Wer sich bei der Debatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht bisher Sorgen gemacht hat, es werde zu einem staatlichen Impfzwang kommen, kann sich beruhigt zurücklehnen. Sieben Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP legten am Freitag ihre Pläne für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 vor, ihr Gesetzentwurf dürfte mit einiger Sicherheit die meisten Stimmen im Parlament bekommen - und er sieht körperlichen Zwang nicht vor.
Die Ampel-Koalitionäre planen vielmehr folgendes: Ab dem 1. Oktober müssen Erwachsene den zuständigen Behörden sowie ihrer Krankenkasse auf Anforderung drei Immunisierungen nachweisen. Können sie das nicht, droht ihnen ein Bußgeld von maximal 2500 Euro. Wobei nach Einschätzung der Parteien 250 Euro und darunter eher wahrscheinlich sind.
Vor der Bestrafung soll zunächst die Information stehen. Bis Mitte Mai unterbreiten die Krankenkassen ihren Mitgliedern demnach Beratungsangebote, sie informieren über Impfmöglichkeiten und Impfstoffe sowie weisen auf die Impfpflicht ab dem Herbst hin. Wer dreimal geimpft oder auch geimpft und genesen ist, soll dies digital oder analog etwa in der nächsten Apotheke nachweisen. Wer sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen kann, ist von der Impfpflicht ausgeschlossen. Das gilt auch für Frauen zu Beginn ihrer Schwangerschaft.
Gesetzentwurf zur Impfpflicht sieht ein Bußgeld bis 2500 Euro vor
Spannend wird es für alle, die sich nicht impfen lassen wollen. Dem Gesetzentwurf zufolge müssen sie mit einem Bußgeld bis 2500 Euro rechnen. Die Koalition bewegt sich damit im üblichen Rahmen, wie Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Till Steffen erklärte, der zu den Autoren des Gesetzentwurfes zählt. Ein Bußgeld in gleicher Höhe ist beispielsweise bei der Masernimpfpflicht vorgesehen. In der Praxis dürften die Strafen jedoch zunächst deutlich geringer ausfallen, wie Steffen deutlich machte. Denn bei Bußgeldern über 250 Euro muss zunächst die Einkommens- und Vermögenslage geprüft werden. Der hohe Aufwand dürfte viele Ordnungsbehörden dazu veranlassen, nicht über diese Grenze zu gehen. Wer ein Bußgeld bezahlen muss, hat anschließend Zeit zur Nachbesserung. Wird er oder sie wieder erwischt, kann das nächste Bußgeld fällig werden. Wer das Bußgeld kassiert, wer die Impfungen kontrolliert – Polizeien und Ordnungsämter etwa – ist offen, denn das liegt in der Entscheidung der Bundesländer.
Das Gesetz aus der Feder der Abgeordneten Dirk Wiese, Heike Baehrens und Dagmar Schmidt (alle SPD), Janosch Dahmen, Steffen (beide Grüne) sowie Katrin Helling-Plahr und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (beide FDP) soll bis Ende 2023 befristet werden. Eine quartalsweise Überprüfung der Wirksamkeit ist vorgeschrieben. Sollte die Pandemielage eine Impfpflicht überflüssig machen, kann das Gesetz ausgesetzt werden, erklärten die Verfasser. Sie erklärten: "Wenn wir warten, bis die nächste Infektionswelle in Sichtweite ist, ist es für vorausschauendes Handeln zu spät." Dann ließen sich die Bevölkerung und das Gesundheitssystem wieder nur mit einschränkenden Maßnahmen schützen. "Freiheit für alle geht nur mit Solidarität von allen."
Es gibt weitere Vorschläge, über die im Bundestag ohne Fraktionszwang entschieden werden soll. Darunter einer von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der sich gegen eine allgemeine Impfpflicht ausspricht. Ein anderer, initiiert vom FDP-Gesundheitsexperten Andrew Ullmann, peilt eine Impfpflicht ab 50 an.
CDU und CSU wollen ein Impfregister einrichten
Die Unionsfraktion geht einen anderen Weg und legt damit einen Kursschwenk hin. „Wir wollen einer allgemeinen Impfpflicht nicht den Weg bereiten, weil wir nicht wissen, wie der Herbst wird“, sagte Fraktionsvize Sepp Müller (CDU). CDU und CSU setzen deshalb zunächst auf die Einrichtung eines Impfregisters. Ihr Hauptargument: „Nur eine ausreichende Datengrundlage ermöglicht die richtigen Reaktionen und damit sowohl den Schutz unseres Gesundheitssystems, aber auch unserer Freiheitsrechte.“
Zum Aufbau des Registers könne zum Beispiel auf die Steuernummer zurückgegriffen werden, die jeder Bürger und jede Bürgerin habe, schlug die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz von der CSU vor. Wie die Ampel-Parteien setzen auch CDU und CSU auf Aufklärung und fordern die Ausweitung der Impfkampagne.
Erst in einem allerletzten Schritt und nur bei Bedarf sollte es nach dem Willen der Union eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen geben. CDU und CSU wollen dazu die Regierung verpflichten, einen gesetzlichen „Impfmechanismus“ zu entwickeln, mit dem abgestuft auf neue Bedrohungen reagiert wird. Als Kriterien werden unter anderem „die voraussichtliche Schwere einer Virusvariante, deren Übertragbarkeit, die Wirksamkeit des dann verfügbaren Impfstoffes“ sowie der Immunitätsgrad in der Bevölkerung genannt.
Ende März soll das Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht stehen
Wann die verschiedenen Vorschläge und Gesetzesentwürfe umgesetzt werden, ist unklar. Ursprünglich war erwartet worden, dass die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in der nächsten Sitzungswoche, also kommende Woche, erneut im Bundestags diskutiert wird. Bislang steht es dort aber nicht auf der Tagesordnung. Für die Ampel-Fraktionen erklärte Strack-Zimmermann, man gehe von einem Vorliegen aller Vorschläge und Entwürfe bis Mitte März aus und erwarte, dass „Ende März alles in trockenen Tüchern ist“.
Die Regierung hält sich aus der Debatte weiterhin heraus. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums erklärte, man habe den Fraktionen Hilfestellung geleistet, die Entscheidung obliege dem Parlament. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich bereits für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ausgesprochen.
Unterdessen deutet sich an, dass die Omikron-Welle in Deutschland bald ihren Höhepunkt erreicht haben könnte. Erstmals seit Ende Dezember meldeten die Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut weniger neue Fälle pro Tag als am gleichen Tag der Vorwoche: nun 240.172 nach 248.838 am Freitag vergangener Woche. Es ist schwer zu sagen, ob die Zahlen das reale Geschehen widerspiegeln oder es Effekte eines überlasteten Melde- und Testsystems gibt. Der Modellierer Dirk Brockmann sagte im Deutschlandfunk: "Der Verlauf dieser Omikron-Welle scheitelt jetzt, und wir rechnen damit, dass dann die nächsten Tage das Maximum erreicht ist."
Für Kanzler Olaf Scholz (SPD) heißt das: "Das erlaubt uns, beim Bund-Länder-Treffen nächste Woche einen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen." Genauere Angaben machte er vorerst nicht.