Herr Scheuer, das ist Ihr letztes Interview als Verkehrsminister. Wenn es erscheint, werden Sie den Schlüssel schon Ihrem Nachfolger Volker Wissing von der FDP übergeben haben. Haben Sie bereits alle Kisten gepackt, und wenn ja, wie viele?
Andreas Scheuer: Das waren gar nicht so viele. Es waren zum Schluss acht Umzugskisten.
Sind Sie beim Ausräumen auf etwas Skurriles gestoßen, das Sie zum Beispiel als Gastgeschenk im Ausland bekommen haben?
Scheuer: Von meinem polnischen Kollegen habe ich einen Wasserstoffzug geschenkt bekommen. Der ist wohl einen Meter lang und steht im Regal – ausgestellt für meinen Nachfolger. Die Geschenke bei Auslandsreisen bekommt man ja nicht persönlich, sondern als Minister. Die bleiben alle hier. Wegen der Corona-Pandemie konnten viele Begegnungen gerade im Ausland leider nur virtuell stattfinden. Das war schade.
Wie schauen Sie auf die vergangenen vier Jahre zurück – wehmütig, stolz, erleichtert oder eine Mischung aus allem? Sie waren der umstrittenste Minister des Kabinetts und mussten massive Kritik aushalten.
Scheuer: Ich bin emotional, weil ich insgesamt acht Jahre in diesem Haus gearbeitet habe – zunächst als Staatssekretär, dann als Minister. Es hat mir viel Freude gemacht und war mir eine große Ehre. Deswegen ist das Herz schwer. Es ist auch eine Freude da, Freude darüber, dass man so viel anstoßen konnte. Neben vielen großen Projekten, 54 Gesetzen, 37 Verordnungen, 13 Programmen denke ich da zum Beispiel an meine USA-Reise vor kurzem, bei der mich ein Professor der Stanford University beglückwünscht hat zu unserer Forschung an Biokraftstoffen. Die engste Zusammenarbeit für Stanford läuft mit Deutschland. Ich denke auch an das Lob in Amerika für unseren Rechtsrahmen für das autonome Fahren. Aber es war auch nicht leicht die letzten Jahre.
Sie meinen die geplatzte Maut?
Scheuer: Ja natürlich. Wenn man jetzt dieses eine Projekt wegdenken würde, stünde man persönlich auch anders da. Wir haben an vielen Stellen Deutschland umgegraben. Es gab eine Zeit, da war ich Staatssekretär, da musste sich der Verkehrsminister entschuldigen, weil es zu wenige Baustellen gab. Jetzt musste ich mich fast schon entschuldigen, dass es so viele Baustellen gibt. Wir haben da viel geschafft. Oft ist nicht bekannt, dass in vielen Projekten das Verkehrsministerium drinsteckt. Vom Forschungsauftrag an der Uni XY bis zur Südbahn am Bodensee, die wir jetzt fertiggestellt haben. Wenn etwas nicht so läuft, ist es interessanter als die vielen, vielen Dinge, die richtig gut laufen. Das ist die Schattenseite des Hauses.
Beißen Sie sich in den Hintern, dass Sie mit der Unterschrift unter die Maut-Verträge nicht auf das Urteil der Europarichter gewartet haben?
Scheuer: Es ist ja nicht so, dass ich diese Entscheidung einfach nach Gutdünken gefällt habe. Wir haben das sehr intensiv abgewogen. Es waren Hundertschaften von Experten an diesem Projekt dran mit vielen tausend Seiten von Gutachten. Seinerzeit ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass es – auch von der Haushaltsplanung her – an der Zeit ist zu entscheiden. Die Vergabe der Maut lief ja bereits, als ich Minister wurde. Ich musste das beschlossene Gesetz als Minister umsetzen.
Die Autobahn GmbH mussten Sie auch umsetzen. Die ursprünglich veranschlagten Kosten haben sich verdreifacht. Auch dafür werden Sie scharf angegriffen…
Scheuer: Die Autobahn GmbH ist die größte Verwaltungsreform Deutschlands. Hat davon ein Autofahrer in Deutschland etwas mitgekriegt, weil sich dadurch eine Baustelle in diesem Land verzögert hätte? Nein. Das ist das größte Kompliment. Man muss lernen, dass viele schon von Beginn an genau wissen, wie man es anders oder besser machen sollte. In ein paar Jahren wird man feststellen, es ist ziemlich viel gut gelaufen.
Sie sind ein Vollblutpolitiker. Ich habe mich dennoch in den vergangenen Jahren gefragt: Wie schafft es der Scheuer weiterzumachen? Jeden Tag reißt er zwölf Stunden und mehr ab, und die Pfeile prasseln nur so auf ihn ein. Wie macht man da weiter jeden Tag?
Scheuer: Manchmal ist es schon das Gefühl von Don Quijote mit den Windmühlen. Wir haben über zehn Jahre die beschlossene Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung umgesetzt. Und wir haben diese jetzt abgeschlossen. Da hat keiner darüber berichtet, wenn ich das einmal sagen darf. Lief ja gut. Jetzt investieren wir Rekordmittel in die Wasserstraßen. Das ist der Durchbruch.
Auf welche drei Dinge sind Sie stolz, die sie als Minister erreicht haben?
Scheuer: Dürfen es auch mehr sein (lacht)? Fangen wir einmal an. Zuerst der Umbau in eine Mobilität der Zukunft. Darunter sind Rekordmittel für die Radwege, Rekordmittel für die Bahn, das Deutsche Zentrum Mobilität der Zukunft und der Rechtsrahmen für das autonome Fahren. Zweitens der technologieoffene Ansatz. Nicht nur die Elektromobilität wird die Antriebsart der Zukunft sein, sondern auch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe. Ich hoffe, dass die Koalition den offenen Ansatz weiter nach vorne führt, alles andere wäre industriepolitischer Selbstmord. Und das Dritte ist die Verbindung von Mobilität und Digitalisierung. Volker Wissing kommt in ein gut bestelltes Haus und wird Dinge ernten, die wir gesät haben. So ist Politik.
Apropos Digitalisierung – Voraussetzung dafür ist schnelles Internet. Wie zufrieden sind Sie bei der Beseitigung lahmer Leitungen und weißer Flecken?
Scheuer: Der Webfehler dieses Ministeriums ist die starke Verschränkung der drei Ebenen des Staates – Bund, Länder und Kommunen. Wir haben alle Milliarden für schnelles Internet zur Verfügung gestellt, die Programme überarbeitet und vereinfacht, und dennoch haben wir in Deutschland einen Flaschenhals bei der Umsetzung vor Ort. Wir schaffen es zu langsam, die vom Bund bereitgestellten Gelder vollständig und schnell zu verbauen. Aber es sind dennoch eine Menge an Glasfaser-Anschlüssen neu geschaffen worden. Der Anlauf ist aber zu lang, bis einmal ein Bagger einen Graben zieht. Und wir haben jetzt den ersten Mast für ein gutes Handynetz aufgestellt, wo vorher gar nichts war – weißer Fleck. Und das binnen Monaten. Da kommen jetzt noch viel mehr hinterher durch die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft.
Vom Machen kommen Sie jetzt zum Kritisieren. Sie gehen in die Opposition. Haben Sie jemals ans Aufhören gedacht?
Scheuer: Ich darf meine Heimat Passau wieder als Abgeordneter im Bundestag vertreten. Das ist eine ehrenvolle Aufgabe, und deshalb habe ich nicht daran gedacht, aufzuhören.
Und ist Opposition nun Mist?
Scheuer: Ich habe, als ich 2002 neu in den Bundestag kam, drei Jahre Opposition miterlebt. Man hat viele gute Ideen, aber keine Mehrheit. So ist das in der Demokratie. Aber wir werden die Regierung kontrollieren. Und diese neue Koalition hatte keinen guten Start. Sie hat in der Bekämpfung der Pandemie viel wertvolle Zeit verloren.
Bleiben Sie Verkehrspolitiker?
Scheuer: Lassen Sie sich überraschen.