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Interview: Alexander Graf Lambsdorff: "Deutschland kann und sollte mehr tun"

Interview

Alexander Graf Lambsdorff: "Deutschland kann und sollte mehr tun"

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    FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff wirft dem früheren SPD-Kanzler Gehard Schröder und seiner Nachfolgerin Angela Merkel eine „erschreckende Bilanz der Regierungszeit“vor.
    FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff wirft dem früheren SPD-Kanzler Gehard Schröder und seiner Nachfolgerin Angela Merkel eine „erschreckende Bilanz der Regierungszeit“vor. Foto: Jörg Carstensen, dpa (Archivbild)

    Im Osten der Ukraine gibt es harte Kämpfe um die Großstädte mit vielen Toten. Viele Stimmen warnen vor einem langen Zermürbungskrieg. Wie bewerten Sie denn aktuell die Lage?

    Alexander Graf Lambsdorff: Die Lage ist schwieriger, als sie auf den ersten Blick erscheint. Im Osten des Landes rücken russische Einheiten vor und besetzen weitere Landesteile. Bei einigen erweckt das den Eindruck, als ob es auf einen Erfolg Russlands zulaufen würde. Aber Wladimir Putin ist trotz dieser Entwicklungen auf dem Schlachtfeld im Osten der Ukraine nach wie vor weit von seinen eigentlichen Kriegszielen entfernt: einer Demilitarisierung der Ukraine, einer vollständigen Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte, einer Absetzung der ukrainischen Regierung und einer Auslöschung der ukrainischen Staatlichkeit.

    Die USA, Großbritannien und die osteuropäischen Staaten fordern, die Ukraine jetzt schneller und stärker mit der Lieferung schwerer Waffen zu unterstützen. In der Öffentlichkeit bietet die Koalition hier ein zerstrittenes Bild und Deutschland steht als Bremser da.

    Lambsdorff: Dieser internationale Eindruck ist ziemlich uneinheitlich. Ich habe in den vergangenen Tagen hierzu in Spanien Gespräche geführt, und dort hält man die deutsche Unterstützung für sehr stark. In anderen Ländern sieht man das ähnlich. Deutschland ist in der Nato keineswegs isoliert, auch wenn Polen und die baltischen Staaten das gelegentlich anders intonieren. Trotzdem sagen wir als FDP, dass wir beim Schützenpanzer Marder den Ukrainern mehr Unterstützung zukommen lassen sollten, und wir wünschen uns, dass wir hierzu in der Bundesregierung einen Konsens erzielen.

    Andere Staaten tun mehr: Amerika und Kanada haben der Ukraine über 150 moderne Feldhaubitzen überlassen. Norwegen hat gerade 22 Panzerhaubitzen geliefert, das sind dreimal so viele, wie Deutschland überhaupt in Aussicht gestellt hat. Ist das nicht ein Missverhältnis?

    Lambsdorff: Auch wir als FDP sagen, Deutschland kann und sollte mehr tun. Aber so einfach ist es nicht: Haubitzen dienen dem Kampf über weite Entfernungen, sie feuern über 15 bis 30 Kilometer und teils noch weiter. Sie wurden, wie sie sagen, an die Ukraine geliefert. Es bleibt aber wichtig: Haubitzen sind keine Gefechtsfeldwaffen und sind deshalb auch nicht mit Kampfpanzern zu verwechseln, die unmittelbare Kämpfe austragen können. Auch Norwegen liefert keine schweren Gefechtsfeldwaffen. Was noch dazukommt: Deutschland hat seit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren die Bundeswehr kaputtgespart. Mit dem Sondervermögen sind wir als Ampelkoalition gerade dabei, das zurückzudrehen. Aber die Bundeswehr hat momentan nun einmal nicht so viel Material auf dem Hof stehen, dass man es liefern könnte, ohne die eigene Verteidigungsfähigkeit zu beschädigen. Beim Leopard schauen wir, was die Verbündeten machen. In der Ukraine gibt es weder französische noch britische, italienische oder amerikanische Kampfpanzer. Insofern gibt es auch keinen deutschen Leopard-Panzer. Die Marder sind Schützenpanzer. Sie stehen auf dem Hof bereit, sie könnten aufbereitet und geliefert werden. Wir sind als FDP der Meinung, dass dies auch geschehen soll.

    Kann das zu einer Belastung für die Koalition werden?

    Lambsdorff: Über dieses Thema reden wir in der Koalition sehr intensiv miteinander, sowohl hinter den Kulissen als auch öffentlich. Ich glaube aber nicht, dass die Koalition darüber in einen gefährlichen Streit geraten könnte. Schließlich verfolgen auch viele Menschen im Land die Waffenlieferungen mit Sorge. Die Koalition wird diesen demokratischen Streit unter Partnern aushalten und im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffen.

    Nach außen gibt die Koalition in sehr vielen Fragen ein zerstrittenes Bild ab. Wird die Stimmung nicht auch intern immer schlechter?

    Lambsdorff: Uneinigkeit herrscht bei einzelnen Themen. Das ist aber nicht ungewöhnlich, wenn unterschiedliche Parteien miteinander regieren, die unterschiedliche Akzente setzen. Man muss hier aber klar trennen zwischen den großen Linien der Koalition und diesen kleineren Auseinandersetzungen. Bei den wirklich wichtigen strategischen Fragen, etwa der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der besseren Ausrüstung der Bundeswehr, einer klaren Unterstützung der Ukraine und den Fortschritten beim Klimaschutz sind die Koalitionspartner genauso unterwegs, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Entscheidend ist, dass die Ampelkoalition das Land in die richtige Richtung führt. Gerade für die Sicherheitspolitik trifft dies zu hundert Prozent zu.

    Nicht nur innerhalb der Koalition, auch in Europa herrscht Streit. Besonders harte Kritik gibt es an Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, man solle Russland nicht demütigen. Wie haben Sie diese Aussage empfunden?

    Lambsdorff: Ich hätte mir gewünscht, Präsident Macron hätte sich nicht so geäußert. Selbst wenn man diese Position vertritt, so muss man auch den aktuellen Zeitpunkt bedenken. Als Vorsitzender der deutsch-baltischen Parlamentariergruppe kann ich nur sagen, dass Macrons Aussagen im Baltikum für erhebliche Irritation gesorgt haben. Deshalb war es so wichtig, dass der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Litauen jetzt die Aufstockung unserer dort stationierten Bundeswehr-Einheiten bekannt gegeben hat. Das ist echte Solidarität.

    Doch in der Frage der EU-Perspektive für die Ukraine gelten Deutschland und Frankreich als Bremser, während selbst die EU-Kommission wesentlich klarere Perspektiven für einen Beitrittskandidaten-Status formuliert. Warum ist die Bundesregierung so zurückhaltend und gibt den Ukrainern nicht ein jetzt wichtiges Signal der Hoffnung?

    Lambsdorff: Ich halte es immer für wichtig, Unterstützung zu gewähren, aber keine Versprechungen zu machen, die man nicht halten kann. Österreich hat bereits klar verkündet, dass es einem Kandidatenstatus nicht zustimmen will, und in der Europäischen Union benötigen wir in dieser Frage Einstimmigkeit. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung die Beitrittsperspektive bejaht, aber sie momentan nicht mit einem Kandidatenstatus verbindet. Wir müssen die Ukraine unterstützen, auch auf ihrem Weg in Richtung Europäische Union.

    Angela Merkel hat dieser Tage erklärt, dass sie schon früh als Kanzlerin Putins Hass auf den Westen, auf die Europäische Union gespürt habe. Auch Sie haben in Ihrem ein Jahr vor dem Krieg erschienenen Buch „Wenn Elefanten kämpfen“ vor Russlands Gefahr gewarnt. War der Krieg von Anfang an eine logische Entwicklung, wenn man

    Lambsdorff: Es ist tatsächlich so. In meinem Buch habe ich der russischen Politik mehrere Kapitel gewidmet. Und wenn ich heute meine Kapitelüberschriften lese, über das russische Trauma, über die Geschichte als Ideologieersatz, und wie Moskau wieder Länder als russische Erde sammelt, bis hin zur Überschrift „Russland im Krieg“, dann sind wir tatsächlich mit einer logischen und absehbaren Entwicklung konfrontiert. Was mich an Frau Merkels Aussage irritiert, ist, dass sie diese feindliche Haltung Putins zwar früh erkannt haben will, das aber überhaupt keine Konsequenzen für ihre Energiepolitik hatte. Hier hat sie Deutschland in eine Abhängigkeit von Russland getrieben, die uns jetzt sehr teuer zu stehen kommt. Das betrifft nicht nur unsere Energiepreise, sondern auch unser internationales Ansehen: Deutschland tut sich schwer, seinen Partnern zu erklären, warum es jetzt nicht von russischem Gas loskommt.

    Wo sehen Sie denn die entscheidenden Fehler?

    Lambsdorff: In Deutschland reden wir nicht erst seit heute davon, unsere Energiequellen zu diversifizieren, sondern seit 20 Jahren. Geschehen ist aber das exakte Gegenteil dessen, worüber alle geredet haben. Wir haben weniger Diversifizierung, nicht mehr. Andere Staaten haben in den letzten Jahren Flüssiggasterminals gebaut und beziehen kein russisches Gas mehr. Das können wir in Deutschland nicht. Das heißt, wir sind durch Frau Merkel, auch durch Herrn Schröder, in eine Position manövriert worden, in der unsere nationale Souveränität in energiepolitischer Hinsicht nicht mehr gegeben ist. Ich finde das eine wirklich erschreckende Bilanz der Regierungszeit dieser beiden Bundeskanzler.

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