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Interview: Ärztegewerkschaftschefin warnt: "In den Kliniken herrscht massiver Spardruck"

Interview

Ärztegewerkschaftschefin warnt: "In den Kliniken herrscht massiver Spardruck"

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    "Die Ärztinnen und Ärzte spüren in den Krankenhäusern einen massiven Spardruck", sagt Susanne Johna, Bundesvorsitzende des Marburger Bundes.
    "Die Ärztinnen und Ärzte spüren in den Krankenhäusern einen massiven Spardruck", sagt Susanne Johna, Bundesvorsitzende des Marburger Bundes. Foto: Christian Charisius, dpa

    Frau Johna, Sie haben mit Ihrer Ärztegewerkschaft dieses Jahr bei den „Alarmstufe Rot“-Protesten gegen die Finanznot der Krankenhäuser demonstriert. Nun schreiben vier von fünf Krankenhäusern rote Zahlen. Was bedeutet das in der Praxis im Klinikalltag?
    SUSANNE JOHNA: Die Ärztinnen und Ärzte spüren in den Krankenhäusern einen massiven Spardruck und zugleich eine große Verunsicherung wegen der geplanten Krankenhausreform. Wir verzeichnen schon jetzt wegen der hohen Inflationskosten so viele Klinikinsolvenzen wie noch nie, im kommenden Jahr droht sich die Lage noch weiter zu verschärfen. Unsere Mitglieder berichten von Investitionsstopps in vielen Kliniken aufgrund der Unsicherheit, wie sich die Krankenhausreform vor Ort auswirken wird. Es werden vielerorts keine neuen Anschaffungen gemacht, weil man nicht weiß, in welcher Form das eigene Haus oder eine bestimmte Abteilung in zwei Jahren noch existieren. All das belastet die tägliche Arbeit in den Klinken zusätzlich zum Fachkräftemangel sehr.

    Wird der Streit zwischen Bund und Ländern um die Krankenhausreform auf dem Rücken der Ärzte ausgetragen?
    JOHNA: Der Streit wird vor allem auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen. Es wird der völlig falsche Eindruck erweckt, dass wir in Deutschland in allen Bereichen eine üppige Versorgung hätten. Das ist nicht der Fall. Wir stoßen gerade in der Intensiv- und Notfallmedizin häufig an Kapazitätsgrenzen. Auch sehen wir in den regionalen Meldesystemen für freie Betten immer öfter, dass Bereiche rot gemeldet sind, das heißt, diese Kliniken können keine Patienten mehr aufnehmen, bei denen ein planbarer Eingriff vorgenommen werden soll. Gerade im Winter erleben wir, dass viele Infekte sich akut zum Notfall verschlechtern. Bei vielen Notfällen müssen dann die Rettungswagen weitere Strecken fahren, um an einer Klinik anzukommen, die diese Patienten aufnimmt.

    Befürchten Sie, dass sich die Lage für Patienten durch die Krankenhausreform verschlechtert?
    JOHNA: Versorgungsprobleme drohen sich zu verschärfen, wenn Betten und Kapazitäten beispielsweise in der Intensivmedizin abgebaut werden oder ganze Krankenhaus-Standorte wegfallen. Nichtsdestotrotz sind wir auch als Marburger Bund der Meinung, dass eine Strukturreform notwendig ist. Aber die Reform muss gut geplant sein. Sie darf eben nicht dazu führen, dass es zu Insolvenzen oder Schließungen wichtiger Abteilungen kommt, die wir für die Versorgungssicherheit brauchen.

    Ähnliches kritisieren auch die Länder. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verweist aber darauf, dass 30 Prozent der Betten leer stehen und das knappe Personal an den richtigen Stellen eingesetzt werden müsse. Hat er da nicht recht?
    JOHNA: Dass unter 70 Prozent der Betten belegt sind, liegt nicht nur daran, dass derzeit weniger Fälle ins Krankenhaus kommen, sondern dass in vielen Kliniken wegen des Pflege-Fachkräftemangels Stationen geschlossen sind. Wir haben in Deutschland mehr Betten pro Einwohner als in vielen anderen Ländern, aber die Unterschiede sind nicht so groß, wie es scheint. Und eine Belegung von 100 Prozent kann niemand wollen, weil wir dann massive Versorgungsprobleme und Patienten auf den Fluren hätten.

    Was erwarten Sie von der Politik?
    JOHNA: Bund und Länder müssen an einem Strang ziehen. Es darf nicht dazu kommen, dass die notwendigen Veränderungen, welche die Krankenhausreform leisten müsste, im parteipolitischen Klein-Klein untergehen. Wir hatten zuletzt knapp 300.000 offene Stellen im deutschen Gesundheitswesen und Studien lassen befürchten, dass diese Zahl bis 2035 auf 1,8 Millionen steigt. Es führt deshalb im Krankenhausbereich kein Weg an Umstrukturierungen vorbei, weil wir genau überlegen müssen, wo wir die in Deutschland verfügbaren Fachkräfte einsetzen. Aber auf dem Weg zur Reform dürfen wir auch nicht die Klinik-Beschäftigten, die wir haben, vergraulen.

    Was kann man gegen den Fachkräftemangel in der Medizin tun, zumal durch die alternde Bevölkerung der medizinische Bedarf in den kommenden Jahren steigt?
    JOHNA: Wir müssen an vielen Stellschrauben drehen. Alle sind sich im Grunde einig, dass man im Krankenhausbereich mehr auf Kooperationen und auf ambulante Versorgung setzen muss. Aber auch bei ambulanten Eingriffen und der Nachbetreuung braucht man Personal. Wir fordern als Marburger Bund seit Langem, die Zahl der Medizinstudienplätze an staatlichen Universitäten zu erhöhen. Wir haben viermal mehr Bewerber als Studienplätze. Die Zahl der Medizinstudierenden steigt zwar, aber sie liegt immer noch etwa auf dem Stand vor der Wiedervereinigung. Mehr Studienplätze helfen jedoch angesichts der langen Ausbildungszeit nur langfristig. In den nächsten Jahren stellt uns der demografische Wandel vor gewaltige Probleme, wenn die Babyboomer-Generation nicht mehr für die Versorgung zur Verfügung steht. Ein Beispiel: Schon jetzt sind etwa 40 Prozent der niedergelassenen Ärzte 60 Jahre oder älter. Wir brauchen deshalb auch schnellere Lösungen.

    Wie könnten schnellere Lösungen gegen den Fachkräftemangel bei Klinikärzten aussehen?
    JOHNA: Ein entscheidender Hebel gegen den Fachkräftemangel muss der Abbau der Bürokratie sein. Ärztinnen und Ärzte verbringen im Schnitt mehr als drei Stunden am Tag mit Dokumentation und Administration. Wenn wir diese Zeit halbieren, hätten wir mit einem Schlag 15 Prozent mehr Ärzte für die Patientenversorgung zur Verfügung. Im Klinikbereich entspräche dies weit über 30.000 zusätzlichen Vollzeitstellen. Das zeigt die gewaltige Dimension der Bürokratie. Auch in der Pflege mit all den Dokumentationspflichten gibt es hier ein Riesenpotenzial. Eine Halbierung der Bürokratie halten wir in der Praxis für realistisch und machbar. Am meisten würden davon die Patienten profitieren.

    Viele Mediziner klagen, dass die Digitalisierung nicht zu weniger, sondern mehr Arbeit führt. Kliniken kritisieren einen Kontrollwahn, eine Kultur des Misstrauens im Gesundheitswesen. Was ist schuld an der Bürokratie?
    JOHNA: Im Gesundheitswesen werden jährlich mehrere Hundert Milliarden Euro ausgegeben, da muss natürlich kontrolliert werden. Aber wir haben längst den Punkt erreicht, es mit der Kontrolle zu übertreiben wie kein anderes vergleichbares Land. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen kontrolliert teilweise dieselben Bereiche dreimal aus verschiedenen Gründen, was viel Zeit und Klinikpersonal bindet. Auch der Politik und den Krankenkassen sollte klar sein, dass wir uns diese Art Verschwendung von Personalressourcen nicht mehr leisten können. Die Digitalisierung ermöglicht immer mehr Datenerhebungen für Register und Qualitätssicherungspflichten, doch das summiert sich zu echten Zeitfressern.

    Erhoffen Sie sich hier Fortschritte von der Krankenhausreform?
    JOHNA: Wir erhoffen uns von der Krankenhausreform dringend einen Bürokratieabbau, doch die bisherigen Entwürfe sind hier mehr als enttäuschend. Auch die versprochene Entökonomisierung können wir in den bisherigen Entwürfen nicht erkennen. Die neue Vorhaltevergütung soll eng mit den bisherigen Fallpauschalen verbunden werden. Das wird den wirtschaftlichen Druck kaum mindern, sondern weiter zu Fehlanreizen führen. Unsere große Sorge ist, dass am Ende auch hier noch mehr Bürokratie entsteht. 

    Zur Person

    Susanne Johna ist Internistin und führt seit vier Jahren den Marburger Bund, die Gewerkschaft der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte. Seit Mai ist die 58-Jährige Vizepräsidentin der Bundesärztekammer.

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