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Interview: Asylexperte Thym: "Lage in den Herkunftsländern hat sich verändert"

Interview

Asylexperte Thym: "Lage in den Herkunftsländern hat sich verändert"

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    Daniel Thym plädiert dafür, Menschen aus Afghanistan und Syrien seltener subsidiären Schutz zu gewähren.
    Daniel Thym plädiert dafür, Menschen aus Afghanistan und Syrien seltener subsidiären Schutz zu gewähren. Foto: Teutopress, Imago

    Herr Thym, in Fragen der Zuwanderung wird die Rhetorik der Politik schärfer. Ist das nur Getöse oder sehen Sie konkrete Weichenstellungen?
    DANIEL THYM: Getöse ist das sicherlich, allein wenn man auf die Lautstärke der Debatte blickt. Die Politik hat das Gefühl, auch angesichts der Wahlergebnisse, dass Migration ein wichtiges Thema ist und sie Signale senden muss. Die Frage wird sein, ob die Politik auch bereit ist, die Ankündigungen, die sie gerade macht, umzusetzen. 

    Was glauben Sie?
    THYM: Speziell, wenn es um das Thema Abschiebungen nach Afghanistan geht, scheint das der Fall zu sein. 

    Ist das wirklich so einfach? Es gibt ja noch nicht einmal diplomatische Beziehungen zu Afghanistan oder auch zu Syrien. 
    THYM: Es ist nie einfach – auch bei anderen Herkunftsländern nicht. Deshalb haben einige Bundesländer, etwa Bayern und Baden-Württemberg, in den vergangenen Jahren spezielle politische Stäbe eingerichtet. Tatsächlich sind Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien aber besonders kompliziert. Hinzu kommt, dass ohnehin nur bestimmte Personen überhaupt abgeschoben werden können. Menschen, die von den Taliban verfolgt werden, Richter, die sich für Menschenrechte einsetzen, Frauen, die drangsaliert werden, können unter keinen Umständen abgeschoben werden, da wird sich die Politik auch künftig die Zähne ausbeißen. 

    Selbst wenn diese Menschen Straftaten begangen haben?
    THYM: Bei der Frage, ob jemand abgeschoben werden darf, kommt es nicht darauf an, was derjenige in Deutschland gemacht hat, sondern wie er im Herkunftsland behandelt würde. Für Menschen, die etwa von den Taliban oder vom Assad-Regime in Syrien verfolgt würden, gilt ein absolutes Abschiebungsverbot. Das trifft übrigens häufig auf Islamisten zu. Sowohl die syrische als auch die afghanische Regierung ist mit einigen Islamisten verfeindet, für das Taliban-Regime und Baschar al-Assad ist etwa der Islamische Staat einer der größten Konkurrenten. Menschen, die dem IS angehören, würden in den Folterkellern oder am Galgen landen. 

    Wie schätzen Sie insgesamt die Bedrohungslage in Afghanistan und Syrien ein? Beide Staaten stehen ja an der Spitze der Herkunftsländer.
    THYM: Wenn wir uns die Asylstatistiken anschauen, sieht man, dass etwa die Hälfte der Menschen, die aus Afghanistan zu uns kommen, im Heimatland verfolgt wird. Aber auch die andere Hälfte ist bislang durch ein Abschiebeverbot geschützt, weil die deutschen Gerichte zumindest bislang davon ausgehen, dass die Lebensbedingungen selbst für junge, alleinstehende, gesunde Männer in Afghanistan so schlecht sind, dass man sie wegen drohender extremer Armut nicht abschieben darf. Hier sehe ich durchaus Spielraum. Die Politik muss die Gerichte davon überzeugen, dass das so nicht mehr stimmt – es ist auch legitim, wenn die Politik mahnt, dass die Gerichte insgesamt strenger sein sollten. 

    Tatsächlich scheitern Abschiebungen immer wieder an den Gerichten. Wie beurteilen Sie das?
    THYM: Ich finde es richtig, dass die Politik sich in den Graubereichen auch mal vortastet und Debatten anstößt. Selbst wenn die Gerichte keinen politischen Anweisungen folgen und unabhängig sind, werden sie die Diskussionen wahrnehmen. Die Abschiebungsverbote wegen schlechter Lebensbedingungen sind so ein Fall. Das Recht ist gerade in diesem Punkt extrem abstrakt, es regelt nur, dass unmenschliche Behandlung verboten ist – vieles andere ist Auslegungssache. Hier ist die Rechtsprechung aktuell aus meiner Sicht zu großzügig. Was früher richtig war, überzeugt heute nicht mehr. 

    Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert statt des subsidiären Schutzes, den viele Afghanen und Syrer erhalten, verstärkt Einzelfallprüfungen. Dieser Punkt wird von immer mehr Politikern aufgegriffen. 
    THYM: Man muss den subsidiären Schutz gar nicht abschaffen, es gibt durchaus Spielraum. Was die Politik machen könnte, ist, gut vorbereitete Einzelfälle vor Gerichte zu bringen und die Justiz so dazu zu bringen, die veränderte Lage in den Herkunftsländern anzuerkennen. Gerade bei den Afghanen könnte man da einiges in Bewegung bringen, es würden dann nicht mehr alle diesen Schutzstatus bekommen. Selbst für Syrien kommt die Europäische Asylagentur zu dem Schluss, dass vor allem im Zentrum des Landes und an der Mittelmeerküste kaum noch Kämpfe in einem Umfang stattfinden, der es rechtfertigen würde, Menschen pauschal einen subsidiären Schutz zu gewähren. Hinzu kommt, dass Assad gar nicht alle Regionen in Syrien kontrolliert. 

    Bleibt die Frage, mit wem man darüber verhandelt, wenn es keine direkten Gespräche mit den jeweiligen Regierungen gibt. 
    THYM: Ich glaube, dass allein die Änderung des Schutzstatus einen Effekt hätte. Wer nur noch geduldet ist, hat weniger Rechte als jemand, der subsidiären Schutz erhält. Ein Familiennachzug ist ausgeschlossen, Leistungen in Höhe des Bürgergelds gibt es erst nach 36 Monaten, Heimatbesuche sind nicht mehr möglich, die Menschen müssten länger in einer zentralen Unterkunft wohnen. Das könnte in einem gewissen Umfang einen Abschreckungseffekt haben. Der ließe sich noch steigern, wenn der Staat Abschiebungen zumindest in einigen Fällen realisiert, weil dann die Furcht besteht, dass man nicht mehr wie bisher auf Dauer in Deutschland bleiben kann. Aber solange Syrer und Afghanen automatisch Schutz erhalten, darf sich die Politik nicht wundern, wenn die Zugangszahlen hoch bleiben.

    Im Innenministerium versucht man, die Rückführung über Nachbarstaaten zu organisieren, Afghanen also nach Usbekistan zu bringen, damit die dortige Regierung sie nach Afghanistan abschiebt …
    THYM: Ich habe mich immer gewundert, warum der Sonderbeauftragte der Regierung, Joachim Stamp, seit Monaten mit Usbekistan über ein Migrationsabkommen verhandelt. Von dort kommen schließlich kaum Flüchtlinge und an Fachkräfte denkt man im Zusammenhang mit dem Land auch eher nicht. Vorbild für ein solches Abkommen dürften die Schweden sein, die seit ein paar Jahren Afghanen über den Umweg Usbekistan abschieben. Die Bundesregierung muss also nicht bei null anfangen. Sollte sie sich dazu entschließen, würde das zwar nur wenige Personen betreffen, aber man könnte der Bevölkerung das Signal geben, dass man die Kontrolle übernommen hat. Und ein Signal nach außen senden, dass nicht jeder automatisch in Deutschland geschützt wird. 

    Müssten Gesetze geändert werden, um Abschiebungen zu vereinfachen?
    THYM: Die Grundfrage, wer bei uns Schutz erhält, ist im Wesentlichen auf europäischer Ebene geregelt. Hier Änderungen vorzunehmen, das wäre ein sehr dickes Brett. Spielraum gibt es eher bei einzelnen Schritten: Wie handhaben die Gerichte die EU-Vorgaben, kümmern sich die Bundesländer oder der Bund um Abschiebungen, wie organisiert man die Abschiebehaft …

    Zur Person

    Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Uni Konstanz. Der renommierte Migrationsexperte gehört unter anderem zu der Gruppe von Sachverständigen, die prüfen sollen, ob ein Asylverfahren auch in Drittstaaten möglich ist. Thym war bis 2022 stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR). Er ist Leiter des Forschungszentrums Ausländer- & Asylrecht (FZAA).

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