldenbremse weg?

    Neubauer: Man kann aus vielen Gründen über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse in der aktuellen Form sprechen. Für jetzt fordern wir, wie gesagt, ein Sondervermögen für das Klima. 

    Gibt es denn in der Politik und in der Bevölkerung gerade genügend Rückhalt für Klimathemen? Oder droht der Klimaschutz angesichts so vieler weltpolitischer Krisen ins Hintertreffen zu geraten?

    Neubauer: Sie ist ja schließlich auch weiterhin da, egal, wie viel wir um die Ohren haben. Die Klimakrise interessiert es nicht, was wir sonst auf unserer To-do-Liste stehen haben. In dem Augenblick aber, in dem das politisch nicht passiert, haben wir es alle schwer. Dann ist es leicht, zu verdrängen, dass wir einen Klimanotstand haben, der ganz dringende Antworten braucht. Und es ist leicht zu verdrängen, dass wir wahnsinnig gute Lösungen haben, auf die wir zurückkommen könnten. Es geht nicht darum, Klimaschutz um des Klimas willen zu machen, sondern damit es die Menschen besser haben, damit sie sicherer sind, auch hier in Deutschland.

    Das Bewusstsein dafür fehlt also?

    Neubauer: Ja, oft. Solange der Kanzler das Klima nicht demonstrativ zur Chefsache macht und Menschen immer wieder für schnelle und radikale Krisenbewältigung begeistert, so lange vermittelt er den Eindruck, die Klimakrise sei eben auch nicht wichtig genug. Wenn Menschen dann denken, dass die Krise auf uns warten würde, dann ist es wiederum auch schwer, die Menschen für echte und gerechte Lösungen zu begeistern. Die können laut dieser Logik ja auch warten. Ein politischer Teufelskreis. 

    Noch einmal zurück zu den weltpolitischen Krisen: Greta Thunberg hat sich mehrmals zum Krieg in Gaza geäußert. Sie hat Partei für die Palästinenser ergriffen, was an sich vielleicht noch kein Problem gewesen wäre. Aber sie hat eben die Massaker der Hamas und das Leid der Menschen in Israel mit keinem Wort erwähnt. Schadet das dem Ansehen der ganzen Klimabewegung?

    Neubauer: Wir in Deutschland haben in aller Klarheit gezeigt, dass wir da durchnavigieren können und dass wir uns nicht wegducken. Wir haben uns von einseitigen Statements distanziert und vertreten unsere Haltung ganz klar.

    Sollte sich eine Klimabewegung überhaupt auf großer Bühne zu solchen Themen äußern? Sollte sie nicht eher bei ihren Kernkompetenzen bleiben?

    Neubauer: In Demokratien wie Deutschland können wir die Klimakrise als ökologisches Desaster für sich behandeln, wir haben aber auch das Privileg, dass wir hier frei unsere Meinung äußern können, eben auch zu politischen Themen. Dieses Privileg haben viele andere Aktivistinnen und Aktivisten rund um die Welt nicht, weil sie in repressiven Gesellschaften leben und bei jeder etwaigen Kundgebung damit rechnen müssen, verfolgt oder verhaftet zu werden. Ich finde es hier in Deutschland aber auch richtig, immer wieder zu überprüfen: Wie eng verknüpfen wir die Dinge?

    Vor Kurzem haben Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" erneut das Brandenburger Tor beschmiert. Was halten Sie von solchen Aktionen?

    Neubauer: Ich kann verstehen, wenn es Menschen stört, und als Fridays for Future laden wir alle Menschen ein, sich in anderer Art und Weise gegen die Klimakrise zu engagieren. Abgesehen davon finde ich nicht, dass wir uns alle darüber einig werden müssen, wie wir am besten protestieren – solange wir uns einigen können, dass Protest weiterhin notwendig ist. Und zwei Jahre nach Beginn der Aktionen der "Letzten Generation" wäre es vielleicht an der Zeit, sich auch journalistisch Gedanken darüber zu machen, ob man mal wieder über das eigentliche Thema, nämlich das Klima sprechen könnte, statt die Empörung über Straßenblockaden und beschmierte Gebäude in die Unendlichkeit zu tragen. 

    Noch ein Ausblick: Bald beginnt die Weltklimakonferenz in Dubai. Mit wie viel Optimismus – oder Pessimismus – schauen Sie auf das Treffen?

    Neubauer: Ich schaue mit Sorge auf das Treffen. Die Klimakonferenz hat es ohnehin schon schwer, vor der Klimakrise zu bestehen. Dieses Jahr muss sie noch vor einer Reihe anderer Krisen bestehen. Das ist viel erwartet von so einer Konferenz. Ich glaube, wenn wir einigermaßen gesammelt aus der Sache rauskommen, dann wäre ich schon froh. Wir haben vor Ort auch ellenlange To-do-Listen, das Ende der Öl- und Gas-Ära soll eingeleitet werden, die erneuerbaren Energien sollen mit einem Ziel festgelegt werden, es stehen große Finanzierungsfragen im Raum. Wir steuern bis Ende des Jahrhunderts auf drei Grad Erhitzung zu. Wir haben da einfach sehr viel zu tun. Ich hoffe, dass wir ein bisschen davon angehen können.

    Zur Person: Luisa Neubauer, 27, ist Klimaschutzaktivistin und die prägende Figur von "Fridays for Future" in Deutschland. Seit 2019 ruft die Bewegung zu Demonstrationen auf. 

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