- Frankreich: Dass Franzosen einen US-Präsidenten nicht mit Misstrauen beobachten, kommt selten vor – es sei denn, er heißt Barack Obama und weiß die Menschen mit einer Mischung aus Charme und Optimismus mitzureißen. Traditionell lehnt man in Frankreich amerikanische Dominanz ab, beteiligte sich bis 2009 nicht an den militärischen Strukturen der Nato und bejubelte 2003 den damaligen Präsidenten Jacques Chirac für sein "Non" zu einer Beteiligung am Irak-Krieg. Donald Trump, der Fast Food essende Präsident, hatte in Frankreich nie eine gute Presse. Unvergessen ist sein missglücktes Kompliment an die sieben Jahre jüngere französische First Lady Brigitte Macron, sie sei "gut in Form". Mit der Politik von Trumps demokratischem Herausforderer Joe Biden setzt sich die französische Öffentlichkeit bislang eher wenig auseinander. Gerade in Zeiten des Coronavirus ist der Blick stark auf das eigene Land gerichtet. Doch gilt Biden als Hoffnungsträger, allein um den ungeliebten Trump abzusetzen. Dieser war ein schwieriger Partner. Er zog sich vom Pariser Klima-Abkommen zurück, verärgerte Paris mit der Aufkündigung des Iran-Abkommens und mit Strafzöllen für französische Produkte wie Wein und Käse. Der Konflikt um eine Digitalsteuer, die vor allem große US-Konzerne trifft und die Frankreich durchsetzen will, blieb ungelöst. (biho)
- Großbritannien: Die Briten waren stets stolz darauf, als Bindeglied zwischen den USA und dem europäischen Kontinent zu fungieren. Die beiden Länder preisen gerne und oft ihre besondere Beziehung. In Großbritanniens diplomatischen Zirkeln wird deshalb der Wahlkampf in den USA angespannt beobachtet. Doch während im Außenministerium die Hoffnungen auf einem Sieg Joe Bidens liegen und damit auf einem Ende der Unberechenbarkeit Trumps, ist der britischen Regierung gleichwohl klar, dass Premierminister Boris Johnson mit Trump im Weißen Haus einen europaskeptischen Verbündeten hat. Der US-Präsident ist ein Brexit-Befürworter – und Johnson-Fan. Die Sorge ist groß, dass eine Verwaltung unter Biden, einem Freund der Europäischen Union, den Briten – zumindest in Sachen Brexit – offen ablehnend gegenüberstehen würde. Einen Vorgeschmack gab es bereits, als der demokratische Präsidentschaftsbewerber der britischen Regierung mit Konsequenzen drohte, sollte London die mit der EU getroffenen Abmachungen zu Nordirland untergraben. Dabei brauchen die Briten Washington mehr denn je. Die USA sind – wenn auch mit Abstand – nach der EU der zweitgrößte Handelspartner Großbritanniens. Und so wollte man zügig ein bilaterales Freihandelsabkommen vereinbaren. Schon jetzt laufen die Gespräche äußerst schleppend. (kpy)
- Italien: Das Land hat Angst vor der Pandemie. Ein US-Präsident, der wie Donald Trump Corona verharmlost, ist wohl für die Mehrheit der Italiener keine angenehme Vorstellung. Und doch ist die Sache komplizierter. Auch in Italien erkennt man im Demokraten Joe Biden nicht die Lösung aller Probleme des Landes. Die erst 2007 gegründete Demokratische Partei Italiens, die nicht zufällig nach ihrem US-Vorbild benannt ist, hat dennoch eine klare Vorliebe für Biden und eindeutige Abneigung gegen Amtsinhaber Trump. Seit vergangenem Sommer regiert die Mitte-Links-Partei als Juniorpartner zusammen mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Als deren Personifizierung wirkt derzeit der parteilose, aber von den Sternen nominierte Premierminister Giuseppe Conte. Erst trug er den Rechtskurs der Vorgängerregierung mit der Lega, jetzt steuert er Italien auf einem Mitte-Links-Kurs. 2019 am Rande des G-7-Gipfels bezeichnete Trump Conte als "sehr talentierten Mann", der hoffentlich Premierminister bleibe. Niemals würde der statusbewusste Conte seither gegen Trump Stellung beziehen. Die Fünf-Sterne-Bewegung kann sich aber auch nicht zur Parteinahme für Biden hinreißen lassen. Zu sehr würde dies der Bankrotterklärung einer Bewegung gleichkommen, die sich die Revolution der alten politischen Dichotomie auf die Fahnen geschrieben hat. (jmm)
- Nahost: Joe Biden lässt keinen Zweifel daran, dass sich in der Nahost-Politik der USA einiges ändern wird, wenn er die Präsidentschaftswahl gewinnt. Anders als unter Amtsinhaber Donald Trump werde Amerika in Zukunft nicht mehr "seine Werte an der Garderobe abgeben, um Waffen zu verkaufen oder Öl zu kaufen", erklärte Biden kürzlich. Die Warnung war auf Saudi-Arabien gemünzt, doch sie gilt auch für andere Akteure in der Region. Im Iran fährt Trump einen Kurs des "maximalen Drucks", um das Mullah-Regime in die Knie zu zwingen. Biden will die USA wieder ins Atomabkommen zurückführen, wenn Teheran seine Verstöße gegen den Vertrag beendet. Der Iran hofft deshalb auf einen Machtwechsel in Washington. Israel und die Golf-Staaten sind dagegen mit Trump sehr gut gefahren. Ihm ist es gelungen, Friedensschlüsse Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Sudan einzufädeln. Gleichzeitig schlug sich Trump im Dauer-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ganz auf die Seite des jüdischen Staates. Er verlegte die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und strich Unterstützungszahlungen für die Palästinenser. Mit Biden könnten die USA den Palästinensern zwar wieder mehr entgegenkommen, doch es ist unwahrscheinlich, dass ein Machtwechsel alle Entscheidungen zugunsten Israels wieder revidieren würde. (s+g)
- Europäische Union: Sympathien genießt Donald Trump in Brüssel nun wahrlich nicht. Selbst eingefleischte Transatlantiker unter den Diplomaten und Spitzenbeamten verhehlen nicht ihre Abneigung gegenüber dem Mann, der mit Drohungen und Handelsstreitigkeiten Außenpolitik machte. Dass man sich in Brüssel offiziell dennoch in Schweigen hüllt, hat nur einen Grund: Niemand will riskieren, nach einer überraschenden Wiederwahl an einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen schuld zu sein. Keine Frage: Brüssel setzt auf Joe Biden, dem man mehr Offenheit für ein multilaterales Handelssystem, für eine moderne Klimaschutzpolitik und Verständnis für die Partner in Europa unterstellt. Die Gemeinschaft beschäftigt aber noch ein anderes Szenario. Sollte Trump wiedergewählt werden oder bei einem knappen Ausgang den Wahlsieg für sich beanspruchen, könnten einzelne Regierungschefs mit allzu überschwänglichen Glückwünschen einen Riss innerhalb der EU dokumentieren. Die Vorstellung, dass die Premierminister Ungarns, Polens, der Slowakei und Tschechiens es nicht wie alle übrigen bei geschäftsmäßigen Grüßen zu einem Wahlgewinn belassen würden, sondern auch noch bewundernd Trump huldigen, wird in Brüssel regelrecht gefürchtet. Noch weiß niemand, was ein solcher außenpolitischer Zwiespalt an Schäden hinterlassen könnte. (dre)
- Russland: "Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind niemals schlechter gewesen", hatte Präsident Donald Trump – natürlich – per Twitter mitgeteilt, bevor er sich zu einem Händedruck mit Russlands Präsident Wladimir Putin aufgemacht hatte. Vor zwei Jahren war das, in Helsinki. Ziel war "ein Schritt in eine bessere Zukunft". Die "Zukunft" ist seitdem nicht besser geworden. Moskau begriff bald, dass auf Trump kein Verlass ist. Und doch ist der Krawallmacher Trump für die Russen das kleinere Übel. Dass dieser die Allianzen im Westen aufmischt, imponiert Moskau durchaus. Trumps "Chaos" helfe dem Kreml, damit sich Russland wieder als Großmacht fühlen könne, sagt der russische Außenpolitikexperte Wladimir Frolow. Biden, der Putin 2016 als Diktator bezeichnet hatte, gilt in Moskau eigentlich als Hauptgegner des Kremls. Allerdings gewinnen die Russen auch ihm einiges ab: Biden hält an der Verlängerung des New-Start-Abkommens, das Grenzen für strategische Atomwaffen setzt und im Februar ausläuft – im Gegensatz zu Trump – fest. Und ideologisch. Nun ja, da sagt Putin: "Aus sozialdemokratischem Umfeld ist einst die Kommunistische Partei hervorgegangen. In diesem Sinne gibt es sogar eine Art ideologische Grundlage für die Verbesserung von Kontakten mit einem Vertreter der Demokraten."(inna)
- Polen: Polen blickt mit gemischten Gefühlen auf die US-Wahl. Nachrichten, nach denen sich Russlands Präsident Wladimir Putin zumindest indirekt einmischt, lassen alle Alarmglocken schrillen. Chaos in Washington und Profiteure in Moskau: Das wäre aus Warschauer Sicht kaum weniger katastrophal als ein geopolitischer Megadeal zwischen Putin und Trump, der nach der Wahl 2016 befürchtet worden war. Als viel zu real empfinden die meisten Polen die Bedrohung durch Russland. Umgekehrt gelten gute Beziehungen zu den USA in Warschau als eine Art nationale Lebensversicherung. Diese Sichtweise herrscht in dem ansonsten tief gespaltenen EU-Land über nahezu alle Parteigrenzen. Deshalb war es nach der Wahl 2016 auch nicht verwunderlich, dass die rechtsnationale PiS-Regierung früh auf Trump zuging, um im besten Fall die Russen auszubooten. Eine ideologische Nähe schien den Weg zu ebnen. Trump wie auch PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski verachten liberale Werte. Die diffusen Hoffnungen haben sich allerdings nicht erfüllt. Versuche, eine dauerhafte US-Militärpräsenz in Polen durchzusetzen, scheiterten. Trotzdem drücken die meisten PiS-Politiker am 3. November wieder Trump die Daumen. Der regierungsnahe Politikwissenschaftler Przemyslaw Grajewski erklärt: "Es besteht die Gefahr, dass jeder, der unter Trump ein Verbündeter der USA war, von Biden als ideologischer Gegner betrachtet wird." (kröu)
- China: Die Beziehungen sind so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Donald Trump hat die Volksrepublik nicht nur rhetorisch angegriffen wie kaum ein zweiter Präsident vor ihm, er bot Peking auch erstmals wirtschaftlich Kontra mit seiner Strategie der Entkoppelung: Unterbrechungen der Lieferketten, Strafzölle und Exportverbote sollen das Reich der Mitte in Schach halten. Man sollte also meinen, dass die Sympathien unter der Kommunistischen Partei klar auf der Seite von Biden liegen. Doch bei näherer Betrachtung ist die Angelegenheit wesentlich ambivalenter, wie im Juni Hu Xijin, Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, ironisch zusammenfasste: Er könne den Amerikanern nur empfehlen, Trump zu wählen, schrieb der chinesische Meinungsführer. Denn der polternde US-Präsident habe den Zusammenhalt unter den Chinesen weiter gestärkt – und damit auch indirekt Chinas Aufstieg begünstigt. Die Vereinigten Staaten, einst Leuchtturm der freien Welt, haben in China massiv an Faszination eingebüßt. Mit ungläubigem Staunen verfolgen die Chinesen das außer Kontrolle geratene Infektionsgeschehen in den USA. Zugleich ist der Staatsführung absolut bewusst, dass der Konflikt mit Amerika über die wirtschaftliche Hegemonie auch unter Biden weitergehen würde. Deshalb setzt China alle Hebel in Bewegung, um sich möglichst unabhängig von den Vereinigten Staaten zu machen. (fakr)
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