Es ist die große Hoffnung der Gewerkschaften: In den Tarifgesprächen wollen sie für ihre Beschäftigten in diesem Jahr möglichst starke Lohnerhöhungen rausholen, um die Inflation auszugleichen. Bis zu acht Prozent mehr Lohn fordert etwa die IG Metall. Doch Experten befürchten, dass genau diese vermeintliche Entlastung des eigenen Geldbeutels den gegenteiligen Effekt haben könnte: Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehmen gestiegene Löhne als Rechtfertigung von weiteren Preiserhöhungen heranziehen. Löhne und Preise schaukeln sich dann gegenseitig hoch.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will diese Lohn-Preis-Spirale ausbremsen, indem er den Gewerkschaften einen Vorschlag macht: Wenn diese in ihren Tarifrunden auf starke Lohnerhöhungen verzichten, will er Arbeitgeber zu einer Einmalzahlung zum Ausgleich der hohen Energiekosten verpflichten. Der Staat legt eine Schippe obendrauf, indem er die Einmalzahlung steuerfrei lässt.
Nur 43 Prozent der Beschäftigten haben einen Tarifvertrag
Für das Vorhaben spreche, so berichtet die Bild aus Regierungskreisen, dass sie schnell bei den Bürgern ankomme. Da aber nur noch 43 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlt würden, brauche es noch gesonderte Lösungen für Arbeitnehmer ohne Tarifbindung und Rentner mit geringer Rente. Hinzu kommt, dass damit auch jene durchs Raster fallen, die auf die Unterstützung des Sozialstaates angewiesen sind.
Die IG Metall hatte schon in den laufenden Tarifverhandlungen eine Einmalzahlung statt einer Lohnerhöhung abgelehnt. Zurückhaltend reagiert auch Scholz’ Koalitionspartner FDP. „Einmalzahlungen können sinnvoll sein“, schreibt Parteichef und Finanzminister Christian Lindner auf Twitter. „Aber wo Unternehmen hohe Gewinne machen, ist eine Subventionierung der Arbeitgeber nicht angezeigt.“ Lindner spricht durchaus aus Erfahrung: Schon beim Tankrabatt kam die Kritik auf, dass ein Gutteil des Geldes in die Kassen der Mineralölkonzerne wanderte. Für Lindner würde sich außerdem das Problem ergeben, dass seine ohnehin strapazierten Kassen durch den Verzicht auf Steuern weiter geschröpft werden.
Hinzu kommt, dass Experten davon ausgehen, dass die Inflation kein kurzfristiges Phänomen bleibt. „Uns muss bewusst sein, dass die Energiepreise hoch bleiben und dass es eine Phase wird, die herausfordernd wird“, sagt Veronika Grimm, Mitglied der „Wirtschaftsweisen“. „Den Menschen zu suggerieren, der Status quo könne erhalten bleiben, ist nicht richtig.“ Wichtiger sei die gezielte Förderung von bedürftigen Haushalten.
Union kritisiert fehlendes Gesamtkonzept
Genau das fordert auch die CDU/CSU. „Die Menschen in unserem Land, vor allem kleine und mittlere Einkommen, müssen jetzt entlastet werden“, sagt Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, unserer Redaktion. „Die Bundesregierung schlägt aber immer nur einzelne Maßnahmen vor.“ Ihm fehlt vor allem ein Konzept, eine umfassende Lösung statt ständig neuer Einzelmaßnahmen. Gröhe schlägt vor: Damit der Staat an den Preissteigerungen nicht mitverdiene, müssten die Steuern gerade auf kleine und mittlere Einkommen gesenkt werden. „Zudem brauchen wir gerade in diesen Zeiten eine Haushaltspolitik, die mit weniger Schulden auskommt und zügig zur Schuldenbremse zurückkehrt“, fordert Gröhe.