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Ibiza-Affäre: Was der Urheber des Videos heute dazu sagt

Österreich

Der lange Schatten des Ibiza-Videos: Was der Urheber heute dazu sagt

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    Der Screenshot aus einem Video, das 2019 Österreich erschütterte: Es zeigt Österreichs damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (rechts) mit einer angeblichen russischen Oligarchin. Der damalige FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus übersetzte die Ausführungen Straches ins Russische.
    Der Screenshot aus einem Video, das 2019 Österreich erschütterte: Es zeigt Österreichs damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (rechts) mit einer angeblichen russischen Oligarchin. Der damalige FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus übersetzte die Ausführungen Straches ins Russische. Foto: dpa/Spiegel/Süddeutsche Zeitung 

    Im straßenseitigen Gastgarten einer Saft-Bar im hippen 7. Wiener Gemeindebezirk dreht sich so mancher Passant um, nach dem Mann mit dem markanten weißblonden Haarschnitt. Das Gesicht des Mannes, der an diesem Montagnachmittag entspannt vor seinem Frucht-Shake sitzt, scheint manchem Spaziergänger irgendwie bekannt, auch wenn man ihn wohl nicht so richtig einordnen kann. Und auch Julian Hessenthaler sieht sich immer wieder um. Der prüfende Blick über die Schulter, er scheint dem 43-Jährigen irgendwie in Fleisch und Blut übergegangen zu sein.

    Ohne Hessenthaler wäre Österreichs Zeitgeschichte zweifellos anders verlaufen – und es gäbe jenes Video nicht, das der Wiener zusammen mit einem kleinen Kreis an Mithelfern und den finanziellen Mitteln eines Anwalts an einem Sommerabend 2017 aufgenommen hatte. Die Hauptdarsteller: der damalige Chef der extrem rechten FPÖ, Heinz-Christian Strache, sein engster Vertrauter Johann Gudenus – und eine vermeintliche russische Oligarchen-Nichte. Der Schauplatz: eine Finca auf Ibiza. Hessenthalers Video war ein Dammbruch, es löste die größten politischen Verwerfungen in Jahrzehnten aus, beendete die Karriere von Sebastian Kurz und seine Koalition mit der FPÖ, zog dutzende, bis heute laufende Ermittlungsverfahren nach sich und sorgte dafür, dass ein in Österreich herrschendes System von politisch-medialer Korruption ans Licht kam – das durch das Video „für eine kurze Zeit gestockt hat“, wie es Hessenthaler ausdrückt.

    Julian Hessenthaler saß im Gefängnis - wegen Kokain

    Die einen halten Hessenthaler für einen irregeleiteten Ex-Spion, für eine dubiose Figur, die anderen denken bei ihm eher an Julian Assange, aber so will Hessenthaler selbst nicht gesehen werden. Mehrmals betont er im Gespräch, es gehe ihm nicht um Geld, nicht jetzt und auch damals nicht, als er „das Video“ produziert habe. Seine Persönlichkeit ist nicht leicht zu greifen. Er wirkt kühl, distanziert, nicht immer ist alles, was er sagt, kohärent und er selbst erzählt bereitwillig von den Spuren, die die letzten Jahre bei ihm hinterlassen haben, von Schlafstörungen und einer posttraumatischen Belastungsstörung.

    Beamte begleiteten Julian Hessenthaler (links) im Jahr 2021 in den Gerichtssaal. Der mutmaßliche Drahtzieher in der Ibiza-Affäre war wegen Drogenhandels angeklagt.
    Beamte begleiteten Julian Hessenthaler (links) im Jahr 2021 in den Gerichtssaal. Der mutmaßliche Drahtzieher in der Ibiza-Affäre war wegen Drogenhandels angeklagt. Foto: Roland Schlager, dpa

    Ein Jahr saß Julian Hessenthaler im Gefängnis, verurteilt wurde er wegen Kokain, nicht wegen des Ibiza-Videos – in einem Prozess, den nicht wenige Beobachter als Farce bezeichnet hatten und dem der Geruch einer Racheaktion anhaftete. Sein Buch „Nach Ibiza – Der lange Schatten eines Skandalvideos“ ist Abrechnung, Bericht und Bilanz in einem. Mit der Hilfe von „Falter“-Journalistin Barbara Toth schreibt der Ibiza-Macher über seine Kindheit im Ausland und seine Schulzeit in Japan, das Teenager-Sein im neureichen Yuppie-Milieu der Neunziger Jahre in Wien, seinen Wunsch, Diplomat zu werden und den ersten Bekanntschaften, die ihn schließlich in den Sicherheitsbereich führten. Jahrelang arbeitet Hessenthaler als privater Ermittler, als Informationsbeschaffer und Daten-Analytiker, später gründet er eine eigene Firma.

    Hessenthaler: „Ich wusste, dass ich enttarnt werden würde“

    Akribisch zeichnet Hessenthaler die Vorgeschichte des Ibiza-Coups nach, beschreibt die handelnden Personen, wie den Anwalt Ramin Mirfakhrai, der damals für Straches Bodyguard Oliver Ribarich arbeitete – den ursprünglichen Whistle-Blower, der zahlreiches Material über den Ex-FPÖ-Chef gesammelt hatte, darunter die nun berühmten Fotos mit den Taschen voller Bargeld. Das Buch schildert die Mühen, das einmal fertig gestellte Video über die Medien zu spielen und die Konsequenzen, die sich die falsche Oligarchen-Nichte – eine Freundin Hessenthalers – durch ihren Einsatz eingehandelt hatte, und Hessenthalers Schuldgefühle ihr gegenüber. Vor allem schildert Hessenthaler ausführlich seine monatelange Flucht ins Ausland vor den österreichischen Behörden: „Ich wusste immer, dass ich früher oder später enttarnt werden würde.“

    Im Gespräch zeigt sich Hessenthaler immer wieder resigniert. „Das System, wie es in Österreich funktioniert, kannst du kaum durchbrechen. Du bist kaum in der Lage, innerhalb dieses Systems von diesem unerwünschte Veränderungen herbeizuführen“, sagt der Ex-Sicherheitsmann. Korrupte Systeme böten, vor allem in Österreich, „immer eine Art ‚back up‘, egal ob Medien, Ermittlungsbehörden oder die Justiz. Oder sie erklären dich zum Verrückten.“ Das sei auch der Grund, wieso man österreichische Medien für die Veröffentlichung des Videos gar nicht erst in Betracht gezogen habe – diese hätten sofort Wege gefunden, „alles vom Tisch“ zu wischen.

    Neues Buch zur Ibiza-Affäre

    „Die österreichische Politik ist im Prinzip ein fast perfekt gebautes Betrugssystem“, sagt Hessenthaler. Er ist skeptisch, ob der durch „Ibiza“ in Gang gesetzte Aufarbeitungsprozess der Korruptions-Netzwerke zu einem Abschluss kommen wird. „Du hast kaum Konsequenzen zu befürchten. Das Versprechen, dass Dir das System bietet, ist: Du kannst Dir die Taschen vollscheffeln und machen, was Du willst, wenn Du erwischt wirst, wirst Du halt medial gehenkt – aber sonst passiert Dir nichts.“ Mit den intensiven Versuchen Russlands, westliche Demokratien zu destabilisieren, bekomme diese spezifisch österreichische Korruptions-Unkultur, samt der wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen mit dem Putin-Regime, eine wichtigere, ja globale Bedeutung. Der Zeitpunkt der Buch-Veröffentlichung vier Wochen vor der Nationalratswahl sei bewusst gewählt: Dass er aufdecken konnte, wie die Spitze der nun in Umfragen führenden FPÖ 2017 halb Österreich an eine vermeintliche russische Oligarchen-Nichte verkaufen wollte, will Hessenthaler im In- und Ausland nochmals in Erinnerung rufen.

    Die Behörden im damals FPÖ-geführten Innenministerium hätten wohl gewusst, was die FPÖ-Spitze im Schilde führte – dass Polizei und Staatsschutz in Österreich politisiert sind und kaum Anstrengungen unternommen würden, dies zu ändern, sei eine bis heute versäumte, dringend nötige Konsequenz von „Ibiza“.

    Dass er jemals mit „Ibiza“ abschließen werde können, glaubt Hessenthaler nicht. „Das möchte ich auch nicht“, sagt er. Der Moment wäre erst dann gekommen, wenn man sich über die Zustände, die zu dem Video geführt hätten, kein Kopfzerbrechen mehr machen müsse. Und das, sagt Hessenthaler, sei leider noch in weiter Ferne.

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    2 Kommentare
    Raimund Kamm

    Herr Hessenthaler hat sich um die Bekämpfung von Korruption und Demokratiezersetzung in Österreich sehr verdient gemacht. Deprimierend, dass die rechte FPÖ schon wieder von so vielen Frauen und Männern in Österreich favorisiert wird. Offenbar sind auch in Österreich viele Bürgerinnen und Bürger demokratiemüde und wollen wieder Unrechtsstaat und Zwangsherrschaft.

    Gerhard Denk

    Recht hat Herr Kamm, es ist in der Tat deprimierend zu verfolgen, wie die Rechten in Ö wie in D Zulauf erhalten. Aber auch er hat die Gründe dafür nicht verstanden oder will sie nicht sehen.

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